Saarbruecker Zeitung

Vom Pferdehänd­ler zum Wutbürger

Das Stück „Kohlhaas – Ein Mann für jede Krise“wird ab Samstag in der Alten Feuerwache in Saarbrücke­n aufgeführt.

-

War‘s ein Auftragswe­rk? Aus zwei Kehlen schallt prompt ein laut begeistert­es „Ja!“zurück. Überhaupt wirken Bettina Bruinier und Horst Busch derart angetan von ihrer neuen Produktion, dass es direkt ansteckend wirkt – allein wegen dieses infizieren­den Enthusiasm­us´ möchte man in die Alte Feuerwache marschiere­n. Dort hat am Samstag „Kohlhaas – Ein Mann für jede Krise“Premiere, „eine wahre Satire“nach Heinrich von Kleists Novelle von 1808. Schauspiel­direktorin Bettina Bruinier inszeniert, Chefdramat­urg Horst Busch arbeitet ihr zu.

Autor Marcel Luxinger hat die mittelalte­rliche Geschichte über die historisch­e Figur des Pferdehänd­lers Hans Kohlhase neu interpreti­ert und sich dabei auch mit dem Phänomen der „Kohlhaaser­ei“und dem so genannten „Dunning-Kruger-Effekt“

beschäftig­t. Mit dem Begriff „Kohlhaaser­ei“rügt Andreas Voßkuhle, Präsident des Bundesverf­assungsger­ichts, bekanntlic­h gerne das Verhalten frustriert­er Zeitgenoss­en, die zum Mittel der Selbstjust­iz greifen. Und der wissenscha­ftlich erforschte „Dunning-Kruger-Effekt“bezeichnet die Tatsache, dass jemand, der sich selbst überschätz­t und die Kompetenz anderer ignoriert, unbekümmer­ter große Risiken eingeht. Beides findet sich in der Figur des geprellten Rosshändle­rs, der in seinem Kampf gegen die Obrigkeit, die ihm widerrecht­lich zwei seiner besten Pferde abgenommen hat, auf juristisch­em Wege scheitert. Der gute Mann bedient sich der Selbstjust­iz und schießt dabei weit übers Ziel hinaus: Der Wutbürger wird zum Terroriste­n.

Dabei ist Kohlhase in seinem rechtschaf­fenen, ohnmächtig­en Zorn durchaus sympathisc­h, ja geradezu eine Identifika­tionsfigur, aber genau da liegt das Problem: Was macht das mit einem, wenn man für seinen privaten Rachefeldz­ug bejubelt wird, ein Gefühl der Macht entwickelt, sich vom Applaus korrumpier­en lässt? Woher rührt anderersei­ts die fragwürdig­e Parteinahm­e für eine solche Mischung aus Selbstgere­chtigkeit und Selbstüber­schätzung, und wann wird ein berechtigt­er Kampf zum zerstöreri­schen Populismus? Für Luxinger, Bruinier und Busch stellten sich freilich noch andere Fragen: Wo liegen die Parallelen zur Gegenwart? Wie nimmt Gesellscha­ft sich selbst wahr? Und wie erzählt man das Ganze als Satire? Vom Opfer zum Täter: Gesucht wurde ein Stoff, der zum

Spielzeit-Motto „Macht, Ohnmacht, Ermächtigu­ng“passt und sich ins Heute holen lässt, erläutert Busch.

Der Auftrag ging an Luxinger, den Bruinier wegen seines „wahnsinnig guten Humors“schätzt und seiner Fähigkeit, „scharf und witzig über komplexest­e Zusammenhä­nge“zu schreiben und „bei allem Intellekt eine märchenhaf­te Qualität“zu bewahren. Bruinier: „Das eröffnet mir als Regisseuri­n konzeptuel­le Freiräume.“Die Satire speist sich aus der Tragödie des kleinen Mannes, der statt Werten und Idealen seinen Narzissmus pflegt. Bei Luxinger kriegt er es mit etlichen Frauen zu tun – viele helfen ihm zunächst, distanzier­en sich aber, als sein Ego die Oberhand gewinnt.

Durch Zuspitzung­en und Überdrehun­gen entwickle das Geschehen gar einen Monty-Python-haften Charakter, verrät Bruinier: indem Luxinger etwa historisch verbürgte Personen einbaue, die in anderen Zusammenhä­ngen auftauchen. Solch ein Querschläg­er ins Aktuelle ist beispielsw­eise der Apotheker Paracelsus, der hier auf die Zwei-Klassen-Medizin schimpfen darf. Oder die Journalist­in der Fugger-Zeitung – ob sie womöglich als Vertreteri­n der System-Presse Fake News verbreitet? Solche Brüche fänden sich auch in der Ausstattun­g: „Bei den

Kostümen stellen wir Silhouette­n des Mittelalte­rs mit heutigen Mitteln nach“, erläutert Bruinier.

Freunde der Romantik kommen übrigens nicht zu kurz: Eine Lovestory ist im Satire-Paket mit drin. „Es wird lustig. Schlank, aber temporeich – das macht Freude“, verspricht Bruinier. „Je mehr man assoziiere­n kann, desto größer ist der Spaß!“, ergänzt Busch. Und beide sind gespannt, ob – und wenn ja, in welchem Charakter – sich der Zuschauer wohl erkennt.

Uraufführu­ng: Samstag, 18. Januar, 19.30 Uhr, Alte Feuerwache (Einführung: 19 Uhr).

„Es wird lustig. Schlank, aber temporeich – das

macht Freude.“

Bettina Bruinier

Schauspiel­direktorin

 ?? FOTO: KERSTIN KRÄMER ?? Rösselspru­ng? Chefdramat­urg Horst Busch und Schauspiel­direktorin Bettina Bruinier bei den Vorbereitu­ngen zu „Kohlhaas – Ein Mann für jede Krise“in der Alten Feuerwache.
FOTO: KERSTIN KRÄMER Rösselspru­ng? Chefdramat­urg Horst Busch und Schauspiel­direktorin Bettina Bruinier bei den Vorbereitu­ngen zu „Kohlhaas – Ein Mann für jede Krise“in der Alten Feuerwache.

Newspapers in German

Newspapers from Germany