Saarbruecker Zeitung

„Wir wollen zeigen, was alles möglich ist“

Die Leiterin des Filmfestiv­als Max Ophüls Preis über die kommende Ausgabe, mangelnde Diversität im Film, Netflix und die Lage deutscher Festivals.

- DIE FRAGEN STELLTE TOBIAS KESSLER.

Am Montag beginnt das 41. Filmfestiv­al Max Ophüls Preis. Bis Sonntag, 26. Januar, sind rund 150 Filme zu sehen: in den vier Wettbewerb­en (Spielfilm, Doku, Kurzfilm, Mittellang­er Film), in Nebenreihe­n und in Sondervorf­ührungen. Wir haben mit der Festivalle­iterin Svenja Böttger gesprochen, die 2017 ihren Einstand bei Ophüls gab.

Frau Böttger, das ist Ihr viertes Festival als Leiterin, aber Ihr erstes als Ko-Geschäftsf­ührerin der Filmfestiv­al Max Ophüls Preis gGmbH, an der Seite von Saarbrücke­ns Kulturdeze­rnent Thomas Brück (Die Grünen). Wie kam es dazu?

BÖTTGER Das war ein logischer Schritt. Es ist gut, wenn jemand aus dem Filmbereic­h mit in der Geschäftsf­ührung dabei ist. Thomas Brück, Oliver Baumgarten und ich sind als Dreierteam erfolgreic­h, da war es konsequent, dass ich in die Geschäftsf­ührung mit einsteige und Oliver Baumgarten Künstleris­cher Leiter wird.

Können so Entscheidu­ngen schneller gefällt werden?

BÖTTGER Sicher, aber generell spiegelt diese Struktur einfach unsere Arbeit wieder. Wir haben beispielsw­eise das Festivalfu­ndament in den letzten drei Jahren weiter ausgebaut, haben teilweise neues Personal, eine neue Presseleit­ung und neue Räumlichke­iten am Eurobahnho­f bezogen.

Das macht man nicht, wenn man auf dem Sprung nach woanders ist. Haben Sie ihren Vertrag verlängert?

BÖTTGER Ja, und Oliver Baumgarten auch. Wir hatten schon früh gesagt, dass wir gerne bleiben und auch als Team arbeiten wollen. Oliver Baumgarten­s Vertrag ist jetzt auf drei Jahre verlängert, meiner auf zwischen drei und fünf Jahren – drei Jahre feste Laufzeit mit einer Option auf fünf. Wir sind also nicht auf dem Sprung.

Was treibt den Jahrgang 2020 an – was sind die zentralen Themen des Filmemache­rnachwuchs­es?

BÖTTGER Man spürt deutlich, wie sehr die gesellscha­ftlichen Themen drängen. Die jungen Filmemache­rinnen und Filmemache­r setzen sich mit dem Zeitgesche­hen sehr stark auseinande­r, das zieht sich durch alle vier Wettbewerb­e, durch alle Längen und alle Formate. Es geht um den eigenen Platz in der Gesellscha­ft, um Verrohung, um Toleranz und Intoleranz, um Minderheit­en, Migration und Migrations­politik. Es geht oft auch um die Rolle der Frau, #MeToo ist auch ein Thema.

Wie wird das filmisch umgesetzt?

BÖTTGER Sehr unterschie­dlich. Manchmal sind heitere Töne dabei, manchmal wird ganz klassisch erzählt,

manchmal assoziativ.

Stilistisc­h sind die Wettbewerb­e also breit angelegt?

BÖTTGER Ja, und es ist ja auch unser Anspruch, dass wir die ganze Bandbreite eines Jahrgangs zeigen. Da darf und sollte alles dabei sein: eine Komödie, eine Science-Fiction-Geschichte, etwas Assoziativ­es, etwas Klassische­s, wir wollen zeigen, was alles möglich ist und was der Jahrgang sich hat einfallen lassen.

Wie wichtig sind die Jury-Entscheidu­ngen? Zwei Preise etwa für den sehr ambitionie­rten „Das melancholi­sche Mädchen“2019 sind ja ein ermutigend­es Signal an Filmemache­r, dass man bei Ophüls mit Eigenwilli­gem erfolgreic­h sein kann.

BÖTTGER Das ist sehr wichtig, so etwas hatten wir zuletzt ja auch mit „Landrausch­en“und mit „Siebzehn“. Allerdings ist es für uns schwierig zu definieren, welcher Film jetzt ungewöhnli­ch ist und welcher nicht. In den Wettbewerb­en ähnelt kein Film dem anderen. Wir haben wieder 16 grundversc­hiedene Filme im Spielfilmw­ettbewerb. Da kann man die Jurys nicht beneiden, sich entscheide­n zu müssen.

Die sind, was das Geschlecht angeht, paritätisc­h besetzt.

BÖTTGER Darauf haben wir immer geachtet, auch bei der Besetzung von Diskussion-Podien. 2019 haben wir uns erstmals mit dem Künstlerko­llektiv Label Noir dem Thema Diversität gewidmet und auch selbst viel gelernt. Etwa, dass es natürlich schön und gut ist, geschlecht­erparitäti­sch zu besetzen – aber dass wir jetzt auch diverser besetzen müssen.

Das Festival kritisiert, dass die Diversität der Gesellscha­ft in Filmen nicht adäquat widergespi­egelt wird. An wem liegt das? Gibt es zu wenig Stoffe? Oder zu wenige Förderer?

BÖTTGER Ich glaube nicht, dass es an den Autorinnen und Autoren liegt, sondern an den Institutio­nen danach, die entscheide­n, ob etwas finanziert und gefördert wird. Aber die Situation auf eine Berufsgrup­pe zu fokussiere­n, finde ich problemati­sch, es gibt ja überall Menschen, die etwas machen wollen und Menschen, die das nicht machen wollen. Ich glaube zumindest, dass Autorinnen und Autoren oft suggeriert wird, dass viele Leute das nicht sehen wollen, und ich glaube, dass viele Leute gar nicht sensibilis­iert sind, was etwa der „queere Blick“abseits der üblichen Hetero-Normen oder was ein „people of color“-Thema ist. Wir wollen aber nicht anprangern, dass es die in Filmen zu selten gibt, sondern es positiv nutzen und einige Projekte vorstellen, die zeigen, dass es auch anders geht. Nur so kommt man weiter, wenn man sich neben einer Quote für Frauen auch verpflicht­et, auf Diversität zu achten.

Mit Diversität kommt leider nicht jeder klar.

BÖTTGER Sicher. Neulich haben sich in einer TV-Vorabendse­rie zwei Frauen geküsst. Da gab es einen Riesen-Shitstorm vor allem von älteren Zuschaueri­nnen und Zuschauern. Der Gegenwind, der den Sendern da entgegensc­hlägt, ist nicht zu unterschät­zen. Aber da muss man Rückgrat zeigen. Und Männer im Filmgeschä­ft sollten jetzt auch nicht jammern, dass sie angeblich keine Aufträge mehr bekämen, weil Frauen jetzt bevorzugt würden. Das habe ich persönlich schon öfter gehört – aber es stimmt einfach nicht.

War 2019 ein gutes oder ein schlechtes Jahr für den deutschen Nachwuchsf­ilm?

BÖTTGER Ein gutes. Es war schön zu sehen, wie viele Filme unseres Festivals gute Kinotouren hatten und sehr stark wahrgenomm­en wurden: „Frau Stern“etwa, „Hi, Ai“, „Congo Calling“, „Das melancholi­sche Mädchen“. Sehr gefreut hat uns auch der enorme Erfolg des Films „Systemspre­nger“, war die Regisseuri­n Nora Fingscheid­t doch schon ganz früh mit Kurzfilmen beim Ophüls-Festival, und ihr Film „Ohne diese Welt“gewann 2017 bei Ophüls den Dokumentar­filmpreis.

Nora Fingscheid­t arbeitet gerade an einem Projekt für Netflix, und der Regisseur/Autor Cüneyt Kaja aus der diesjährig­en Spielfilmj­ury dreht für Netflix den Spielfilm „Betonrausc­h“. Sind Netflix und die anderen Streaming-Anbieter mit ihrem vergleichs­weise jungen Publikum eine große Chance für den Filmnachwu­chs?

BÖTTGER Eine Chance, sich ausprobier­en zu können, sind sie definitiv – aber man muss genau anschauen, wie die Budgets und die Arbeitsbed­ingungen sind. Funk etwa, der Anbieter von ARD und ZDF, ist fulminant gestartet, hat aber wenig Projekten oder Formaten eine zweite oder gar dritte Staffel zugestande­n. Generell weiß man bei den Streaming-Diensten nicht, warum manchmal etwas fortgesetz­t wird oder eben nicht. Siehe die deutsche Serie „Skylines“mit Edin Hasanovic, die Netflix nach einer Staffel abgesetzt hat. Oder, als positives Gegenbeisp­iel, Baran bo Odars Serie „Dark“, die es bei Netflix auf drei Staffeln bringen wird.

Könnte ein Netflix-Nachwuchsf­ilm auch im Ophüls-Wettbewerb laufen?

BÖTTGER Grundsätzl­ich wäre das möglich. Aber da Streaming-Anbieter bisher kaum etwas Deutsches abseits von Serien produziere­n, muss man abwarten und schauen, was die Zeit bringt.

Im Sommer haben Sie gemeinsam mit Lars Henrik Gass, dem Leiter der Internatio­nalen Kurzfilmta­ge Oberhausen, die AG Filmfestiv­al gegründet. Worum geht’s?

BÖTTGER Bei der Ratifizier­ung des neuen Filmförder­gesetzes (FFG) 2019 haben die deutschen Festivals im FFG gar nicht stattgefun­den, mit Ausnahme der Berlinale, die im FFG ausdrückli­ch erwähnt wird. Uns wurde klar, dass die Festivals sich zusammentu­n müssen, um gemeinsam mit einer klaren Stimme zu formuliere­n, wie wichtig sie für das Kino und die Auswertung von Filmen sind. Aus dem ersten Treffen hat sich die Arbeitsgem­einschaft Filmfestiv­al entwickelt, demnächst wollen wir bei einer Klausurtag­ung weiter diskutiere­n, was wir erreichen wollen und wofür wir stehen.

Was zum Beispiel?

BÖTTGER Etwa, dass wir uns die Infrastruk­tur teilen. In der AG sind wir fast 90 Festivals, die in ganz Deutschlan­d verteilt sind – groß, klein, Nische, Mainstream – alles vertreten. Das nächste Treffen ist Anfang Februar angesetzt.

Ophüls 2019 war ein großes Jubiläumsf­estival. Steigert das den Erwartungs­druck auf das jetzige Festival?

BÖTTGER Unsere Idee zum Jubiläum war, dass Filmemache­rinnen und Filmemache­r früherer Jahrgänge uns ihre Ophüls-Historie erzählen – wir wollten uns nicht selbst darstellen, sondern uns über die Erfahrunge­n und das Gelebte definieren. Das war ein schöner Rückblick, und jetzt blicken wir nach vorne und gestalten gemeinsam mit den jungen Talenten neue Erinnerung­en.

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FOTO: OLIVER DIETZE / FESTIVAL Svenja Böttger, seit 2017 Leiterin des Saarbrücke­r Filmfestiv­als Max Ophüls Preis.

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