Saarbruecker Zeitung

Unabhängig­keits-Traum endet vor Gericht

Zwölf Katalanen, die sich für die Abspaltung ihrer Region von Spanien einsetzen, wird heute in Madrid der Prozess gemacht. Der Vorwurf: Rebellion.

- VON MATHIEU GORSE Produktion dieser Seite: Gerrit Dauelsberg Pascal Becher

(afp) In Spanien ist es der Prozess des Jahres: Vor dem Obersten Gerichtsho­f in Madrid beginnt heute das Mammutverf­ahren gegen führende Politiker der katalanisc­hen Unabhängig­keitsbeweg­ung. Zwölf Katalanen müssen sich verantwort­en, neun von ihnen sind der „Rebellion“angeklagt. Ihnen drohen harte Haftstrafe­n. Der Prozess spaltet das Land: Die Kläger in Madrid berufen sich auf den Schutz der Verfassung. Katalanisc­he Nationalis­ten sehen das Verfahren hingegen als Farce und als Verstoß gegen ihr Selbstbest­immungsrec­ht.

Der Prozess dient der juristisch­en Aufarbeitu­ng eines politische­n Dramas, das Spanien vor rund anderthalb Jahren in eine veritable Staatskris­e geführt hatte. Nach einem umstritten­en Referendum hatte die damalige Regionalre­gierung am 27. Oktober 2017 einseitig Katalonien­s Unabhängig­keit ausgerufen. Spaniens Zentralreg­ierung reagierte mit aller Härte. Die Unabhängig­keitsführe­r von damals sind im Gefängnis oder im Exil.

„Hier sitzen nicht die Unabhängig­keitsführe­r auf der Anklageban­k, sondern die Demokratie“, sagt der katalanisc­he Anwalt Alex Sola, der den Angeklagte­n Jordi Cuixart vertritt. Sola hofft auf einen internatio­nalen Solidarisi­erungseffe­kt für das Anliegen der Katalanen: „Die ganze Welt wird unsere Geschworen­en-Jury sein, wir müssen sie überzeugen.“

Die spanische Staatsanwa­ltschaft sieht die Sache nüchterner. Sie fordert hohe Haftstrafe­n für die Angeklagte­n. Die höchste Strafe von 25 Jahren Gefängnis wegen „Rebellion“und Zweckentfr­emdung öffentlich­er Gelder verlangt sie für den ehemaligen stellvertr­etenden Regionalpr­äsidenten Oriol Junqueras. Er ist zugleich Chef der Unabhängig­keitsparte­i Esquerra Republican­a (Republikan­ische Linke).

Die zweithöchs­te Strafe von gut 17 Jahren Haft fordert sie für die ehemalige Präsidenti­n des katalanisc­hen Regionalpa­rlaments, Carmen Forcadell, sowie für die „beiden Jordis“– Jordi Sánchez war Chef der Katalanisc­hen Nationalve­rsammlung (ANC) und Jordi Cuixart Leiter der Kulturvere­inigung Omnium Cultural.

Der prominente­ste Vertreter der Katalanen, Ex-Regionalpr­äsident Carles Puigdemont, bleibt nach seiner Flucht ins belgische Exil vorerst von einem Prozess verschont. Die spanische Justiz führt keine Prozesse in Abwesenhei­t des Angeklagte­n. Am Tag der Prozesserö­ffnung in Madrid will sich Puigdemont in Berlin vor der Presse äußern.

Der Prozess ist auf drei Monate angesetzt und wird live im Fernsehen übertragen. Hunderte Zeugen sollen gehört werden, unter ihnen Spaniens Ex-Ministerpr­äsident Mariano Rajoy. Zur Berichters­tattung sind 600 Journalist­en aus dem Inund Ausland akkreditie­rt.

Der Streit um Katalonien­s Unabhängig­keitsbestr­ebung war im Oktober 2017 eskaliert, als der damalige Regionalpr­äsident Puigdemont einen von der spanischen Justiz als illegal eingestuft­en Volksentsc­heid organisier­te und danach die Loslösung von Spanien erklärte.

Die spanische Zentralreg­ierung unter dem damaligen rechtskons­ervativen Ministerpr­äsidenten Rajoy setzte die Regionalre­gierung wenige Stunden nach der Unabhängig­keitserklä­rung ab. Sie löste das Regionalpa­rlament auf, unterstell­te die halbautono­me Region im Nordosten Spanien Madrids direkter Kontrolle und ließ mehrere Unabhängig­keitsbefür­worter unter anderem wegen des Vorwurfs der „Rebellion“inhaftiere­n.

Kontrovers diskutiert wird vor allem der Tatbestand der „Rebellion“, der mit einer Höchststra­fe von 30 Jahren Haft belegt werden kann. Gemäß dem spanischem Strafrecht setzt „Rebellion“voraus, dass Gewalt eingesetzt oder zumindest zu ihr aufgerufen wurde. Während die Staatsanwa­ltschaft das als gegeben ansieht, wird es von der Verteidigu­ng entschiede­n bestritten.

Nicht von ihren Mandanten sei Gewalt ausgegange­n, sondern von der Polizei, die am Tag des Volksentsc­heids auf Menschen eingeschla­gen habe, die friedlich ihre Stimme abgeben wollten.

Vertreter der spanischen Regierung, die in dem Prozess als Nebenkläge­rin auftritt, plädieren unterdesse­n nicht auf „Rebellion“, sondern auf den minder schweren Straftatbe­stand „Aufruhr“. Darauf stehen bis zu zwölf Jahre Gefängnis.

Die Katalanen haben ihre eigene Sprache und fühlen sich seit Jahrhunder­ten von Madrid unterdrück­t. Die wirtschaft­sstarke Region mit 7,5 Millionen Einwohnern kommt für etwa ein Fünftel der spanischen Wirtschaft­sleistung auf.

 ?? FOTO: BOIXAREU/IMAGO ?? Ein Demonstran­t fordert Freiheit für die inhaftiert­en katalanisc­hen Separatist­enführer. Das Plakat zeigt den Ex-Vize-Regionalpr­äsidenten Oriol Junqueras. Er ist der Hauptangek­lagte im heute beginnende­n Prozess.
FOTO: BOIXAREU/IMAGO Ein Demonstran­t fordert Freiheit für die inhaftiert­en katalanisc­hen Separatist­enführer. Das Plakat zeigt den Ex-Vize-Regionalpr­äsidenten Oriol Junqueras. Er ist der Hauptangek­lagte im heute beginnende­n Prozess.

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