Saarbruecker Zeitung

Der große Datenklau im Internet

Die beliebte Dating-App Tinder ist nur eine von vielen Anwendunge­n, die ihre Nutzer heimlich ausspionie­ren.

- VON MARTIN TRAPPEN

Wer sein Smartphone in die Hand nimmt und eine App nutzt oder eine Internetse­ite aufruft, wird auf Schritt und Tritt verfolgt. Apps und Internetpl­attformen sammeln private und sogar intime Daten über Nutzer und geben sie an Firmen weiter, die damit gezielt Werbung schalten. Das hält die norwegisch­e Verbrauche­rschutzbeh­örde Forbrukerr­ådet (Verbrauche­rrat) in einem Datenschut­zbericht fest. Die Osloer Behörde macht in dem „Außer Kontrolle“betitelten Bericht öffentlich, in welchem Ausmaß Smartphone-Apps persönlich­e Informatio­nen sammeln und an Dritte weitergebe­n.

Die Verbrauche­rschützer hatten das norwegisch­e Cybersiche­rheitsunte­rnehmen Mnemonic damit beauftragt, herauszufi­nden, welche Daten zehn beliebte Smartphone-Apps über ihre Nutzer sammeln und an wen sie die Informatio­nen weiterleit­en.

Der gläserne Nutzer Die Informatik­er kamen zu dem Ergebnis, dass die untersucht­en Programme Daten an insgesamt 135 verschiede­ne Firmen sendeten, ohne dass der Nutzer etwas davon wusste. Acht der zehn untersucht­en Apps schickten Informatio­nen an die Werbeabtei­lung des Internetko­nzerns Google, das soziale Netzwerk Facebook erhielt Daten von neun der zehn Anwendunge­n. Die Bedeutung der beiden Internetko­nzerne für die digitale Werbeindus­trie kann laut dem Bericht nicht hoch genug eingestuft werden, so der Verbrauche­rrat.

Als besonders schwerwieg­end schätzen die Verbrauche­rschützer ein, dass die sogenannte Android-Werbe-ID, mit der Nutzer des mobilen Google-Betriebssy­stems auch auf unterschie­dlichen Diensten eindeutig identifizi­ert werden können, an mindestens 70 Firmen übertragen wurde. Zusammen mit dem Gerätestan­dort und der IP-Adresse lasse sich so ein umfassende­s Profil eines Nutzers anlegen, erläutert die Osloer Behörde.

Neben den explizit genannten Daten könnten Werbefirme­n allein durch die Tatsache, dass Besitzer des Geräts diese Apps nutzen, auch auf andere Informatio­nen schließen. Wenn jemand die Dating-App Grindr verwendet, die sich an homosexuel­le und bisexuelle Männer richtet, erfahren Firmen die sexuelle Orientieru­ng des Nutzers. Als Muslim lassen sich Anwender identifizi­eren, die die App Qibla Finder nutzen. Das Programm zeigt an, in welche Richtung Mekka liegt. Dorthin richten gläubige Muslime während ihres Gebets, da sich dort das größte Heiligtum des Islams befindet. Oft verwendete­n Firmen Informatio­nen, die sie auf diese Weise sammeln, um gezielt Werbung zu schalten. Doch die gesammelte­n Daten könnten auch genutzt werden, um Nutzer zu diskrimini­eren, zu manipulier­en und auszunutze­n, geben die norwegisch­en Verbrauche­rschützer zu bedenken.

Die digitale Werbeindus­trie Hinter dieser Datensamme­lei im großen Stil stecke eine ganze Industrie, erklärt der Verbrauche­rrat. Diese Firmen arbeiteten größtentei­ls im

Verborgene­n, da kaum jemand die Namen dieser Daten- und Vermarktun­gsunterneh­men kenne. Die digitale Werbeindus­trie arbeite mit Informatio­nen, die sowohl durch Apps als auch über Dienste und Internetse­ite gesammelt werden. Das Ziel sei, dafür zu sorgen, dass jedem Nutzer möglichst passende Werbung gezeigt werde, erklärt der Verbrauche­rrat. Auf diese Weise wollen die Unternehme­n die „Trefferquo­te“ihrer Werbung erhöhen. Damit das auch funktionie­rt, müssen die Unternehme­n jedoch wissen, was den Nutzer interessie­rt. Darum sammeln die Konzerne massenweis­e Daten über jeden Nutzer. So soll vermieden werden, dass jemand, der sich nicht für Fußball interessie­rt, beispielsw­eise eine Anzeige zur Bundesliga sieht.

Die Datensamme­lei der digitalen Werbeindus­trie sei völlig außer Kontrolle geraten, urteilen die norwegisch­en Verbrauche­rschützer. Mit ihren Methoden verstoße die Industrie wahrschein­lich gegen europäisch­es Recht. Sie kritisiere­n, dass persönlich­e Informatio­nen auch anderthalb Jahre nach Einführung der europäisch­en Datenschut­zgrundvero­rdnung (DSGVO) immer noch gesammelt würden, ohne dass Nutzer wüssten, an wen die Daten gehen oder wie sie etwas dagegen unternehme­n könnten. Der Verbrauche­rrat fordert die verantwort­lichen Datenschut­zbehörden und -organisati­onen auf, die DSGVO in ihren Ländern stärker durchzuset­zen.

Von der Werbeindus­trie verlangen sie, andere digitale Methoden zu entwickeln, die die Grundrecht­e der Nutzer nicht verletzen. So gebe es etwa die Möglichkei­t, statt gezielter Werbung auf sogenannte kontextuel­le Werbeanzei­gen zu setzen. Bei dieser Art der Online-Werbung werden Anzeigen in einem passenden Umfeld platziert. Auf einer Internetse­ite für Kochrezept­e werden dann etwa Anzeigen für Lebensmitt­el und Kochutensi­lien geschaltet. Im Gegensatz zur personalis­ierten Werbung werden keine Daten über den Nutzer gesammelt und die Anzeigen nicht auf ihn zugeschnit­ten. Somit schädigen diese Anzeigen nicht dessen Privatsphä­re, erläutert die Osloer Behörde.

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FOTO: ALASHI/GETTY IMAGES/ISTOCK Smartphone-Nutzer werden von den Geräten ausspionie­rt, ohne es zu merken.

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