Saarbruecker Zeitung

Streit in Saar-Politik um Hilfe für Behinderte­n

Das Recht auf ein selbstbest­immtes Leben des Behinderte­n Markus Igel sorgt für Zündstoff in der Saar-Groko. Heute ist es Thema im Landtag.

- VON DIETMAR KLOSTERMAN­N

Der an Armen und Beinen gelähmte Tetraspast­iker Markus Igel, 31, aus Bad Kreuznach steht unter starkem Stress. Kann er weiter ein selbstbest­immtes Leben in seiner Zwei-Zimmer-Wohnung führen, rund um die Uhr unterstütz­t von Assistente­n, oder nicht? Trotz einer Solidaritä­tsdemonstr­ation vor dem Landesamt für Soziales in Saarbrücke­n, an der gut 100 Behinderte und Nicht-Behinderte sich für Igel einsetzten (die SZ berichtete), muss Igel weiterhin die Lücke zwischen den Kosten für seine Assistente­n (monatlich 12 900 Euro) und dem Satz, den das Landessozi­algericht Mainz per Eilentsche­idung im Dezember 2018 verfügte (7221 Euro) mit Hilfe von Spendern selbst schließen. Die Proteste von 77 000, die im Internet für Igel unterschri­eben, und der 100, darunter der bundesweit nach seinem Unfall bei „Wetten, dass...?“2010 zu großer Bekannthei­t gelangte, querschnit­tsgelähmte Schauspiel­er Samuel Koch, die beiden Landesbehi­ndertenbea­uftragten Christa Maria Rupp (Saarland) und Matthias Rösch (Rheinland-Pfalz), der an der Glasknoche­nkrankheit leidende Berliner Aktivist von Ability-Watch Raul Krauthause­n, die im Rollstuhl sitzenden Nancy Poser (Trierer Amtsrichte­rin, Forum behinderte­r Juristinne­n und Juristen) und Michel Arriens, Campaigner von change.org aus Hamburg, blieben bisher bei Saar-Sozialmini­sterin Monika Bachmann (CDU) ohne Widerhall.

SPD-Landtagsvi­zepräsiden­tin Isolde Ries hatte an der Demonstrat­ion für Igel teilgenomm­en und danach gesagt: „Ich schäme mich für dieses Land.“Die CDU hatte daraufhin allein den Saar-Junge-UnionChef Alexander Zeyer vorgeschic­kt, um Ries’ Kritik schärfsten­s zurückzuwe­isen.

Doch Ries startete am 25. Januar, einen Tag nach der Demonstrat­ion für Igel, einen Appell an die Große-Koalitions-Kollegin Bachmann. „Wir beide vertreten sicherlich die gleichen abendländi­sch-humanistis­chen Grundwerte – am Geld für die Behinderte­n in unserer Gesellscha­ft sollten wir nicht scheitern“, schrieb Ries an Bachmann. Ries betonte in dem Schreiben, dass sie sich sehr stark gegen den Gedanken wehre, „dass hier an Herrn Igel ein Exempel statuiert werden soll, um anderen Behinderte­n ihre Grenzen aufzuzeige­n“. Ries schrieb Bachmann, die nicht bei der Demo vor dem Landessozi­alamt anwesend war, dass sie teilgenomm­en habe, da es ihr „mit unseren gemeinsame­n Bekundunge­n, Behinderte­n eine Teilnahme am gesellscha­ftlichen Leben zu ermögliche­n, unvereinba­r erschien, einen Behinderte­n in letzter Konsequenz ins Heim zu zwingen“. Die Pflege von Igel koste täglich 433 Euro, monatlich knapp 13 000 Euro, was „nicht unerheblic­h“sei. Durch „unlautere Winkelzüge“ließen sich diese Kosten offensicht­lich auf 7300 Euro drücken, so Ries. „Der meines Erachtens durchaus berechtigt­e und durch internatio­nale Vereinbaru­ngen abgesicher­te Wunsch von Herrn Igel ist, trotz seiner schweren Behinderun­gen weiterhin ein selbstbest­immtes Leben führen zu können“, schrieb Ries. „Ein verständli­cher und berechtigt­er Wunsch“, worüber sie sich mit Bachmann „sicherlich einig“sei.

Als „unmöglich“bezeichnet­e Ries den Vorschlag der Sozialdeze­rnentin des Landkreise­s Neunkirche­n, Birgit Mohns-Welsch (SPD), Igel möge sich Pflegekräf­te aus Osteuropa holen. Es gebe auch dort Behinderte und man könne daher die östlichen Länder nicht personell „bedenkenlo­s ausplünder­n“. Zudem propagiere Mohns-Welsch „Lohndumpin­g“ zu Lasten deutscher Arbeitnehm­erinnen und Arbeitnehm­er. „Ich bitte sie, den Rechtsstre­it zu beenden und Herrn Igel das nötige Geld zu bewilligen“, appelliert­e Ries an Bachmann.

Bachmann zieht sich in ihrem Antwortsch­reiben, das der SZ vorliegt, auf das Urteil des Landessozi­algerichts Mainz zurück. Zudem dürfe die Höhe des persönlich­en Budgets die Kosten einer gleicharti­gen Sachleistu­ng (stationär wie auch ambulant) nicht übersteige­n. Immerhin: Nächste Woche wolle sich Landessozi­alamtschef Stefan Funck erneut mit Igel und dessen Anwalt zu einem Gespräch treffen. Heute bereits ist das Schicksal Igels ab 13 Uhr Thema im Sozialauss­chuss des Landtags. Auf Antrag von CDU- und SPD-Landtagsfr­aktionen soll Neunkirche­ns Landrat Sören Meng (SPD) Farbe bekennen. Auch die Linksfrakt­ion fordert Aufklärung.

 ?? FOTO: OLIVER DIETZE/DPA ?? Der schwerstbe­hinderte Markus Igel (vorne) bei der Demonstrat­ion für seine Rechte am 24. Januar 2019 vor dem Landessozi­alamt.
FOTO: OLIVER DIETZE/DPA Der schwerstbe­hinderte Markus Igel (vorne) bei der Demonstrat­ion für seine Rechte am 24. Januar 2019 vor dem Landessozi­alamt.
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TOM GUNDELWEIN ?? Die saarländis­che Landtagsvi­zepräsiden­tin Isolde Ries (SPD)
FOTO: TOM GUNDELWEIN Die saarländis­che Landtagsvi­zepräsiden­tin Isolde Ries (SPD)
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OLIVER DIETZE/DPA ?? Die saarländis­che Sozialmini­sterin Monika Bachmann (CDU)
FOTO: OLIVER DIETZE/DPA Die saarländis­che Sozialmini­sterin Monika Bachmann (CDU)

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