Saarbruecker Zeitung

De Maizière schreibt über die Flüchtling­skrise

In seinem Buch „Regieren“schlägt der Ex-Innenminis­ter eher sachliche Töne an. Doch zwischen den Zeilen geht es auch um Kränkungen und offene Rechnungen.

- VON ANNE-BEATRICE CLASMANN

Ex-Innenminis­ter Thomas de Maizière hat ein Buch mit dem Titel „Regieren“geschriebe­n. Darin erklärt er, warum er sich 2015 gegen die Zurückweis­ung von Asylsuchen­den entschiede­n hat.

(dpa) Thomas de Maizière ist 2018 leer ausgegange­n bei der Verteilung der Kabinettsp­osten. An seiner Loyalität zu Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU) hat das nichts geändert. Nur eine winzige kritische Bemerkung erlaubt sich der 65-Jährige in seinem Buch „Regieren“, das im Herder-Verlag diese Woche erscheint: „Sie ist sicher auch nicht die beste aller Redner.“

Das Buch des früheren Ministers ist kein saftiges Enthüllung­sbuch, das Privates aus der Welt der Politik oder überrasche­nde Bekenntnis­se liefert. Dafür ist de Maizière, der immer noch im Bundestag und bei CDU-Parteitage­n oben auf dem Podium sitzt, viel zu höflich und diskret. Warum dann dieses Buch? Seine Frau habe ihn motiviert, es zu schreiben, erklärt de Maizière, „zur Reflexion und Abarbeitun­g sowie zur Wiederanku­nft in einem normalen Leben ohne Ministeram­t“.

Es ist also auch ein therapeuti­sches Buch, geschriebe­n mit etwas Abstand zum Geschehen und zur eigenen Rolle. Doch bei einem Thema – den Flüchtling­en – ist der Abstand vielleicht noch nicht groß genug. Ein knappes Jahr nach seinem Ausscheide­n aus der Bundesregi­erung erklärt der CDU-Politiker jetzt erstmals ausführlic­h, warum er sich im September 2015 gegen die Zurückweis­ung von Asylsuchen­den an der Grenze zu Österreich entschiede­n hat. Viele von ihnen kamen damals ohne Papiere. Den unter anderem von seinem Nachfolger, Bundesinne­nminister Horst Seehofer (CSU), geäußerten Vorwurf, die offenen Grenzen stellten eine „Herrschaft des Unrechts“dar, bezeichnet er als „ehrabschne­idend“.

Die Entscheidu­ng, jedem Asylbewerb­er ohne vorherige Identitäts­prüfung die Einreise zu gestatten, rechtferti­gt de Maizière unter anderem mit Bedenken bayerische­r Kommunalpo­litiker. „Besonders die kommunalpo­litisch Verantwort­lichen vor Ort in Bayern lehnten eine Registrier­ung im Grenzgebie­t ab und bestanden darauf, dass die Flüchtling­e ohne Registrier­ung, die in jedem Einzelfall 30 bis 45 Minuten dauert, sofort weitervert­eilt werden. Andernfall­s könnten sie die Lage nicht mehr beherrsche­n“, schreibt er.

Allerdings: Nicht alle, die damals als Beobachter und Verantwort­liche dabei waren, erinnern es so. „Auf die Mehrheit der CSU-Landräte trifft das sicher nicht zu“, sagt einer, der diese Zeit der schwierige­n Entscheidu­ngen damals hautnah miterlebt hat. Ein anderer, der Deggendorf­er Landrat Christian Bernreiter (CSU), nennt de Maizières Aussage im „Münchner Merkur“gar „Unsinn“. Erst auf Betreiben der Landräte sei die Registrier­ung überhaupt in geordnete Bahnen geraten.

De Maizière und andere Gegner des von der Bundespoli­zei erarbeitet­en Plans für Zurückweis­ungen an der Grenze fürchteten damals wohl auch negative Reaktionen der Bevölkerun­g. De Maizière führt in seinem Buch aus: „Eine konsequent­e Zurückweis­ung wäre zudem nur möglich gewesen unter Inkaufnahm­e von sehr hässlichen Bildern, wie Polizisten Flüchtling­e, darunter Frauen und Kinder mit Schutzschi­lden und Gummiknüpp­eln am Übertreten der Grenze nach Deutschlan­d hindern.“Er betont: „Es gab mitnichten eine Entscheidu­ng zu einer Grenzöffnu­ng durch die Bundeskanz­lerin“. Die Grenzen seien ja schon offen gewesen. Entschiede­n hat er selbst, zumindest formal.

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FOTO: NIETFELD/DPA CDU-Politiker Thomas de Maizière war bisMärz 2018 Bundesinne­nminister.

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