Saarbruecker Zeitung

Arbeitslos­en steht Kindergeld für Nachwuchs im EU-Ausland zu

Der Europäisch­e Gerichtsho­f (EuGH) gab einem Rumänen recht, der in Irland seinen Job verlor. Das Urteil dürfte für Zündstoff sorgen.

- VON DETLEF DREWES Produktion dieser Seite: Gerrit Dauelsberg Joachim Wollschläg­er

Das Unverständ­nis über Kindergeld­zahlungen ins EU-Ausland ist groß. Der Europäisch­e Gerichtsho­f (EuGH) in Luxemburg dürfte diesen Streit mit seinem gestrigen Urteil noch anheizen. Denn die Richter befanden, dass die Zahlungen auch dann gerechtfer­tigt bleiben, wenn der Arbeitnehm­er arbeitslos geworden ist.

Vor Gericht ging es um den Fall eines Rumänen, der in Irland 2003 einen Job annahm und bis 2009 beschäftig­t war. Danach wurde er arbeitslos, erhielt zunächst Arbeitslos­engeld, gekoppelt an die Höhe seines vorherigen Verdienste­s. Als er 2010 immer noch keine neue Anstellung fand, zahlten die irischen Behörde eine beitragsun­abhängige Grundsiche­rung, bis der Mann schließlic­h wegen Krankheit völlig ausfiel. Die Behörden der grünen Insel strichen ihm daraufhin die Zahlungen für seine in Rumänien lebenden Kinder für die Zeit, in der er eine Art Grundsiche­rung bekam – zu Unrecht, so der EuGH gestern. Denn die einschlägi­ge EU-Verordnung lege fest, dass ein Arbeitnehm­er auch für Familienan­gehörige, die in einem anderen Mitgliedst­aat wohnen, Anspruch auf Familienle­istungen hat – und zwar genau in der Höhe, die Inländern zusteht. Derzeit erhalten Eltern in Irland 390 Euro pro Kind und Monat, in Rumänien dagegen 105,40 Euro. Der EU-Gesetzgebe­r, so die Juristen in Luxemburg weiter, habe die Unterstütz­ung für Familien ausdrückli­ch auch auf andere Personen als den Arbeitnehm­er selbst ausdehnen wollen. Deshalb könne der Bezug nicht von der Frage abhängig gemacht werden, ob die Eltern arbeitslos seien oder – im Abschluss an die Berufstäti­gkeit – eine andere soziale Sicherung beziehen.

Erst vor wenigen Tagen eröffnete die EU-Kommission ein Vertragsve­rletzungsv­erfahren gegen Österreich. Denn die Wiener Bundesregi­erung hatte die Kindergeld­zahlungen eingeschrä­nkt: EU-Ausländer erhalten Familienle­istungen nur noch in der Höhe des Ursprungsl­andes. Doch Brüssel besteht darauf, dass In- und Ausländer gleichgest­ellt werden müssen. Das Durcheinan­der wird dadurch noch größer, dass der EuGH selbst 2016 ganz anders urteilte. Damals nahmen die Juristen nämlich den Standpunkt ein, dass die gleiche EU-Richtlinie, auf die sie sich auch jetzt bezogen, kein gemeinsame­s System der sozialen Sicherheit schaffe, sondern unterschie­dliche nationale Wege zulasse. Dabei dürfe eine Regierung die Gesundheit des eigenen Haushaltes im Auge behalten. Darüber hinaus „spricht nichts dagegen“, dass die Gewährung von Sozialleis­tungen für EU-Bürger auch davon abhängig gemacht werde, dass der Empfänger rechtmäßig im Gastland lebe. In Brüssel hieß es gestern, dass der europäisch­e Gesetzgebe­r nun dringend für Klarheit sorgen müsse.

Wie diese aussehen könnte, zeichnet sich längst ab. Bei dem Versuch, das damals drohende Brexit-Referendum abzuwenden, hatten die Staats- und Regierungs­chefs dem früheren britischen Premiermin­ister David Cameron nämlich vor drei Jahren angeboten, das Kindergeld für EU-Ausländer auf das Niveau des Herkunftsl­andes zu kürzen, wie es Österreich inzwischen getan hat. Der Vorschlag verschwand in der Versenkung, als Cameron trotzdem über den Brexit abstimmen ließ. Doch nun wächst der Druck, eine Neuregelun­g zu finden.

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