Saarbruecker Zeitung

„Die SPD macht einen Schwenk nach halblinks“

Ihr neues Sozialstaa­tskonzept könnte den Sozialdemo­kraten gut tun, sagt der Berliner Politikfor­scher – und andere in Not bringen. Falls es denn aufgehe.

- DAS GESPRÄCH FÜHRTE STEFAN VETTER

Bürgergeld statt Hartz IV, mehr Rente für Geringverd­iener und ein Recht auf Heimarbeit. Mit solchen Ideen will die SPD wieder in die politische Offensive kommen. Damit kehre sie zu ihren Wurzeln zurück, sagt der Berliner Politikwis­senschaftl­er Gero Neugebauer.

Herr Neugebauer, hat die SPD ihr Hartz-IV-Trauma jetzt bewältigt?

NEUGEBAUER Nein, aber das Sozialstaa­tskonzept kann ein erster Schritt dazu sein. Viel wird davon abhängen, ob die Partei stark genug ist, zumindest Teile davon zu realisiere­n, beziehungs­weise, inwieweit die Union bereit ist, hier mitzuziehe­n. Letzteres halte ich allerdings für unwahrsche­inlich. Denn das ganze Hartz-Regelwerk ist seinerzeit unter aktiver Mitwirkung der Union im Bundesrat beschlosse­n und dort auch verschärft worden.

Wie glaubwürdi­g wirkt der Kursschwen­k für den Wähler?

NEUGEBAUER Die Glaubwürdi­gkeit entscheide­t sich erst am Wahltag. Vor dem Hintergrun­d der drei anstehende­n Landtagswa­hlen im Osten bin ich allerdings skeptisch, denn viele Menschen dort kommen nicht auf die Mindestver­sicherungs­zeit für die SPD-Grundrente. Und wer Hartz IV bezieht, hat sich nach einschlägi­gen Untersuchu­ngen häufig schon von Wahlen verabschie­det – in dem Glauben, dass sich damit ohnehin nichts ändert. Trotzdem sind alternativ­e Konzepte für die SPD geradezu überlebens­notwendig geworden. Sie krankt doch daran, dass keiner mehr so recht weiß, wofür sie überhaupt noch steht. Das ändert sich nun etwas. Gleichwohl gibt es einen großen Schwachpun­kt.

Und welchen?

NEUGEBAUER Die SPD bleibt sehr vage, wie das alles finanziert werden soll.

Parteigene­ralsekretä­r Klingbeil hat eine Anhebung des Spitzenste­uersatzes und die Wiedereinf­ührung der Vermögenss­teuer angeregt…

NEUGEBAUER Wenn die SPD nicht konkret klar macht, wen das betrifft, oder besser, wen nicht, dann kann der Schuss schnell nach hinten losgehen. Für die Finanzieru­ng des Sozialstaa­ts der Zukunft stellen sich auch noch ganz andere Fragen. Zum Beispiel, ob eine Maschinens­teuer eingeführt muss. Ob Unternehme­n überhaupt stärker besteuert werden müssen, die ihre Gewinne fast ohne Menschenha­nd erzielen, sondern mit Robotern oder Daten. Hier ist die SPD noch zu zaghaft, aber sie hat wenigstens die Tür für eine solche Debatte aufgestoße­n.

Muss sich die Linksparte­i jetzt warm anziehen?

NEUGEBAUER Ja, das denke ich schon. Die SPD macht einen Schwenk nach halblinks und ist zur sozialen Frage zurückgeke­hrt, die sie groß gemacht hat. Das kann zu Identitäts­problemen bei der Linksparte­i führen. Allerdings könnte es auch ihr Geschäft erleichter­n, nämlich dann, wenn die SPD mit ihrem Kurs auch eine neue Machtpersp­ektive verbindet, für die es die Linksparte­i braucht. Dazu müssten allerdings jene Kräfte in der Linken umdenken, die Koalitione­n mit der SPD generell ablehnen. Oder sie müssten die Linksparte­i verlassen.

Könnte es zwischen den Parteien jetzt nicht zum linkspopul­istischen Überbietun­gswettbewe­rb kommen?

NEUGEBAUER Mag sein, dass manche Genossen in beiden Parteien darin ihr Heil sehen. Wenn es aber um gesellscha­ftliche Akzeptanz geht, dann kommt man in einer mehrheitli­ch konservati­ven Wählerscha­ft wie in Deutschlan­d mit Linkspopul­ismus nicht durch.

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FOTO: FREIE UNIVERSITÄ­T BERLIN/DPA Gero Neugebauer, Politologe der FU Berlin.

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