Der große Datenklau im Internet
Die beliebte Dating-App Tinder ist nur eine von vielen Anwendungen, die ihre Nutzer heimlich ausspionieren.
Wer sein Smartphone in die Hand nimmt und eine App nutzt oder eine Internetseite aufruft, wird auf Schritt und Tritt verfolgt. Apps und Internetplattformen sammeln private und sogar intime Daten über Nutzer und geben sie an Firmen weiter, die damit gezielt Werbung schalten. Das hält die norwegische Verbraucherschutzbehörde Forbrukerrådet (Verbraucherrat) in einem Datenschutzbericht fest. Die Osloer Behörde macht in dem „Außer Kontrolle“betitelten Bericht öffentlich, in welchem Ausmaß Smartphone-Apps persönliche Informationen sammeln und an Dritte weitergeben.
Die Verbraucherschützer hatten das norwegische Cybersicherheitsunternehmen Mnemonic damit beauftragt, herauszufinden, welche Daten zehn beliebte Smartphone-Apps über ihre Nutzer sammeln und an wen sie die Informationen weiterleiten.
Der gläserne Nutzer Die Informatiker kamen zu dem Ergebnis, dass die untersuchten Programme Daten an insgesamt 135 verschiedene Firmen sendeten, ohne dass der Nutzer etwas davon wusste. Acht der zehn untersuchten Apps schickten Informationen an die Werbeabteilung des Internetkonzerns Google, das soziale Netzwerk Facebook erhielt Daten von neun der zehn Anwendungen. Die Bedeutung der beiden Internetkonzerne für die digitale Werbeindustrie kann laut dem Bericht nicht hoch genug eingestuft werden, so der Verbraucherrat.
Als besonders schwerwiegend schätzen die Verbraucherschützer ein, dass die sogenannte Android-Werbe-ID, mit der Nutzer des mobilen Google-Betriebssystems auch auf unterschiedlichen Diensten eindeutig identifiziert werden können, an mindestens 70 Firmen übertragen wurde. Zusammen mit dem Gerätestandort und der IP-Adresse lasse sich so ein umfassendes Profil eines Nutzers anlegen, erläutert die Osloer Behörde.
Neben den explizit genannten Daten könnten Werbefirmen allein durch die Tatsache, dass Besitzer des Geräts diese Apps nutzen, auch auf andere Informationen schließen. Wenn jemand die Dating-App Grindr verwendet, die sich an homosexuelle und bisexuelle Männer richtet, erfahren Firmen die sexuelle Orientierung des Nutzers. Als Muslim lassen sich Anwender identifizieren, die die App Qibla Finder nutzen. Das Programm zeigt an, in welche Richtung Mekka liegt. Dorthin richten gläubige Muslime während ihres Gebets, da sich dort das größte Heiligtum des Islams befindet. Oft verwendeten Firmen Informationen, die sie auf diese Weise sammeln, um gezielt Werbung zu schalten. Doch die gesammelten Daten könnten auch genutzt werden, um Nutzer zu diskriminieren, zu manipulieren und auszunutzen, geben die norwegischen Verbraucherschützer zu bedenken.
Die digitale Werbeindustrie Hinter dieser Datensammelei im großen Stil stecke eine ganze Industrie, erklärt der Verbraucherrat. Diese Firmen arbeiteten größtenteils im
Verborgenen, da kaum jemand die Namen dieser Daten- und Vermarktungsunternehmen kenne. Die digitale Werbeindustrie arbeite mit Informationen, die sowohl durch Apps als auch über Dienste und Internetseite gesammelt werden. Das Ziel sei, dafür zu sorgen, dass jedem Nutzer möglichst passende Werbung gezeigt werde, erklärt der Verbraucherrat. Auf diese Weise wollen die Unternehmen die „Trefferquote“ihrer Werbung erhöhen. Damit das auch funktioniert, müssen die Unternehmen jedoch wissen, was den Nutzer interessiert. Darum sammeln die Konzerne massenweise Daten über jeden Nutzer. So soll vermieden werden, dass jemand, der sich nicht für Fußball interessiert, beispielsweise eine Anzeige zur Bundesliga sieht.
Die Datensammelei der digitalen Werbeindustrie sei völlig außer Kontrolle geraten, urteilen die norwegischen Verbraucherschützer. Mit ihren Methoden verstoße die Industrie wahrscheinlich gegen europäisches Recht. Sie kritisieren, dass persönliche Informationen auch anderthalb Jahre nach Einführung der europäischen Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) immer noch gesammelt würden, ohne dass Nutzer wüssten, an wen die Daten gehen oder wie sie etwas dagegen unternehmen könnten. Der Verbraucherrat fordert die verantwortlichen Datenschutzbehörden und -organisationen auf, die DSGVO in ihren Ländern stärker durchzusetzen.
Von der Werbeindustrie verlangen sie, andere digitale Methoden zu entwickeln, die die Grundrechte der Nutzer nicht verletzen. So gebe es etwa die Möglichkeit, statt gezielter Werbung auf sogenannte kontextuelle Werbeanzeigen zu setzen. Bei dieser Art der Online-Werbung werden Anzeigen in einem passenden Umfeld platziert. Auf einer Internetseite für Kochrezepte werden dann etwa Anzeigen für Lebensmittel und Kochutensilien geschaltet. Im Gegensatz zur personalisierten Werbung werden keine Daten über den Nutzer gesammelt und die Anzeigen nicht auf ihn zugeschnitten. Somit schädigen diese Anzeigen nicht dessen Privatsphäre, erläutert die Osloer Behörde.