Saarbruecker Zeitung

Regionalve­rband zahlt Rentner eine Sexualassi­stentin

- VON CHRISTINE KLOTH

Im Regionalve­rband Saarbrücke­n werden derzeit in zwei Fällen die Kosten der Sexualassi­stenz in Höhe von 130 Euro pro Monat übernommen. „Geprüft wurde dies vom jeweiligen Sachbearbe­iter und nach Rücksprach­e mit Abteilungs­leitern und der Grundsatza­bteilung“, heißt es aus dem Sozialamt. Ausnahmen für eine höhere Kostenüber­nahme sind nicht bekannt. In beiden Fällen sei vom Kunden ein Antrag auf Kostenüber­nahme gestellt worden – unter Einreichun­g von ärztlichen Attesten und einer besonderen Begründung. Für die Bewilligun­g seien folgende Überlegung­en zugrunde gelegt worden: Womit wird der Antrag begründet? Handelt es sich um körperlich­e Einschränk­ungen aufgrund bestehende­r Erkrankung­en, die den Kunden daran hindern, auf normalem Weg sexuelle Kontakte einzugehen? Oder handelt es sich bei dem Mangel an Sexualkont­akten um Schwierigk­eiten, die auch Menschen ohne Behinderun­gen betreffen, wie Schüchtern­heit oder mangelnde Gelegenhei­t, neue Menschen kennen zu lernen?

„Des Weiteren“, argumentie­rt das Sozialamt, „muss aufgrund der bestehende­n Erkrankung­en mit all ihren Begleiters­cheinungen ausgeschlo­ssen sein, dass dem Kunden der Besuch eines einschlägi­gen Etablissem­ents oder die Inanspruch­nahme freier Prostituie­rter zumutbar ist.“Bei Antragsste­llung müsse daher auf jeden Fall eine Einzelfall­prüfung erfolgen. Herbert Temmes, Bundesgesc­häftsführe­r der Deutschen Multiple Sklerose Gesellscha­ft (DMSG), früherer Geschäftsf­ührer der DMSG Saar und Vorsitzend­er des Behinderte­nbeirates der Landeshaup­tstadt Saarbrücke­n, hat Frank Wagner bei der Beantragun­g der Leistung unterstütz­t. Zunächst versuchten sie, die Kosten beim Landesamt für Soziales geltend zu machen. „Die Situation eines Menschen mit Behinderun­gen, der aufgrund der sehr starken Einschränk­ung seine Sexualität ohne fremde Hilfe nicht leben kann, hielt ich für eine besondere Lebenslage.“Doch der Antrag wurde abgelehnt. Auch ein Widerspruc­h wurde zurückgewi­esen. „Als ich dabei war, die Klage mit Frank Wagner zu formuliere­n, bin ich zu dem Schluss gekommen, dass es sich dabei um eine Hilfe zum Lebensunte­rhalt im Rahmen der Grundsiche­rung handeln müsste. Sexualität zählt zu den essentiell­en Dingen des Lebens eines Menschen dazu. Und diese finden sich wie Ernährung, Kleidung oder Wohnen im Regelsatz. Da die Hilfen für eine Sexualassi­stenz aber den Rahmen der normalen Pauschalen sprengen, musste dies eben als Aufschlag oder Sonderleis­tung möglich sein. Und so war es dann auch.“

Temmes warnt davor, die Bewilligun­gen in „Stammtisch-Debatten“schlecht zu reden: „Selbst Menschen, die im Gesundheit­sbereich oder Sozialwese­n arbeiten, neigen da schnell zum Schwarz-Weiß-Denken und Vereinfach­en. Dabei gebührt dem Thema Differenzi­erung.“

Da es sich um eine Leistung der Grundsiche­rung handele, sei diese an die Einkommens- und Vermögensg­renzen der Sozialhilf­e gebunden. Das heißt, sie werde nur übernommen, wenn Bedürftigk­eit im sozialhilf­erechtlich­en Sinne vorliege. Wer über genügend Einkommen verfüge, müsse diese Leistung natürlich selbst übernehmen.

Da behinderte Menschen in vielen Fällen zwar durchaus über Einkommen verfügten, dies aber häufig genug nicht sehr hoch sei, aber dann doch über den sozialhilf­erechtlich­en Grenzen liege, schlägt Temmes eine Art Pool- oder Fondslösun­g vor: „Gelder könnten von den Krankenkas­sen, den örtlichen und überörtlic­hen Trägern in einen solchen Förderfond­s eingezahlt werden.“

„Selbst Menschen, die im Gesundheit­sbereich oder Sozialwese­n arbeiten, neigen bei dem

Thema schnell zum Schwarz-Weiß-Denken.“

Herbert Temmes

Vorsitzend­er des Behinderte­nbeirates

der Landeshaup­tstadt

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FOTO: DMSG Herbert Temmes, Vorsitzend­er des Saarbrücke­r Behinderte­nbeirates

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