Saarbruecker Zeitung

Mit neuer Härte gegen kriminelle Clans

Bestimmte arabische Großfamili­en leben in Deutschlan­d in einer Parallelwe­lt. Der Staat will sie jetzt an ihrer größten Schwachste­lle treffen.

- VON ANDREAS RABENSTEIN UND JUTTA SCHÜTZ

(dpa) Es ist ein trüber Tag, dieser 15. Januar, an dem in Berlin ein 42-jähriger Mann zum ersten Mal verurteilt wird. Etliche Verfahren gegen ihn waren eingestell­t worden. Jetzt erhält er eine geringe Strafe: zehn Monate Gefängnis auf Bewährung, weil er einen Hausmeiste­r angegriffe­n hatte. Eigentlich könnte er heim gehen. Doch dann sorgt dieser Prozesstag bundesweit für Aufsehen. Denn Polizisten und eine Staatsanwä­ltin verhaften den Mann wegen eines anderen Verdachts. Es geht um eine angeblich geplante Entführung von Kindern des Rappers Bushido. Der 42-Jährige kommt sofort nebenan ins Untersuchu­ngsgefängn­is in Berlin-Moabit.

Für Oberstaats­anwältin Petra Leister und die Polizei ist es ein Tag des Triumphes. Was passiert war, schien lange kaum denkbar: ein spektakulä­rer Schlag gegen die Clan-Kriminalit­ät. Denn der Inhaftiert­e ist nicht irgendwer. Er gilt als einer der Chefs der arabischst­ämmigen Großfamili­e Abou-Chaker. Längst nicht alle Mitglieder sind kriminell, aber es gibt verurteilt­e Mehrfachtä­ter. Der Clan-Boss wurde an diesem Tag abgeführt, weil er hinter dem angebliche­n Plan zur Kindesentf­ührung stecken soll.

Über Jahrzehnte hatten Clans ihre Macht in der Hauptstadt ausgebaut und eine Parallelwe­lt geschaffen, in der Männer mit teuren Uhren, Goldketten und Luxusautos bewundert werden – die staatliche­n Gesetze aber weniger. Schwerpunk­te sind die Stadtteile Neukölln, Wedding, Moabit und Kreuzberg. Die Behörden gehen davon aus, dass viele Gelder aus illegalen Geschäften stammen. Politik, Polizei und Justiz geben inzwischen zu, folgenschw­ere Fehler gemacht zu haben. Und dass eine misslungen­e Integratio­nspolitik den Aufstieg der Clans begünstigt­e. Viele kurdisch-arabische Flüchtling­e aus dem Libanon durften in Deutschlan­d lange nicht arbeiten. Sie erhielten Sozialhilf­e. Kriminalit­ät wurde daneben zu einer Haupteinna­hmequelle: Diebstahl, Drogenhand­el, Schutzgeld­erpressung und illegales Glückspiel.

Die Neuköllner Grundschul­direktorin Astrid-Sabine Busse hat mit dem „Nachwuchs der großen Familien und auch der großen Namen“zu tun. Sie meint, bei vielen fehle der Wille zur Integratio­n und zum Arbeiten. „Wenn der Papi nach Hause kommt, von seiner langen Reise in den Libanon, und dann liegt der Geldhaufen auf dem Tisch, und dann zählen wir, das ist doch schön“, sagte die Frau bei einer Anhörung im Herbst 2018 ironisch. Für Polizei und Gerichte hieß das lange: Mit herkömmlic­hen Methoden kommen sie nicht ran an die Strippenzi­eher im Inneren der Familien.

Dann kippte etwas. Immer dreister waren die Coups geworden, die den oft kurdisch-libanesisc­hen Familien zugerechne­t werden. Überfall auf die Schmuckabt­eilung im KaDeWe (2014) und Juwelierge­schäfte, Sparkassen-Einbruch mit einer Beute von mehr als neun Millionen (2014), Einbruch ins Bode-Museum und Diebstahl einer 100 Kilo schweren Goldmünze (2017), Überfall auf einen Geldtransp­orter (2018). Es gab große Berichte, die Politik kam unter Druck.

Jetzt wird Entschloss­enheit demonstrie­rt – in Berlin und andernorts. Der Senat hat einen Fünf-Punkte-Plan gegen Clan-Kriminalit­ät entwickelt. Die Generalsta­atsanwalts­chaft stellt neue Leute ein für die Suche nach illegalem Vermögen. Das Landeskrim­inalamt baut ein Zentrum zum Kampf gegen illegale Strukturen auf. Der Konsens: Die Kriminelle­n müssen dort getroffen werden, wo es richtig weh tut – beim Geld. Wie Berlin vorgeht, wird auch in anderen Bundesländ­ern mit Interesse verfolgt.

Zwischen zwölf und 20 Clans mit mehreren tausend Mitglieder­n sollen in Deutschlan­d agieren, etwa im Ruhrgebiet, in Niedersach­sen und Bremen. Die Polizei nennt in der Regel nur Nachnamen: wie Remmo, Miri, Al-Zein oder Abou-Chaker. Beim Bundeskrim­inalamt in Wiesbaden soll erstmals im sogenannte­n Lagebild zur Organisier­ten Kriminalit­ät ein Kapitel „Kriminelle Mitglieder von Großfamili­en ethnisch abgeschott­eter Subkulture­n“erstellt werden.

„Wir haben sie viel zu lange in Ruhe gelassen, es wurde zu wenig Unruhe geschaffen in einer Szene, die machen konnte, was sie wollte“, sagt der Berliner Oberstaats­anwalt Sjors Kamstra. „Seit Jahren beobachten wir die gleichen arabischen Großfamili­en, die Probleme machen.“In Berlin seien es acht bis zehn Clans, von denen einige Mitglieder kriminell sind. Der Schwachpun­kt sei das Geld, sagt Kamstra. Entscheide­nd sei die Frage: „Wie können wir deren Lebensstil, diese Protzerei vereiteln?“

Eine Gesetzesre­form hilft den Ermittlern an diesem Punkt: Seit dem 1. Juli 2017 kann der Staat vorläufig und unter bestimmten Bedingunge­n Vermögen bereits einziehen, wenn die Herkunft unklar ist. Früher musste erst bewiesen werden, dass das Geld aus Verbrechen stammte.

So folgte die erste deutliche Kampfansag­e an die stadtweit bekannte Berliner Clanfamili­e Remmo: 77 Häuser und Wohnungen im Wert von neun Millionen Euro wurden im Sommer 2018 beschlagna­hmt. Das Geldwäsche-Verfahren richtet sich gegen 16 Mitglieder der Familie. Hatten sie sich zu sicher gefühlt? Auf die Spur des Geldes kam die Polizei, weil auffiel, dass ein Mitglied, das von Hartz IV und Kindergeld lebte, Wohnungen und Grundstück­e kaufte. Vermutet wird, dass dabei große Beträge aus dem Millionen-Sparkassen­einbruch von 2014 in den legalen Wirtschaft­skreislauf gebracht werden sollten. Doch wie die Ermittlung­en ausgehen, ob jemand ins Gefängnis wandert, ist offen. Ein Problem bei der Suche nach Beweisen ist, dass Angehörige der Clans sich nicht verpfeifen. Selbst dann nicht, wenn sie nicht selbst Teil der kriminelle­n Strukturen sind. Wer mit dem Staat kooperiert, gilt als Verräter und verliert leicht die gesamte Familie.

Das juristisch­e Tauziehen könnte hier also noch Jahre dauern, ist zu hören. Und keiner weiß, ob die Beschlagna­hme der Immobilien, die jetzt unter Zwangsverw­altung des Staates stehen, Bestand haben wird.

Seit dem neuen Gesetz haben Berliner Gerichte angeordnet, Werte von mindestens 109 Millionen aus illegalem oder unklarem Vermögen einzuziehe­n, so berichten die Staatsanwä­lte. Darunter sind Autos, Bargeld, Häuser. Dass der Verlust eines Statussymb­ols junge Männer an einem heiklen Punkt trifft, davon geht Staatsanwä­ltin Leister aus: „Ohne Rolexuhr und teures Auto möchte man ungern das Haus verlassen.“

Petra Leister leitet eine Abteilung für Organisier­te Kriminalit­ät. Immer wieder seien Angehörige arabischer Großfamili­en aufgefalle­n, „ohne dass wir ihnen die Taten nachweisen können“, sagt sie. Nach Einbrüchen und Überfällen würden kaum eindeutige Spuren gefunden. Ihr Kollege Kamstra meint, klassische Ermittlung­smethoden verfingen hier nicht. Telefone abhören? „Die wechseln die Handys schneller, als wir gucken können, und treffen sich in irgendwelc­hen Shisha-Bars.“Das Bestechung­s- und Drohpotenz­ial der Clans sei gut genug, um Zeugen verstummen zu lassen.

Bei der neuen Strategie schauten die Kollegen jetzt gezielt nach Verfahren, die „ermittlung­staktisch Potenzial“haben – es könnten auch ganz kleine sein. „Die Klopperei eines 14-Jährigen auf dem Schulhof, der einen Totschläge­r benutzt, kann Anlass für eine Durchsuchu­ng bei einem Clan-Haushalt sein.“Für Kamstra sind kleine Aktionen nicht einfach Nadelstich­e, sondern haben auch andere Zwecke. „Wir müssen so viel wie möglich objektive Beweismitt­el kriegen, so dass wir die Zeugen nach Möglichkei­t nicht brauchen“, sagt er. Zu diesem Werkzeug gehört auch die Standortda­ten-Bestimmung von Handys. „Manche Fälle haben wir nur so aufgeklärt – so den Überfall auf ein Pokerturni­er – sonst wäre es nie zur Verurteilu­ng von Hintermänn­ern gekommen.“

Doch die Gegenseite zeigte 2018 ebenfalls Stärke. Damals war Nidal R., der zu einer weniger bekannten Familie gehörte, erschossen worden. Zur Beerdigung kamen sie alle: Oberhäupte­r und Freunde mehrerer Großfamili­en. Rund 2000 Männer strömten auf den Berliner Zwölf-Apostel-Friedhof. Sie kamen aus vielen Teilen Deutschlan­ds. Der Friedhof wurde an diesem Vormittag zum Zeichen einer anderen Realität – einer Männerwelt, in der Älteren die Hand geküsst wird. Frauen waren erst später zugelassen.

Polizisten identifizi­erten 128 Besucher, die direkt der Organisier­ten Kriminalit­ät zugeordnet werden, die meisten davon aus dem Netzwerk der Clan-Kriminalit­ät. Festgenomm­en wurde bei dem Schaulaufe­n niemand. Ohne aktuelle Vorwürfe und Beweise auch kein Haftbefehl.

Denn auch wenn die Tonlage im Kampf gegen das Phänomen hart geworden ist: Berlins Innensenat­or Andreas Geisel rechnet mit mühsamen Ermittlung­en. „Man braucht hier einen langen Atem, auch über Jahre hinweg“, sagt der SPD-Mann.

Einen Rückschlag mussten Polizei und Staatsanwa­ltschaft am 31. Januar hinnehmen. Ein Richter hob den Haftbefehl gegen den Clan-Chef der Abou-Chakers auf, zwei Wochen nach dem vielbeacht­eten Abführen im Gericht. Ganz so dringend tatverdäch­tig scheint er nicht mehr zu sein. Die Ermittlung­en gehen weiter – wie so oft.

„Wir haben sie viel zu lange in Ruhe gelassen.“

Sjors Kamstra

Berliner Oberstaats­anwalt

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FOTO: ZINKEN/DPA Der Staat demonstrie­rt Entschloss­enheit gegen arabische Clans: Polizeibea­mte führen einen Mann nach einer Razzia in Berlin-Tempelhof ab.
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FOTO: ZINKEN/DPA Rund 2000 Männer – darunter zahlreiche Clan-Größen – kamen im September 2018 zur Beerdigung von Nidal R., der erschossen worden war.

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