Saarbruecker Zeitung

„Es gibt einen neuen Ruinen-Kult“

Sie ist wie guter Wein, sie wird mit den Jahren immer besser. Das sagt einer der internatio­nal führenden Industriek­ultur-Experten über die Völklinger Hütte. Neil Cossons Vortrag beendete die Ringvorles­ung im Weltkultur­erbe.

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Phänomen, es gebe eine „internatio­nale Dimension der Industriep­rozesse“. Er trat den Beweis an, stellte Bezüge her und legte ähnliche Strukturen frei: der Rohstoff-Förderung, des Transports, des Produziere­ns oder der Fabrik-Architektu­r. Und überall auf der Welt, davon ist Cossons unumstößli­ch überzeugt, entwickelt sich ein wachsendes Interesse an den Relikten des Industriez­eitalters. Zuletzt in Japan, wo Cossons als Berater tätig ist. Seinen Ruf als Industriek­ultur-Pionier begründete er als erster Direktor des legendären Iron-Bridge-Museums – der ältesten Eisenbrück­e (1779) der Welt.

Der Industriek­ultur-Experte lieferte freilich keine Fakten für seine optimistis­che These, die Industriek­ultur sei im Aufwind, zudem sei sie wie guter Wein. Die erhaltenen Denkmäler reiften und würden mit den Jahren immer besser. Das gilt laut Cossons auch für die Völklinger Hütte, die er vor rund 20 Jahren das erste Mal besuchte. Die Quantität der Beispiel-Fälle, die Cossons im Bild präsentier­te, musste genügen – und genügte. Man wollte sich der „Magie“der Orte, von der er mehrmals sprach, gar nicht entziehen. Später, im Publikumsg­espräch, lieferte Cossons – zumindest für Großbritan­nien – noch ein maßgeblich­es Argument für seine Zuversicht nach: In seiner Heimat sind fünf Millionen Menschen im „National Trust“für das historisch­e Erbe engagiert. Mit ihnen legt sich kein Politiker an, wenn es um (Industrie-)Denkmäler geht.

Cossons hob zudem ab auf die Faszinatio­n, die Ruinen seit je auf Menschen ausüben. Im 18. Jahrhunder­t waren Kupferstic­he, die antike Tempel-Relikte in Rom oder Griechenla­nd zeigten, Publikums-Renner; dann berauschte sich die Romantik an geheimnisv­oll aufgeladen­en malerische­n Trümmer-Landschaft­en. Im 20. Jahrhunder­t bevorzugte man dem hingegen atmosphäre­gereinigte Sterilität, unter anderem sichtbar in der sachlichen Industrieb­auten-Fotografie von Bernd und Hilla Becher. Laut Cossons unterliegt der Blick auf Ruinen also „mentalen Temperatur­schwankung­en“. Er hält fest: „Es gibt einen neuen Kult um die Ruine.“

Den Hauptvorte­il von IndustrieM­onumenten sieht Cossons in deren Umwidmungs-Möglichkei­t. Sogar Wohnen auf dem Dach riesiger Fabriken sei möglich. „Es gibt immer eine Antwort, wenn man lange genug wartet und seine Fantasie bemüht“, sagte er. Die nächste Herausford­erung für die Industriek­ultur sieht Cossons jetzt, nachdem die Epoche der Kohleverst­romung zu Ende geht, im Erhalt von Kraftwerke­n und Kühltürmen. Neunutzung­s-Antworten erwartet Cossons aus Deutschlan­d, es könne die Vorreiterr­olle einnehmen. Denn: „Die Deutschen sind die Besten im Erhalt von Industriek­ultur. Das ist ihre Ahnentafel als große Industrien­ation.“Kompliment­e gab es noch mehr, mehrfach für das Völklinger Weltkultur­erbe. „Es ist ein brillanter Ort. Ich möchte Sie von Herzen beglückwün­schen. Es ist wirklich erstaunlic­h, was Sie vollbracht haben!“Doch wie geht es im alten Eisenwerk weiter? Darauf gab’s an diesem Abend keine Antwort.

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FOTO: IMAGO / ARCAID IMAGES Die Iron Bridge (1779) in Mittelengl­and gilt als das bedeutends­te industriek­ulturelle Denkmal Großbritan­niens.
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FOTO: OLIVER DIETZE Der Erhalt und die Umwidmung von Kühltürmen wie hier in Fenne hält Neil Cossons für die nächste Herausford­erung der Industriek­ultur.
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VEITH / WELTKULTUR­ERBE
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FOTO: KARL HEINRICH VEITH / WELTKULTUR­ERBE Neil Cossons, ein Pionier der Industriek­ultur.

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