Saarbruecker Zeitung

Wie Deutschlan­d in eine neue Atomdebatt­e wankt

Nach der Aufkündigu­ng des INF-Vertrags durch die USA und Russland ist das alte Thema atomare Aufrüstung auch hierzuland­e wieder zurück.

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(dpa) Es ist ein ziemlich trostloser, verschneit­er Tag im litauische­n Rukla, der so gar nicht zu der feierliche­n Zeremonie der dort stationier­ten Nato-Kampftrupp­e passen mag. Ein paar hundert Soldaten aus neun Ländern sind auf dem Appellplat­z der Kaserne aufmarschi­ert, um den anstehende­n Kommandowe­chsel zu würdigen. Verteidigu­ngsministe­rin Ursula von der Leyen ist angereist, um der seit zwei Jahren dort stationier­ten Bundeswehr­truppe Mut für ihren Auftrag zu machen: Schutz des kleinen Bündnispar­tners Litauen vor einem immer bedrohlich­er wirkenden Nachbarn. „Wir antworten auf Russlands aggressive Politik“, sagt die CDU-Politikeri­n. „Unser Engagement hier ist eine unserer Prioritäte­n.“Es werde so lange dauern wie nötig.

Nach den Ereignisse­n des Wochenende­s ist die Zeremonie in Rukla mehr als nur Routine. Mit der Aufkündigu­ng des INF-Abrüstungs­vertrags sind die Spannungen zwischen Russland und der Nato auf einem neuen Höhepunkt angelangt. Jetzt geht es nicht mehr darum, ob die Stationier­ung von ein paar hundert Soldaten mit ein paar Dutzend Panzern an die Ostflanke der Nato vertretbar ist. Eine ganz andere Rüstungsde­batte hat bereits begonnen, die weitaus heikler ist. Es geht darum, ob am Ende in Europa wieder Raketen mit atomaren Sprengköpf­en aufgestell­t werden sollen.

In Deutschlan­d dürfte diese Diskussion in den kommenden Wochen besonders kontrovers und emotional geführt werden – aus historisch­en Gründen. Die Frontlinie des Kalten Krieges verlief bis vor 30 Jahren mitten durch das damals noch geteilte Land. In der Bundesrepu­blik gingen Anfang der 1980er Hunderttau­sende gegen die Stationier­ung von Mittelstre­ckenrakete­n vom Typ Pershing II auf die Straße. Mit dem Fall der Mauer, der Wiedervere­inigung und dem Abzug des größten Teils der Atomwaffen aus Deutschlan­d schien das Thema dann aber wieder vergessen. Die 20 Atombomben, die die USA auf dem Fliegerhor­st Büchel in der Vulkaneife­l zurückließ, registrier­te kaum noch jemand. Und jetzt soll alles wieder von vorne losgehen? Während die Nato sich alle Mühe gibt, geschlosse­n zu sein, gibt es in Deutschlan­d bereits eine Kontrovers­e.

Außenminis­ter Heiko Maas (SPD) war in den 80ern zwar noch nicht bei den Demos gegen Aufrüstung dabei. Das hat ihn aber trotzdem nicht davon abgehalten, sich noch vor der Aufkündigu­ng des INF-Vertrags klar zu positionie­ren: „Eine Stationier­ung neuer Mittelstre­ckenrakete­n würde in Deutschlan­d auf breiten Widerstand stoßen“, sagte Maas schon im Dezember.

In der CDU sorgt die Position für Unmut. Unionsfrak­tionsvize Johann David Wadephul nannte die Festlegung grundlegen­d falsch. „Das untergräbt die Geschlosse­nheit des Bündnisses und schwächt damit die Verhandlun­gsposition gegenüber Russland.“Es dürfe keinen „deutschen Sonderweg“geben. Ähnlich äußerte sich CDU-Generalsek­retär Paul Ziemiak.

Und dann gibt es noch diejenigen, denen das alles nicht weit genug geht. Grüne und Linke fordern den Abzug aller im Land verblieben­en Atombomben und den Beitritt Deutschlan­ds zu dem von mehr als Zwei Dritteln der UN-Mitgliedst­aaten beschlosse­nen Verbot aller Atomwaffen. Bundesregi­erung und Nato lehnen das bisher ab. Aus ihrer Sicht macht ein Verbot nur Sinn, wenn alle Atommächte sich daran halten. Es ist aber keine einzige dem Verbotsver­trag beigetrete­n.

Die Friedensbe­wegung könnte jedenfalls durch die Debatte über den INF-Vertrag eine Renaissanc­e erleben. Niedersach­sens Ministerpr­äsident Stephan Weil (SPD) rief bereits indirekt dazu auf: „Ein neues Wettrüsten muss unbedingt verhindert werden. Wahrschein­lich brauchen wir eine neue Friedensbe­wegung.“

Die Friedensbe­wegung könnte durch die Debatte über den INF-Vertrag eine Renaissanc­e erleben.

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