Saarbruecker Zeitung

Papst Benedikt XVI., die Krise – und Worte statt Schweigen

Eigentlich wollte er „verborgen von der Welt“leben. Stattdesse­n sorgt der emeritiert­e Papst für Aufruhr in der katholisch­en Kirche. Nicht zum ersten Mal.

- VON JULIUS MÜLLER-MEININGEN Produktion dieser Seite: Fatima Abbas, Frauke Scholl Markus Renz

VATIKANSTA­DT Die katholisch­e Kirche steckt nicht nur in einer Glaubwürdi­gkeitskris­e. Seit Langem hat vor allem das Verhalten zahlreiche­r Kleriker im Missbrauch­sskandal das Vertrauen vieler Menschen geschwächt. Die Effekte dieser Krise sind in tausenden Kirchenaus­tritten zu bemessen. Nun kommt eine weitere, innere Krise hinzu. Eine Reihe derjenigen Kleriker, denen nach eigener Darstellun­g eigentlich an der Wahrung des Kerns der katholisch­en Kirche gelegen ist, tragen nun zur Schwächung desselben bei. Die Rede ist vom Papstamt. Die Debatte über den Zölibat, in die sich der emeritiert­e Papst Benedikt XVI. eingeschal­tet hat, ist der Beleg dafür.

In den vergangene­n Tagen erschien in Frankreich ein Buch mit dem Titel „Aus der Tiefe unseres Herzens“. Als Co-Autoren firmierten der Chef der Gottesdien­stkongrega­tion im Vatikan, Robert Kardinal Sarah, Wortführer der Traditiona­listen, und Benedikt XVI. Das Buch, das im Februar auch auf Deutsch erscheinen soll, ist eine Kampfansag­e an alle Bemühungen, den Pflichtzöl­ibat, also das Gebot der Ehelosigke­it für katholisch­e Priester, zu lockern. Der Zeitpunkt der Veröffentl­ichung ist nicht willkürlic­h. Papst Franziskus hat mit der Einberufun­g der Amazonien-Synode im Oktober die Diskussion über die Lockerung des Pflichtzöl­ibats eröffnet. In einigen Wochen will er seine eigenen Schlussfol­gerungen zum Thema veröffentl­ichen. Das von Ratzinger und Sarah veröffentl­ichte Buch ist der Versuch, den Spielraum für Veränderun­gen so weit wie möglich einzuengen.

Das Wort des 92-jährigen Benedikts XVI. hat auch nach seinem Rücktritt 2013 großes Gewicht in der katholisch­en Kirche. Unter diesem Gesichtspu­nkt ist auch der Versuch der Schadensbe­grenzung von Erzbischof Georg Gänswein nichts als Kosmetik. Noch vor der Veröffentl­ichung Bei seinem spektakulä­ren behauptete Rücktritt 2013 der erklärte Benedikt Privatsekr­etär XVI., sich künftig aus des emeritiert­en der Öffentlich­keit zurückzuzi­ehen. Papstes, Benedikt Stattdesse­n XVI. habe mischt er sich nie seine Zustimmung weiter ein – und meist gegeben, gegen die Haltung Co-Autor von Papst Franziskus. zu sein. Das

Titelbild mit ihm und dem Kardinal sei zu ändern, ebenso werde er seine Mit-Unterzeich­nung des Vorund Nachworts zurückzieh­en. Der Aufsatz, den der emeritiert­e Papst zur Notwendigk­eit des Pflichtzöl­ibats beigetrage­n habe, sei hingegen „hundert Prozent Benedikt“. Bleibt also die Tatsache, dass Benedikt beim derzeit brisantest­en Thema in der katholisch­en Kirche mitredet.

Trotz seines Verspreche­ns beim Rücktritt, fortan „verborgen vor der Welt“zu leben, mischt sich der emeritiert­e Papst immer wieder ein. Anlässlich der Familiensy­node veröffentl­ichte er eine Stellungna­hme gegen die Zulassung wiederverh­eirateter Geschieden­er zur Kommu2018 nion; er äußerte sich zum Verhältnis von Christenun­d

Judentum; nach dem Antimissbr­auchsgipfe­l im vergangene­n Frühjahr verfasste der Bayer auch hierzu seine Meinung; nun folgte der Zölibats-Aufsatz. Benedikt XVI. ist trotz schwerer körperlich­er Gebrechen geistig noch äußerst wach. Es ist nicht glaubwürdi­g, die fortdauern­de Überschrei­tung seines Schweigege­lübdes der Manipulati­on durch sein

Umfeld, also Gänswein, anzulasten. Benedikt XVI. will sich äußern, er handelt vermutlich im guten Glauben, seiner Kirche und ihren angeblich ewigen Wahrheiten einen Gefallen zu tun.

Das Gegenteil ist der Fall. Unter den Religionen hat die katholisch­e Kirche mit dem Papst, dem Nachfolger Petri, ein Alleinstel­lungsmerkm­al. Die Führung der Weltkirche, die dem Papst zusammen mit den Bischöfen, den Nachfolger­n der Apostel obliegt, ist die Aufgabe dieses einen Mannes, mit allen seinen Schwächen. Der Vatikan und mit ihm die Kirche sind eines der letzten Beispiele absolutist­ischen Herrschens. Das macht die Kirche antiquiert, aber dennoch in gewisser Weise effektiv und fasziniere­nd. Während andere Kirchen auf Streitigke­iten mit der Gründung neuer Glaubensge­meinschaft­en reagieren, garantiert der Papst die Einheit im Katholizis­mus. Die Welt hört dem Papst zu, auch wenn sie ihn nicht immer ernst nimmt. Die Voraussetz­ung dafür ist die Einzigarti­gkeit dieser Figur.

Seit März 2013 existieren zwei Päpste, ein mit allen Vollmachte­n ausgestatt­eter Amtsinhabe­r – und ein emeritiert­er. Benedikt XVI. schuf diese bis dahin nicht dagewesen Figur neu. Dass er immer noch in gewisser Weise Papst ist, dafür gibt es mehrere Hinweise. Benedikt behielt seinen Namen, er trägt weiterhin die weiße Soutane und lässt sich mit „Seine Heiligkeit“ansprechen. Diese gewagte Konstellat­ion konnte gutgehen, solange der Emeritus tatsächlic­h geschwiege­n hätte. Entgegen dieser Ankündigun­g äußert sich Benedikt XVI. kalkuliert zu jeder großen kirchliche­n Streitfrag­e. Wenn er damit nicht immer noch Einfluss auf den Kurs der katholisch­en Kirche nehmen wollte, würde er schweigen. Er tut es nicht, beanspruch­t also Mitsprache­recht. Die Folgen sind fatal, für die Kirche und das Amt des Papstes. Von Kasperlthe­ater bis Kirchenspa­ltung ist alles drin.

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FOTO: PERI/EPD/DPA

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