Saarbruecker Zeitung

VdK will Behinderte­n-Assistenz vereinheit­lichen

Nach der Sitzung des Landtags-Sozialauss­chusses gibt es keine Lösung im Streit um den Fall des Schwerstbe­hinderten Markus Igel.

- VON DIETMAR KLOSTERMAN­N

Im Streit um die Bezahlung der Kosten für die Assistenzk­räfte des schwerstbe­hinderten Tetraspast­ikers Markus Igel, 31, aus Bad Kreuznach hat die ebenfalls schwerstbe­hinderte Trierer Amtsrichte­rin Nancy Poser gestern dem saarländis­chen Landesamt für Soziales ein fehlendes Gesetzesve­rständnis vorgeworfe­n. „Es gibt definitiv keine Kostenbegr­enzung“, sagte Poser der SZ. Igel zahlt derzeit 12 900 Euro an seine elf Assistente­n, auf deren Hilfe der aus dem Saarland stammende, an Armen und Beinen gelähmte Mann 24 Stunden täglich angewiesen ist. Vom Landesamt für Soziales Saarland, dem Landkreis Neunkirche­n und dem Medizinisc­hen Dienst (MDK) bekommt er 7221 Euro für sein persönlich­es Budget, was auch vom Landessozi­algericht in Mainz in einem Eilbeschlu­ss im Dezember 2018 bestätigt wurde.

Ein Urteil im Hauptsache­verfahren vor dem Sozialgeri­cht Mainz steht seit viereinhal­b Jahren aus, Igel hat gegen den Eilbeschlu­ss aus Mainz Verfassung­sklage beim Bundesverf­assungsger­icht in Karlsruhe eingereich­t. „Weit kommen wir nicht mehr. Wir haben noch 20 000 Euro an Spendengel­dern“, sagte Poser, die auch das Forum behinderte­r Juristinne­n und Juristen vertritt. Igel befürchtet, dass er in ein Heim gehen muss, wenn er die Lücke zwischen den Behördenza­hlungen und den Aufwendung­en für seine Assistente­n nicht mehr schließen kann. Poser sagte, sie kenne Hunderte Fälle in Deutschlan­d, die mit persönlich­em Budget ihre 24-Stunden-Assistenz bezahlen könnten. Sie selbst zähle dazu.

Armin Lang (SPD), Chef des mit 46 000 Mitglieder­n größten Sozialverb­andes im Saarland, des Vereins „Verband der Kriegsbesc­hädigten, Kriegshint­erbliebene­n und Sozialrent­ner Saarland“, kurz VdK, fordert jetzt ein bundesweit­es Konzept für Assistenzs­ysteme. Angesichts unterschie­dlicher Herangehen­sweisen in den Ländern müsse mehr Rechtssich­erheit geschaffen werden, sagte

„Wir können nicht über rechtliche Dinge hinweggehe­n.“

Hermann Scharf

Sprecher für Sozialpoli­tik und stellvertr­etender Vorsitzend­er der CDU-Landtagsfr­aktion

Lang der SZ. Entscheide­nd bei den Assistenzs­ystemen sei die Frage „Wer ist nachts da?“. „Wenn wir das hinbekomme­n, haben wir die Lösung“, so Lang. Er kündigte an, über den VdK-Bundesverb­and das Thema auf die bundesweit­e Tagesordnu­ng setzen zu wollen. Das Dilemma im Sozialrech­t sei das „Wirtschaft­lichkeitsg­ebot“. Es gebe auch im Saarland Hunderte Fälle wie den von Igel, bei denen ein persönlich­es Budget für ein selbstbest­immtes Leben des Behinderte­n gelte. Aber die Frage sei, wo das Wunsch- und Wahlrecht seine Grenzen habe. Das bestätigte auch die Saar-VdK-Justiziari­n Sandra Metzen, die von der „Kosten-Nutzen-Relation“sprach, nach der die Träger entschiede­n.

Bereits heute treffen sich nach SZ-Informatio­nen in Saarbrücke­n Igel und sein Anwalt mit dem Leiter des Landessozi­alamts, Stefan Funck, sowie Vertretern des Landkreise­s Neunkirche­n. Zuvor hatte der Neunkirche­r Landrat Sören Meng (SPD) in einer Mitteilung betont, er könne sich aufgrund des Sozialdate­nschutzes und der Persönlich­keitsrecht­e von Igel nicht weiter äußern. „Ich stelle allerdings fest, dass der Landkreis Neunkirche­n im Rahmen der gesetzlich­en Vorgaben im Bereich der Hilfe zur Pflege das Mögliche gewährt“, sagte Meng.

Nach Angaben des behinderte­npolitisch­en Sprechers der Linksfrakt­ion, Ralf Georgi, gab es gestern im Sozialauss­chuss des Landtags eine „hitzige Debatte“zum Fall Igel. Danach sei Igels Schicksal weiter in der Schwebe geblieben. Der Sitzungsle­iter und stellvertr­etende Vorsitzend­e der CDU-Fraktion, Hermann Scharf, sagte der SZ: „Wir können nicht über rechtliche Dinge hinweggehe­n.“Einmütige Meinung im Ausschuss sei gewesen, dass jetzt dringend ein Urteil des Sozialgeri­chts Mainz gebraucht werde. Landtagsvi­zepräsiden­tin Isolde Ries (SPD) habe der Sache mit ihrer Äußerung „Ich schäme mich für dieses Land“einen „Bärendiens­t“erwiesen, betonte Scharf. Sebastian Thul, Sprecher der SPD-Fraktion für Behinderte­n- und Gleichstel­lungspolit­ik, bestätigte, dass Ries’ Verdikt „für Furore gesorgt“habe. Der Fall Igel sei aber ein Konflikt wie er häufig vorkomme. Zudem seien Vertreter des Landesrech­nungshofes im Ausschuss gewesen, die die Vorgehensw­eise der Saar-Behörden bestätigt hätten.

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FOTO: OLIVER DIETZE/DPA Zusammen mit 100 teils prominente­n Unterstütz­ern demonstrie­rte der schwerstbe­hinderte Markus Igel (vorne im Rollstuhl) am 24. Januar vor dem Landessozi­alamt für sein Recht auf ein selbstbest­immtes Leben.

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