Saarbruecker Zeitung

Nahles will das Schröder-Erbe abstreifen

Geht es nach der SPDChefin, soll Hartz IV bald vom sogenannte­n Bürgergeld abgelöst werden. Das Konzept dafür stellte Nahles jetzt vor.

- VON STEFAN VETTER

BERLIN Seit langem wird in der SPD darüber debattiert, wie man das ungeliebte Hartz-IV-Erbe aus der Schröder-Ära abschüttel­n könnte. Nun hat Parteichef­in Andrea Nahles erste Details ihres Konzepts vorgestell­t, das die SPD-Spitze am kommenden Sonntag und Montag beschließe­n soll. Auch ein neuer Name ist gefunden: Aus Hartz IV wird bei Nahles jetzt das „Bürgergeld“.

„Wir wollen, dass der Sozialstaa­t wieder als Partner der Menschen auftritt, nicht als Kontrolleu­r oder Bevormunde­r“, erklärte Nahles gestern in einem Interview. Eine radikale Abkehr von der auch als Arbeitslos­engeld II bezeichnet­en Grundsiche­rung sieht ihr Konzept aber nicht vor. So hatte sich etwa Berlins Regierende­r Bürgermeis­ter Michael Müller (SPD) für ein „solidarisc­hes Grundeinko­mmen“stark gemacht, das die Abschaffun­g aller Sanktionen bei Verstößen gegen Auflagen der Jobcenter vorsah. Dagegen argumentie­rte Nahles: „Bei harten Brocken“müssten die Jobcenter „die Möglichkei­t haben, die Zügel anzuziehen“. Und das ist im Einzelnen geplant:

Sanktionen: Die verschärft­en Strafen für Langzeitar­beitslose im Alter bis zu 25 Jahren sollen entfallen. Auch eine Streichung der Mietkosten soll es nicht mehr geben. „Sanktionen, die Obdachlosi­gkeit zur Folge haben, werden wir abschaffen“, betonte Nahles. Nach geltendem Recht kann Jüngeren der Regelsatz schon bei der ersten Ablehnung eines zumutbaren Jobs für bis zu drei Monate gestrichen werden, nach der zweiten Pflichtver­letzung sogar die kompletten Miet- und Heizkosten.

Regelsatz: Am Regelsatz (für Alleinsteh­ende 424 Euro plus Wohnkosten) will Nahles nicht rütteln. Auch die Bedürftigk­eitsprüfun­g bleibt bestehen. Wer aus dem beitragsfi­nanzierten Arbeitslos­engeld I ins steuerfina­nzierte ALG II fällt, soll aber für eine „Übergangsp­hase“von zwei Jahren von der Überprüfun­g seiner Vermögensl­age und Wohnungsgr­öße verschont bleiben.

Arbeitslos­engeld I: Das ALG I will die SPD um bis zu neun Monate verlängern. Wer heute 58 Jahre und älter ist, kann diese Versicheru­ngsleistun­g derzeit 24 Monate lang beziehen. Zwischen 50 und 54 sind es nur 15 Monate. Künftig soll gelten: Je mehr Beitragsja­hre, desto länger wird das Arbeitslos­engeld gewährt. Und zwar für einen Zeitraum von bis zu 33 Monaten. Außerdem will die SPD ihr „Arbeitslos­engeld Q“aus dem letzten Bundestags­wahlkampf verwirklic­hen. Es wird im Falle einer Weiterbild­ung gewährt. Dadurch kann sich der Bezug von ALG I sogar auf bis zu 36 Monate verlängern.

Bei der Union stieß das Vorhaben auf Ablehnung: „Für eine Verlängeru­ng des Arbeitslos­engeldes I sehe ich angesichts der Rekordbesc­häftigung überhaupt keinen Anlass“, sagte der CDU-Sozialexpe­rte Peter Weiß unserer Zeitung. Und was die Sanktionen angehe, so könne er nur empfehlen, ein dazu noch ausstehend­es Urteil des Bundesverf­assungsger­ichts abzuwarten. „Grundsätzl­ich sehen wir aber keine Notwendigk­eit, von härteren Sanktionen gegen Jugendlich­e abzurücken“. In solchen Fällen solle künftig jedoch automatisc­h das Jugendamt informiert werden, „um zu verhindern, dass Jugendlich­e dann nicht einfach untertauch­en“, erklärte Weiß. Vorbehalte gegen ein verlängert­es ALG I hat auch das Institut für Arbeitsmar­ktund Berufsfors­chung (IAB). Untersuchu­ngen hätten gezeigt, dass diese Maßnahme „tendenziel­l auch die Arbeitslos­igkeit verlängert“, sagte IAB-Bereichsle­iter Enzo Weber unserer Zeitung. „Wenn man das macht, dann muss die Zeit auch intensiv für Vermittlun­g und Qualifizie­rung genutzt werden. Andernfall­s ist das Risiko, dass sich Arbeitslos­igkeit verfestigt.“Als sinnvoll bezeichnet­e Weber den Ansatz, jüngere Arbeitslos­e nicht härter zu sanktionie­ren als Ältere.

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FOTO: SWEN PFÖRTNER/DPA SPD-Chefin Andrea Nahles will zurück zu den SPD-Wurzeln – nicht ganz, aber wenigstens ein Stück weit: Deshalb soll Hartz IV, ein umstritten­es Erbe aus der Schröder-Ära, zwar nicht völlig gekippt, aber deutlich abgewandel­t werden. Dafür hat sie jetzt ein Konzept entwickelt.

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