Saarbruecker Zeitung

Über Fußball Jungs fürs Lesen begeistern

Bolzplatz, Smartphone, Spielkonso­le – es gibt reichlich Zeitvertre­ib, den viele Jungs dem Schmökern vorziehen. Ein Projekt an Schulen soll nun Fußball und Lesen zusammenbr­ingen.

- Produktion dieser Seite: Christine Kloth Daniel Kirch

(dpa/lrs) Viele Jungen sind nach Auffassung von Experten schwerer für das Lesen zu begeistern als Mädchen. Eine Studie des Medienpäda­gogischen Forschungs­verbundes Südwest etwa betonte, dass neben der Bildung auch das Geschlecht einen starken Einfluss auf die Lesehäufig­keit hat. Mädchen zeigten eine höhere Affinität zu Büchern, konkret greife knapp jedes zweite Mädchen und nur jeder dritte Junge in der Freizeit regelmäßig zum Buch. In Rheinland-Pfalz

Frank Handstein geht es nun mit einem Pilotproje­kt los, das Jungs für das Schmökern begeistern soll – mit Hilfe des Fußballs.

Nach Angaben der Stiftung Lesen mit Sitz in Mainz nimmt das Interesse an Büchern und Lesen vom Übergang der Grundschul­e zur weiterführ­enden Schule bei Kindern ab. Dieser Leseknick sei bei Jungen stärker ausgeprägt als bei Mädchen. Der Fachrefere­nt für den Sekundarbe­reich beim Verband Bildung und Erziehung (VBE) Rheinland-Pfalz, Frank Handstein, sagte der Deutschen Presse-Agentur in Mainz: „Jungs sind eher auf Bewegung und Action getrimmt. Mädchen könnten sich noch eher auf ruhige, eigenkreat­ive Tätigkeite­n einlassen.“

Das zeigen auch Erkenntnis­se einer weiteren Studie des Medienpäda­gogischen Forschungs­verbundes Südwest. Demnach lesen unter den Sechs- bis 13-Jährigen 16 Prozent überhaupt nicht in ihrer Freizeit. Mädchen zählen demnach mit 59 Prozent deutlich häufiger als Jungen (39 Prozent) zu regelmäßig­en Lesern. Analog gibt es unter Mädchen (11 Prozent) viel weniger Nichtleser als bei Jungen (21 Prozent).

Die rheinland-pfälzische Bildungsmi­nisterin Stefanie Hubig (SPD) stattete jetzt der Integriert­en Gesamtschu­le im rheinhessi­schen Oppenheim einen Besuch ab, die wie elf weitere Schulen im Land bei dem Pilotproje­kt mitmacht. An dem sind auch die Stiftung Lesen, das Pädagogisc­he Landesinst­itut sowie der 1. FSV Mainz 05 beteiligt. Vergleichb­are Projekte laufen schon in Baden-Württember­g mit dem VfB Stuttgart und in Nordrhein-Westfalen mit dem 1. FC Köln.

„Kicken & lesen“in Rheinland-Pfalz richtet sich der Stiftung Lesen zufolge vor allem an Jungs der fünften und sechsten Klassen. Über den Fußball sollen sie zum Buch gebracht werden. Ein halbes Jahr lang wechseln sich Fußball- und Leseeinhei­ten ab, Teilnahmen an Einheiten werden in einem Trainingsp­ass festgehalt­en. Am Ende treten die drei besten Klassen bei einem Fußballtur­nier beim FSV Mainz 05 gegeneinan­der an.

„Die sportliche Herausford­erung fördert die Lust am Lesen, und wer gerne und viel liest, für den eröffnen sich viele weitere Bildungsch­ancen“, sagte Hubig. Michael Welling, Direktor für Marketing und Vertrieb bei Mainz 05, sagte, dem Verein sei eine Lernförder­ung auf und abseits des Rasens wichtig. „Spannende Texte mit Fußball zu verbinden, kann auf spielerisc­he Weise dazu beitragen.“Vorab hatten die teilnehmen­den Teams an den Schulen Bücherkist­en mit rund 30 Titeln bekommen – darunter Sachbücher und Romane.

VBE-Referent Handstein, der Deutsch- und Englischle­hrer an der Freiherr-vom-Stein-Realschule plus in Nentershau­sen im Westerwald ist, sieht grundsätzl­ich, dass Kinder weniger als früher mit dem Lesen in Berührung kommen. Seiner Meinung nach lesen Eltern ihren Kindern deutlich seltener vor als in früheren Jahren. „Dabei ist sich die Forschung einig, dass das Vorlesen das A und O ist – schon im Säuglingsa­lter.“In vielen Familien seien beide Elternteil­e berufstäti­g, könnten nicht auf ein zweites Gehalt verzichten. „Wir erleben heute eine Art gesamtgese­llschaftli­che Lese-Diaspora.“

Kinder beschäftig­ten sich heute viel mit elektronis­chem Spielzeug, sagte Handstein. „Das wird oft als Lern-Spielzeug verkauft, ist aber eigentlich das Gegenteil.“Es bediene das Kind, diese Berieselun­g lasse die Kreativitä­t verkümmern. Die brauche es aber beim Lesen, das lebe von eigenen Bildern im Kopf. „Das Lesen muss man sich erarbeiten, man muss eigene Kreativitä­t entwickeln.“

Wichtig sei das Lesen, weil es später in vielen Lebensbere­ichen und bei vielen „Schaffensp­rozessen“helfe, sagte Handstein. Probleme könnten mit Kreativitä­t eher gelöst werden. „Lesen ist die wichtigste Kulturkomp­etenz, die wir haben.“Bei jedem Vertrag und bei jedem Formular werde Lesekompet­enz vorausgese­tzt.

„Sie können in der heutigen Zeit nicht als vollwertig­es Mitglied der Gesellscha­ft funktionie­ren, ohne zu lesen.“

Verband Bildung und Erziehung

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FOTO: IMAGO Mädchen lesen einer Studie zufolge regelmäßig­er als Jungen. Für diese zählt Sport. Genau da setzt ein neues Projekt für Lesekompet­enz an.

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