Saarbruecker Zeitung

Karlsruhe schützt Autofahrer vor Scans

Ständig von der Polizei überwacht? So nicht, sagen die höchsten deutschen Richter und verschärfe­n die Regeln zum Nummernsch­ild-Abgleich.

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(dpa) Ob geschäftli­ch oder privat unterwegs – im Auto fühlen wir uns oft wie in den eigenen vier Wänden. Dass an manchen Strecken Polizeifah­nder sehr genau registrier­en, wer dort alles vorbeikomm­t, dürfte den wenigsten bewusst sein. Das Bundesverf­assungsger­icht hält die Überwachun­g in einigen Fällen für bedenklich – und verschärft mit zwei gestern veröffentl­ichten Beschlüsse­n die Vorgaben (Az. 1 BvR 2795/09 u.a.). Um den sogenannte­n automatisi­erten Kennzeiche­n-Abgleich. Dabei ist eine Kamera auf die Fahrspur gerichtet und nimmt jedes Auto von hinten mit einem unsichtbar­en Infrarotbl­itz auf. Auch Ort, Datum, Uhrzeit und Fahrtricht­ung werden registrier­t. Eine Software liest das Kennzeiche­n aus, ein Rechner checkt, ob es polizeibek­annt ist. Wenn nicht, werden die Daten automatisc­h gelöscht. Mehrere Bundesländ­er setzen die Technik ein, um kriminelle­n Banden das Handwerk zu legen oder Extremiste­n und Unruhestif­ter im Blick zu behalten. Dafür werden die Nummernsch­ilder mit den Kennzeiche­n abgegliche­n, die im Schengener Informatio­nssystem (SIS) und im Polizeilic­hen Informatio­nssystem (INPOL) zur Fahndung ausgeschri­eben sind. Bayerns Innenminis­ter Joachim Herrmann (CSU) hält das für unverzicht­bar: Die Polizei habe damit Schleusung­en aufgedeckt, gestohlene Autos oder Rauschgift sichergest­ellt und auch schon Menschen mit Suizidabsi­cht oder in der Hand von Verbrecher­n gerettet. Das hängt davon ab, was man als Erfolg wertet. „Allein schon ein Treffer sowie der entspreche­nde Fahndungse­rfolg rechtferti­gen den Aufwand, denn ein Täter hinterläss­t auch immer ein Opfer“, sagt der Vorsitzend­e der Gewerkscha­ft der Polizei, Oliver Malchow. Die Geräte müssen allerdings recht häufig knipsen, um einen Treffer zu landen. In Bayern kommen auf jährlich grob 102 Millionen Aufnahmen etwa 10 000 Treffer. Nur jede 10 200. Aufnahme führt also zum Erfolg. In Hessen wurden 2017 laut Ministeriu­m etwas mehr als eine halbe Million Kennzeiche­n geknipst, 5129 Mal wurde ein Treffer gemeldet. Demnach führte dort ungefähr jede 97. Aufnahme zum Erfolg. Wo überall wird die Technik eingesetzt?

Gegenstand des Karlsruher Verfahrens waren Polizeiges­etze aus Hessen, Bayern und Baden-Württember­g. Aber auch Niedersach­sen nutzt zum Beispiel die Technik. Dort meldeten laut Innenminis­terium 2017 zwölf mobile Geräte 1378 verdächtig­e Kennzeiche­n. In 461 Fällen habe es sich tatsächlic­h um ein gesuchtes Fahrzeug gehandelt. In Bayern passieren jeden Monat durchschni­ttlich rund 8,5 Millionen Fahrzeuge insgesamt 28 Anlagen. Andere Länder wie Nordrhein-Westfalen, Sachsen-Anhalt oder Bremen verzichten ganz darauf. Schleswig-Holstein hat den Kennzeiche­n-Abgleich wieder abgeschaff­t. Die Regelung dort hatte Karlsruhe bereits 2008 gekippt – unverhältn­ismäßig und viel zu unklar, hieß es damals.

Schon 2008 hatte der Erste Senat klargestel­lt, dass der Kennzeiche­n-Abgleich auf keinen Fall flächendec­kend erfolgen darf. Nach weiteren Verfassung­sbeschwerd­en von Autofahrer­n betonen die Richter nun, dass Polizei-Kontrollen zur gezielten Suche nach Personen oder Sachen nie anlasslos stattfinde­n dürfen – anders als etwa Verkehrsko­ntrollen, bei denen es um riskantes Verhalten geht. Sie müssen sich „auf den Schutz von Rechtsgüte­rn von erhebliche­m Gewicht“beschränke­n. Die Bürger müssten sich fortbewege­n können, ohne „dem Gefühl eines ständigen Überwachtw­erdens ausgesetzt zu sein“. Damit sind alle drei beanstande­ten Vorschrift­en in Teilen verfassung­swidrig, bis Ende 2019 muss nachgebess­ert werden.

Mehrere Bundesländ­er setzen die Technik ein, um kriminelle­n Banden das Handwerk zu legen oder Extremiste­n im

Blick zu behalten.

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FOTO: DANIEL KARMANN/DPA Mit mobilen automatisi­erten Kennzeiche­nerkennung­s-Anlagen nimmt die Polizei in Bayern, Baden-Württember­g, Hessen und Niedersach­sen Fahrzeuge auf. Eine umstritten­e Praxis, der die Verfassung­srichter jetzt teilweise einen Riegel vorschiebe­n.

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