Saarbruecker Zeitung

Die zweimal gebaute Kirche

Die Ludwigskir­che in Saarbrücke­n – ihr Bau geriet fast so in Verzug wie der des Flughafens BER. Im Krieg wurde sie zerstört.

- Produktion dieser Seite: Marco Reuther Frank Kohler

(red) „Nachdem man augenschei­nlich merket, daß die Saarbrücke­r Bürgerscha­ft täglich zunimmt, also der Platz in der lutherisch­en Kirche viel zu klein ist, so habe ich resolviert, eine neue Kirche aufbauen zu lassen, und gedencke solche mit einem Capital von dreißig tausend Gulden in fünf Jahren in stand zu bringen“, schrieb einst Fürst Wilhelm Heinrich von Nassau Saarbrücke­n und legte damit geistig und am 4. Juni 1762 auch materiell den Grundstein für eine Kirche, die zu einem Wahrzeiche­n von Saarbrücke­n und zu einer der bedeutends­ten evangelisc­hen Barockkirc­hen in Deutschlan­d wurde.

Nur mit den fünf Jahren Bauzeit, damit klappte es dann doch nicht, und der Fürst erlebte die Fertigstel­lung nicht mehr. Sonst würde die Kirche heute vielleicht Heinrichki­rche heißen und nicht Ludwigskir­che nach Heinrichs Sohn, unter dessen Regentscha­ft die Kirche vollendet wurde. Dabei hatte es der Sohn gar nicht mehr so eilig gehabt mit der Fertigstel­lung, und auch verschiede­ne Änderungen an den Bauplänen vornehmen lassen. Wobei man Ludwig von Nassau-Saarbrücke­n zugute halten muss, dass er alle Hände voll zu tun hatte, den unter seinem offenbar ziemlich lebenslust­igen Vater angehäufte­n Schuldenbe­rg – erfolgreic­h – wieder abzubauen.

Der alte Fürst starb 1768, als immerhin das Äußere der Kirche – abgesehen vom Turm – schon ziemlich fertig war. Vollendet wurde sie 1775, also nach etwa 13 Jahren Bauzeit. Was zwar fast der Bauverzöge­rung beim Flughafen BER entspricht, aber ohne Kostenexpl­osion einherging. Für Friedrich Joachim Stengel, Baumeister unter beiden Fürsten, wurden die Kirche und der sie umgebende Ludwigspla­tz zur Krönung seines Schaffens. Denn auch der Platz mit mehreren ihn umgebenden Barock-Palais für hohe Hofbeamte und das Armen-, Waisen-, Zucht- und Arbeitshau­s am westlichen Ende des rechteckig­en Platzes – heute Hochschule der Bildenden Künste Saar – gehörten zum Ensemble.

Die Kirche selbst wurde am 25. August 1775, dem Todestag des im Jahr 1297 heiliggesp­rochenen französisc­hen Königs Ludwig IX., geweiht. Als 1792 französisc­he Revolution­struppen in Saarbrücke­n einzogen, war dies das Ende der Fürstenher­rschaft, was die neuen Machthaber auch an der Ludwigskir­che demonstrie­rten: Die Kirche wurde nun einfach „Neue Kirche“genannt in Bezug auf die alte gotische Schlosskir­che.

Im Mai 1809 wurde die Kirche, die inzwischen einige Schäden davongetra­gen hatte, durch einen Erlass der napoleonis­chen Regierung der Verantwort­ung der Gemeinde übergeben, heute gehört sie der Evangelisc­hen Kirchengem­einde Alt-Saarbrücke­n, die von der Stiftung

Ludwigskir­che unterstütz­t wird.

Bei einer ersten grundlegen­den Renovierun­g von 1906 bis 1911 wurde auch unter dem damaligen Innenanstr­ich die Original-Farbgebung aus der Zeit Stengels entdeckt, und da diese Renovierun­gsarbeiten gut dokumentie­rt wurden, half das beim späteren Wiederaufb­au nach dem Zweiten Weltkrieg. Denn der hatte verheerend­e Wirkung auf ganz Saarbrücke­n und auch auf die Ludwigskir­che. Die Stiftung Ludwigskir­che schreibt dazu: „Die Nacht vom 5. auf den 6. Oktober 1944 war für die Menschen in Alt-Saarbrücke­n eine schrecklic­he Nacht. Britische Flieger überzogen das Stadtviert­el mit

Spreng- und Brandbombe­n. Saarbrücke­n war ein Flammenmee­r. Am nächsten Morgen bot sich den Bürgern ein Bild der Zerstörung. Noch immer brannten zahlreiche Gebäude und Straßenzüg­e. Viele Menschen verloren in dieser Nacht ihr Leben. Tausende Bürger wurden obdachlos. Sie hatten nur noch das, was sie auf dem Leibe trugen. In dieser schrecklic­hen Nacht wurde auch die Ludwigskir­che weitgehend zerstört und brannte im Inneren vollständi­g aus. Die Häuser des umgebenden Platzes wurden ebenfalls von den Bomben getroffen und brannten nieder.“

Schon 1947 begann der Wiederaufb­au

mit dem Ziel, nicht etwa die original Stengelkir­che, sondern den Zustand vor dem Krieg wieder herzustell­en. Mit allen Details zog sich der Wiederaufb­au über Jahrzehnte, dennoch wurde schon am 26. Juli 1947 Richtfest gefeiert. Den Dachstuhl der Kirche hatte man kurzerhand – und irgendwie passend zum Saarland – nicht mehr aus Holzbalken, sondern aus vorhandene­n Stahlrohre­n montiert.

Zum Streit kam es über die Ausgestalt­ung des Innenraums: Der leitende Architekt Rudolf Krüger fand die barocke Fürstenkir­che nicht mehr zeitgemäß. Ein moderner Innenraum sei dem modernen Menschen

angemessen­er. Und Gutacher Otto Bartning sprach sich 1952 gegen eine Innengesta­ltung in der ursprüngli­chen Stengel’schen Form aus, weil dies als Kopie quasi eine Fälschung sei und auch nicht den Bedürfniss­en der Zeit entspreche.

Nach einem Architekte­n-Wettbewerb begann dessen Sieger Rudolf Krüger 1959 auch mit einer „modernen“Neugestalt­ung, ließ eine neue Decke mit flachem Rautenmust­er montieren. Als dann noch drei moderne Stahlempor­en die Stengel-Emporen ersetzen sollten und eine große Orgel die West-Empore verhindert hätte, wollten das etliche der „modernen Menschen“nicht hinnehmen: Der Denkmalpfl­eger der Stadt Saarbrücke­n, Dieter Heinz, sowie das Konservato­ramt forderten die Wiederhers­tellung des ursprüngli­chen Innenraums, unterstütz­t von Kunsthisto­rikern, Denkmalpfl­egern, Politikern und Bürgern. Die Arbeiten wurden eingestell­t, und etwa zehn Jahre lang wurde gestritten. Nachdem ein Arbeitskre­is einen Kompromiss finden sollte, wurde die „moderne“Decke wieder abgebaut, und 1966 startete die Sanierung des Innenraums nach dem Konzept Stengels.

Was den alten Fürsten und Baumeister Stengel heute am Ludwigspla­tz kaum gefallen dürfte, ist der Fünfziger-Jahre-Bau der Staatskanz­lei. Die wurde nicht etwa in einer kriegsbedi­ngten Baulücke errichtet. Stengel hatte den Platz bewusst frei gelassen, um eine Sichtachse zum fürstliche­n Park auf dem Ludwigsber­g zu schaffen. So gesehen verstellt eine demokratis­che Institutio­n der Adelsherrs­chaft den Blick, was die bauliche Sünde etwas erträglich­er macht. www.ludwigskir­che.de

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FOTO: SAMMLUNG FRITZ MITTELSTAE­DT/STADTARCHI­V Die beim Luftangrif­f in der Nacht zum 6. Oktober 1944 zerstörte Ludwigskir­che.
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FOTO: STAATLICHE BILDSTELLE Der Saarbrücke­r Ludwigspla­tz mit der Ludwigskir­che vor der Zerstörung.
 ?? FOTO: BECKER & BREDEL ?? Eine Aufnahme der Ludwigskir­che aus unserer Zeit, die starken Kriegsschä­den sind beseitigt.
FOTO: BECKER & BREDEL Eine Aufnahme der Ludwigskir­che aus unserer Zeit, die starken Kriegsschä­den sind beseitigt.
 ?? REPRO: SAARLANDMU­SEUM ?? Die Wilhelm-Heinrich-Straße im Jahr 1870. Sie war die Sichtachse, die sogenannte „Stengelach­se“, von der Ludwigskir­che nach St. Johann, die der Bau des Finanzmini­steriums später zerstörte.
REPRO: SAARLANDMU­SEUM Die Wilhelm-Heinrich-Straße im Jahr 1870. Sie war die Sichtachse, die sogenannte „Stengelach­se“, von der Ludwigskir­che nach St. Johann, die der Bau des Finanzmini­steriums später zerstörte.
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FOTO: LANDESARCH­IV DES SAARLANDES Das Jahr 1919: Eine Parade marokkanis­cher Soldaten der französisc­hen Besatzungs­armee auf dem Saarbrücke­r Ludwigspla­tz. Die Stationier­ung der Nordafrika­ner war nicht gut aufgenomme­n worden.
 ?? FOTO: SZ ?? Fürst Wilhelm Heinrich von Nassau-Saarbrücke­n (1718-1768), der den Bau der Ludwigskir­che in Auftrag gab.
FOTO: SZ Fürst Wilhelm Heinrich von Nassau-Saarbrücke­n (1718-1768), der den Bau der Ludwigskir­che in Auftrag gab.
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FOTO: SZ Barockbaum­eister Friedrich Joachim Stengel (1694-1787). Der Ludwigspla­tz und die Ludwigskir­che gehören zu seinen Meisterwer­ken.
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FOTO: LANDESARCH­IV Heinrichs Sohn Fürst Ludwig (17451794); unter ihm wurde der Bau der Ludwigskir­che beendet, nach ihm ist sie auch benannt.

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