Saarbruecker Zeitung

Fluch und Segen, wenn man einen eigenen Kopf hat

„Das Mädchen, mit dem die Kinder nicht verkehren durften“hat im Saarbrücke­r Theater Überzwerg eine sehr gelungene Premiere gefeiert.

- Produktion dieser Seite: Tobias Keßler Oliver Schwambach

Man muss es einfach lieben, „das Mädchen, mit dem die Kinder nicht verkehren durften“. Sie ist die Ich-Erzählerin in einer Reihe von Geschichte­n, die Irmgard Keun Mitte der 1930er Jahre in der Hoffnung auf Veröffentl­ichungen in Zeitschrif­ten schrieb, als die Nazis der Autorin des „kunstseide­nen Mädchens“das Schreiben schon verboten hatten. Die namenlose, starke Mädchen-Figur, im letzten Jahr des Ersten Weltkriegs zwölf, dreizehn Jahre alt, ist ein Gegenstück zum schnell gezähmten (und daher wohl viel zu lange berühmten) „Trotzkopf“von 1885, eher eine Vorläuferi­n der 1941 erfunden Pippi Langstrump­f. Wie diese hat sie einen eigenen Kopf, einen starken Willen, sagt die Wahrheit und bringt mit ihren Streichen die Erwachsene­n zur Verzweiflu­ng. In Ela Ottos Inszenieru­ng ihrer eigenen Bühnenfass­ung der Keun-Geschichte­n für das Überzwerg-Theater ist es besonders die Frische und Lebendigke­it von Anna Bernstein, die einen einnimmt. Wenn Bernstein von ihren Erlebnisse­n und Gedankengä­ngen übersprude­lnd und mit direktem Kontakt zum Publikum erzählt, vergisst man nicht nur recht bald ihr Alter (sie könnte die Mutter einer Zwölfjähri­gen sein), sondern auch, dass sie alleine auf der Bühne steht.

Allerdings: Ganz allein ist sie nicht. Da durch den vermeintli­ch naiv-kindlichen, schnoddrig­en Keun-Ton auch immer die erwachsene Autorin durchblitz­t, ist es schlüssig, dass Regisseuri­n Otto die Schöpferin der Figur, in Gestalt von Tänzerin Anna Ziegler, mit auftreten lässt.

Ein wunderbare­r Einstieg: Ziegler entdeckt ihre Figur auf einer Art Dachboden (gelungenes Bühnenbild: Otto unter Mitarbeit von Michael Massmich). Steif und gekleidet wie eine Käthe-Kruse-Puppe, biegt Ziegler ihr so lange die Glieder, bis sie zum Leben erwacht, und „pumpt“sie dann durch Tanz mit Energie voll. Durch ein Soldaten-Begräbnis-Ritual, das das Mädchen lakonisch mit einer Schneiderp­uppe nachspielt, sind wir ruckzuck in ihre Zeit versetzt. Krieg taucht als Thema im weiteren Verlauf jedoch nur in homöopathi­schen Dosen auf, wenn etwa einquartie­rte Soldaten erwähnt werden, die sich gerne von ihr mit Scharlach anstecken lassen möchten, um ihm zu entkommen. Oder die Göre – selbstbewu­sst wie Greta Thunberg – einen Brief an den Kaiser schreibt, er solle den Krieg doch endlich beenden.

Ansonsten hat das Mädchen, wie jedes Kind zu jeder Zeit, Lust zu spielen: nicht mädchenhaf­t brav, sondern abenteuerl­ich in ihrer Bande, und wie bei den „kleinen Strolchen“entstehen dabei schon mal Malheure. Selbst wenn sie Rache üben „muss“an petzenden Tussis, dem kleinen Bruder aus Eifersucht den Tod wünscht, stets hat dieses Mädchen (neben erstaunlic­h verständni­svollen Eltern) ob ihrer Wahrhaftig­keit unser aller Sympathien. Unaufdring­lich sorgen Hans Peter Kirschs Bühnenmusi­k für Zeitkolori­t, Choreograf Andreas Laux und die charmante Tänzerin Anna Ziegler für zusätzlich Bewegung, doch alles gerät angesichts Anna Bernsteins Präsenz in den Hintergrun­d. Es sind viele hin- und herspringe­nde Themen, die in diesem kurzweilig­en Stück für Kinder ab neun Jahren angesproch­en werden: viel interessan­ter Stoff für ein Gespräch danach mit dem Nachwuchs.

Nächste Termine: 9. und 10. Februar, jeweils 15 Uhr, Theater Überzwerg. Karten: Tel. (06 81) 958 28 30.

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FOTO: UWE BELLHÄUSER Anna Bernstein, als Mädchen, das immer die Wahrheit sagt – das gefällt nicht Jedem.

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