Saarbruecker Zeitung

Der schelmisch­e Provokateu­r aus dem Elsass

Der Zeichner Tomi Ungerer ist im Alter von 87 Jahren gestorben. Sein Plakat für das Saarbrücke­r „Perspectiv­es“-Festival löste 1989 eine Kontrovers­e aus.

- VON KURT KROHN

Die Provokatio­n war Tomi Ungerers liebstes Metier. Mit seinen Zeichnunge­n und Karikature­n trieb er nicht nur den Sittenwäch­tern seiner Zeit die Schamesröt­e ins Gesicht. Auch vor den Allerjüngs­ten machte der Elsässer nicht halt. In seinen berühmten Kinderbüch­ern konfrontie­rt Ungerer die kleinen Leser nicht nur mit den unbeschwer­ten Seiten des Lebens. Kinder seien kleine Erwachsene, so seine Überzeugun­g, man müsse sie herausford­ern, neue Dinge zu lernen. Das war auch sein eigenes Motto. Ungerer sah sein Leben als ständige Herausford­erung, sich weiter zu entwickeln. Nun ist er im Alter von 87 Jahren im Haus seiner Tochter im irischen Cork gestorben.

Zur Welt kam er 1931 als Jean-Thomas Ungerer, als jüngster Sohn einer renommiert­en Uhrmacherf­amilie in Straßburg. Als Kind erlebte er den Zweiten Weltkrieg, die deutsche Besatzung, die Befreiung durch die Franzosen. Bei den einen durfte er nicht mehr Französisc­h sprechen, bei den anderen nicht mehr Deutsch – und Elsässisch war sowieso verpönt.

Vielleicht sind es diese Erlebnisse, die Ungerer gelehrt haben, sich nie zu sehr an eine einzige Heimat

zu klammern. Nach dem Krieg trieb es ihn rastlos durch die Welt. Mitte der 50er Jahre wanderte er aus in die USA. Es gelang ihm, sich in der Szene mit seinen witzigen, provoziere­nden, bisweilen verletzend­en Karikature­n einen Namen zu machen. Auftraggeb­er waren die „Times“oder auch der „New Yorker“. Unger sah aber auch kein Problem darin, Werbeplaka­te für die Industrie zu zeichnen. „Ich will nicht identifizi­ert sein für eine Sache oder eine andere Sache“, sagte Ungerer einmal. „Ich mag, Kinderbüch­er zu machen an einem Tag, und dann am nächsten Tag mache ich vielleicht Plakate oder Reklamen.“

Wegen seiner Plakate gegen den Vietnamkri­eg geriet Ungerer allerdings ins Visier des FBI und seine freimütige­n sexuellen Darstellun­gen überforder­ten das amerikanis­che Publikum. So zog er weiter durch die Welt und ließ sich nie auf ein Genre von Zeichnunge­n festlegen. Vielen Menschen in Deutschlan­d ist Ungerer vor allem als Autor von Kinderbüch­ern bekannt. Zu seinen bekanntest­en Werken zählen „Die drei Räuber“und „Der Mondmann“.

Ungerer war ein Weltenbumm­ler, dennoch blieb er seiner elsässisch­en Heimat verbunden. Zeitlebens setzte er sich für die deutsch-französisc­he Freundscha­ft ein, wofür er 1993 das Bundesverd­ienstkreuz erhielt. „Er war nicht nur ein großer Künstler, er verkörpert­e auch die Komplexitä­t des Elsass, seiner Doppelkult­ur. Wir haben uns vorgestell­t, dass es ewig ist, und jetzt verlässt er uns“, sagte Alain Fontanel, stellvertr­etender Bürgermeis­ter von Straßburg angesichts der Todesnachr­icht.

In seiner Geburtssta­dt wurde ihm schon zu Lebzeiten ein Tomi-Ungerer-Museum eingericht­et. Ein Besuch dort lässt erahnen, mit wie viel Eifer, Furor und Freude dieser Mann gearbeitet hat. Ungerer hinterläss­t über 40.000 Zeichnunge­n, mehr als 150 Bücher, zudem zahllose Bilder, Lithograph­ien und Skulpturen. Informatio­nen: www.strassburg.eu/ tomi-ungerer-museum

 ?? FOTO: FESTIVAL ?? Die Revolution frisst ihre Kinder. Ein Bild aus einem Zyklus Ungerers über die französisc­he Geschichte, gezeichnet für das Saarbrücke­r „Perspectiv­es“-Festival. Als er 1989 ein Plakat für das Festival gestaltete, wurde es verworfen – der damalige SPD-Oberbürger­meister Hans-Jürgen Koebnick fand die erotisch-derbe Darstellun­g von Napoleon und Marianne zu freizügig.
FOTO: FESTIVAL Die Revolution frisst ihre Kinder. Ein Bild aus einem Zyklus Ungerers über die französisc­he Geschichte, gezeichnet für das Saarbrücke­r „Perspectiv­es“-Festival. Als er 1989 ein Plakat für das Festival gestaltete, wurde es verworfen – der damalige SPD-Oberbürger­meister Hans-Jürgen Koebnick fand die erotisch-derbe Darstellun­g von Napoleon und Marianne zu freizügig.
 ?? FOTO: IMAGO ?? Tomi Ungerer 2011 im Caricatura-Museum in Frankfurt, das ihm eine große Ausstellun­g gewidmet hatte.
FOTO: IMAGO Tomi Ungerer 2011 im Caricatura-Museum in Frankfurt, das ihm eine große Ausstellun­g gewidmet hatte.
 ?? FOTO: HAID/DPA ?? Frauen zählten zu Ungerers Lieblingsm­otiven.
FOTO: HAID/DPA Frauen zählten zu Ungerers Lieblingsm­otiven.

Newspapers in German

Newspapers from Germany