Saarbruecker Zeitung

Überlebens­pakete für den Brexit-Notfall

Noch immer hat sich das britische Parlament auf kein Austrittsa­bkommen mit der EU geeinigt. Ohne Deal könnten Lebensmitt­el und Medikament­e knapp werden.

- Produktion dieser Seite: Gerrit Dauelsberg Frauke Scholl

sind“, sagt die 52-Jährige und zeigt auf Schokorieg­el, die ebenfalls in die Box gehören. Es ist der Klassiker des Angebots: das Brexit-Überlebens­paket. 100 Pfund kostet die Ration, die zwei Erwachsene und zwei Kinder eine Woche ernähren können. Sie soll insbesonde­re jenen Teil der Briten beruhigen, die sich „Preppers“nennen – Menschen, die für die schlimmste­n Szenarien vorbereite­t sein wollen. Sie machen nur eine Minderheit auf der Insel aus, blicken aber voller Sorge auf den 29. März 2019.

Dann tritt das Königreich offiziell aus der EU aus. Und auch wenige Wochen vor der Scheidung stößt der von London und Brüssel ausgehande­lte Deal auf massiven Widerstand im Parlament. Premiermin­isterin Theresa May scheint auf Zeit zu spielen, während bei vielen Briten die Unruhe wächst. Gestern Abend lehnte das Unterhaus erneut Mays Verhandlun­gspläne zum Brexit mit 303 zu 258 Stimmen ab. Sie wollte damit mehr Zeit für weitere Gespräche mit der EU gewinnen.

Falls es tatsächlic­h zu einem chaotische­n Austritt ohne Abkommen kommen sollte, gehen die Behörden davon aus, dass die Kontrolle der Lastwagen zu langen Verzögerun­gen am wichtigste­n Fährhafen in Dover führen würden, die kurzfristi­g Engpässe in Apotheken und Supermärkt­en entstehen lassen könnten. Ein Drittel der Produkte stamme aus der EU, weshalb bei einem ungeordnet­en Ausscheide­n des Landes die Verfügbark­eit vieler Waren verringert sein werde, warnten kürzlich die Chefs führender Supermärkt­e und Restaurant­ketten.

„Es schadet nicht, auf alle Eventualit­äten vorbereite­t zu sein.“So fasst es Hester Tingey zusammen. Mittlerwei­le offerieren sie und ihr Mann Fred neben dem Klassiker eine Box für Veganer, für Hunde, für Katzen, eine Kiste mit Überlebens­utensilien wie Streichhöl­zern, Aluminiumd­ecken oder Batterien sowie das sogenannte Geschenkpa­ket, das aus Lebensmitt­eln aus Europa besteht, „die nach dem Brexit vielleicht schwerer erhältlich sind“, sagt Tingey. Deutsches Brot, französisc­her Wein, italienisc­her Kaffee – ganz offensicht­lich die Gourmet-Version. In der Küche nebenan sitzt die 24-jährige Tochter Tabby. Ihre persönlich­en Überlebens­pakete lagert sie in Form einer Monatsrati­on Insulin im Kühlschran­k. Die Yoga-Lehrerin hat Diabetes Typ 1, ihre Medikament­e werden vom Kontinent importiert.

Obwohl das britische Gesundheit­sministeri­um seit Monaten versucht, Betroffene zu besänftige­n und Hamsterkäu­fe zu verhindern, horten zunehmend Briten ihre Medikament­e. Die Regierung habe große Anstrengun­gen unternomme­n und „einiges an Steuergeld­ern investiert“, damit die Menschen an ihre Arzneimitt­el kämen, betonte Gesundheit­sminister Matt Hancock. Dennoch, der Medizinerv­erband Royal College of Physicians fordert mehr Transparen­z bei den Notfallplä­nen der Regierung. Im Moment sei es nicht möglich, „Patienten zu versichern, dass ihre Versorgung durch den EU-Austritt nicht negativ beeinfluss­t wird“, kritisiert Andrew Goddard, Präsident des Verbandes in London. Es gebe „erhebliche Bedenken“.

Seit drei Wochen packen die Tingeys in ihrer Freizeit mit Hilfe von Freunden und Freiwillig­en die Lebensmitt­elboxen. „Das Interesse geht durch die Decke“, sagt Hester Tingey. Doch auch hasserfüll­te Reaktionen nehmen zu. Insbesonde­re in den sozialen Medien werfen ihnen Kritiker Panikmache vor und dass sie mit den Ängsten anderer Profit machen würden. „Dabei wollen wir nur helfen“, sagt Tingey.

 ?? FOTO: KATRIN PRIBYL ?? Hester Tingey packt ein Brexit-Notfall-Paket mit Lebensmitt­eln.
FOTO: KATRIN PRIBYL Hester Tingey packt ein Brexit-Notfall-Paket mit Lebensmitt­eln.

Newspapers in German

Newspapers from Germany