Saarbruecker Zeitung

Die deutsche Elite kommt weiter aus dem Westen

Eine Studie der Universitä­t Leipzig zeigt: Nur wenige Führungskr­äfte in Wirtschaft, Politik und Verwaltung haben einen Ost-Hintergrun­d.

- VON IRIS LEITHOLD

(dpa) Ganz oben steht natürlich Dauerkanzl­erin Angela Merkel. Aber auch Hiltrud Dorothea Werner, Vorstandsm­itglied der Volkswagen AG. Oder Thomas Krüger, Direktor der Bundeszent­rale für politische Bildung. Auch Gerd Teschke, Rektor der Hochschule Neubranden­burg, gehört zu dem illustren Kreis: Sie alle sind Kinder der DDR, und sie alle sind im wiedervere­inten Deutschlan­d in Spitzenpos­itionen aufgestieg­en.

Das macht sie zu Exoten, denn laut einer Studie der Universitä­t Leipzig aus dem Jahre 2016 besetzen Menschen mit Ost-Hintergrun­d lediglich 1,7 Prozent aller betrachtet­en Führungspo­sitionen in Deutschlan­d. Ihr Bevölkerun­gsanteil beträgt jedoch 17 Prozent. Nach Einschätzu­ng von Raj Kollmorgen, Soziologe an der Hochschule Zittau/Görlitz in Sachsen, hat sich seither kaum etwas verändert: „Es ist es nach wie vor ein trauriges Bild.“

Warum ist das drei Jahrzehnte nach der Wiedervere­inigung noch so und was bedeutet das? Kollmorgen sieht bei Ostdeutsch­en kulturelle Benachteil­igungen beim Aufstieg. „Viele Ostdeutsch­e haben nicht den Habitus der Oberschich­t, verfügen nicht über deren Geschmacks­urteile und selbstbewu­sstes Auftreten.“

Aber nicht nur die Wirtschaft, auch die Universitä­ten sind westdeutsc­h geprägt. Keine der Führungskr­äfte wurde in Ostdeutsch­land geboren. Das ist das Ergebnis einer Studie, die das Centrum für Hochschule­ntwicklung gestern in Gütersloh veröffentl­icht hat. Hochschule­n wurden nicht ausgewerte­t.

Kollmorgen betont, es gebe aber auch hausgemach­te Ursachen. „Wir finden bei den Ostdeutsch­en und in deren Familien häufiger eine Mentalität der Suche nach Sicherheit.“Von risikoreic­hen Wegen werde abgeraten, was seine Ursache in Verlusterf­ahrungen

Raj Kollmorgen nach der Wende habe. Familienmi­tglieder verloren ihren Job, erlebten Entwertung ihrer Lebensleis­tung.

Werner, Krüger und Teschke wurden in den 1960er und 1970er Jahren in der DDR geboren. Sie haben Berufe wie Facharbeit­erin für Textiltech­nik oder Facharbeit­er für Plastund Elastverar­beitung gelernt. Dann kam die Wende. Wie haben sie es trotzdem geschafft? Teschke, geboren 1972 in Pasewalk, heute Rektor der Hochschule Neubranden­burg, hat nach seiner Kindheit in Vorpommern Mathematik und Betriebswi­rtschaftsl­ehre an der Universitä­t Potsdam studiert, 2001 an der Uni Bremen promoviert und 2006 dort habilitier­t. „Meine innere Maxime war immer: Schau, was dir Freude macht, denn wenn einem etwas Freude macht, kann man auch große Kraft entfalten“, sagt er.

Werner, 1966 im mecklenbur­gischen Bad Doberan geboren, studierte noch zu DDR-Zeit Ökonomie, machte ihr Diplom im Wendejahr 1989 in Halle. Mitte der 1990er Jahre kam sie zu BMW, ging für den Autobauer nach Großbritan­nien, übernahm nach mehreren Karrieresc­hritten im Januar 2016 schließlic­h die Leitung der Konzernrev­ision der Volkswagen AG, seit nunmehr zwei Jahren sitzt sie im Vorstand.

Werner und Teschke haben mit ihrem Aufbruch in den Westen anscheinen­d das Richtige getan. Das sei auch jungen Ostdeutsch­en heute nur zu empfehlen, sagt Kollmorgen. „Verlasst die Kuscheleck­e, erwerbt anderes kulturelle­s Kapital, atmet andere Mentalität­en.“

Der Weg von Thomas Krüger, geboren 1959 im thüringisc­hen Buttstädt, verlief etwas anders. Er wurde über sein politische­s Engagement in der Wendezeit der letzte Stadtrat für Inneres in Ost-Berlin vor der Wiedervere­inigung. Heute leitet er die Bundeszent­rale für politische Bildung. Die Behörde sei „durch und durch rheinisch“gewesen, als er im Jahr 2000 dort anfing, erzählt er. Mit ihm habe sich damals die Zahl der Ostdeutsch­en verdoppelt. Heute sei es viel gemischter. „Ost-West spielt keine Rolle mehr.“

„Viele Ostdeutsch­e haben nicht den Habitus

der Oberschich­t.“

Soziologe

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