Die zweimal gebaute Kirche
Die Ludwigskirche in Saarbrücken – ihr Bau geriet fast so in Verzug wie der des Flughafens BER. Im Krieg wurde sie zerstört.
(red) „Nachdem man augenscheinlich merket, daß die Saarbrücker Bürgerschaft täglich zunimmt, also der Platz in der lutherischen Kirche viel zu klein ist, so habe ich resolviert, eine neue Kirche aufbauen zu lassen, und gedencke solche mit einem Capital von dreißig tausend Gulden in fünf Jahren in stand zu bringen“, schrieb einst Fürst Wilhelm Heinrich von Nassau Saarbrücken und legte damit geistig und am 4. Juni 1762 auch materiell den Grundstein für eine Kirche, die zu einem Wahrzeichen von Saarbrücken und zu einer der bedeutendsten evangelischen Barockkirchen in Deutschland wurde.
Nur mit den fünf Jahren Bauzeit, damit klappte es dann doch nicht, und der Fürst erlebte die Fertigstellung nicht mehr. Sonst würde die Kirche heute vielleicht Heinrichkirche heißen und nicht Ludwigskirche nach Heinrichs Sohn, unter dessen Regentschaft die Kirche vollendet wurde. Dabei hatte es der Sohn gar nicht mehr so eilig gehabt mit der Fertigstellung, und auch verschiedene Änderungen an den Bauplänen vornehmen lassen. Wobei man Ludwig von Nassau-Saarbrücken zugute halten muss, dass er alle Hände voll zu tun hatte, den unter seinem offenbar ziemlich lebenslustigen Vater angehäuften Schuldenberg – erfolgreich – wieder abzubauen.
Der alte Fürst starb 1768, als immerhin das Äußere der Kirche – abgesehen vom Turm – schon ziemlich fertig war. Vollendet wurde sie 1775, also nach etwa 13 Jahren Bauzeit. Was zwar fast der Bauverzögerung beim Flughafen BER entspricht, aber ohne Kostenexplosion einherging. Für Friedrich Joachim Stengel, Baumeister unter beiden Fürsten, wurden die Kirche und der sie umgebende Ludwigsplatz zur Krönung seines Schaffens. Denn auch der Platz mit mehreren ihn umgebenden Barock-Palais für hohe Hofbeamte und das Armen-, Waisen-, Zucht- und Arbeitshaus am westlichen Ende des rechteckigen Platzes – heute Hochschule der Bildenden Künste Saar – gehörten zum Ensemble.
Die Kirche selbst wurde am 25. August 1775, dem Todestag des im Jahr 1297 heiliggesprochenen französischen Königs Ludwig IX., geweiht. Als 1792 französische Revolutionstruppen in Saarbrücken einzogen, war dies das Ende der Fürstenherrschaft, was die neuen Machthaber auch an der Ludwigskirche demonstrierten: Die Kirche wurde nun einfach „Neue Kirche“genannt in Bezug auf die alte gotische Schlosskirche.
Im Mai 1809 wurde die Kirche, die inzwischen einige Schäden davongetragen hatte, durch einen Erlass der napoleonischen Regierung der Verantwortung der Gemeinde übergeben, heute gehört sie der Evangelischen Kirchengemeinde Alt-Saarbrücken, die von der Stiftung
Ludwigskirche unterstützt wird.
Bei einer ersten grundlegenden Renovierung von 1906 bis 1911 wurde auch unter dem damaligen Innenanstrich die Original-Farbgebung aus der Zeit Stengels entdeckt, und da diese Renovierungsarbeiten gut dokumentiert wurden, half das beim späteren Wiederaufbau nach dem Zweiten Weltkrieg. Denn der hatte verheerende Wirkung auf ganz Saarbrücken und auch auf die Ludwigskirche. Die Stiftung Ludwigskirche schreibt dazu: „Die Nacht vom 5. auf den 6. Oktober 1944 war für die Menschen in Alt-Saarbrücken eine schreckliche Nacht. Britische Flieger überzogen das Stadtviertel mit
Spreng- und Brandbomben. Saarbrücken war ein Flammenmeer. Am nächsten Morgen bot sich den Bürgern ein Bild der Zerstörung. Noch immer brannten zahlreiche Gebäude und Straßenzüge. Viele Menschen verloren in dieser Nacht ihr Leben. Tausende Bürger wurden obdachlos. Sie hatten nur noch das, was sie auf dem Leibe trugen. In dieser schrecklichen Nacht wurde auch die Ludwigskirche weitgehend zerstört und brannte im Inneren vollständig aus. Die Häuser des umgebenden Platzes wurden ebenfalls von den Bomben getroffen und brannten nieder.“
Schon 1947 begann der Wiederaufbau
mit dem Ziel, nicht etwa die original Stengelkirche, sondern den Zustand vor dem Krieg wieder herzustellen. Mit allen Details zog sich der Wiederaufbau über Jahrzehnte, dennoch wurde schon am 26. Juli 1947 Richtfest gefeiert. Den Dachstuhl der Kirche hatte man kurzerhand – und irgendwie passend zum Saarland – nicht mehr aus Holzbalken, sondern aus vorhandenen Stahlrohren montiert.
Zum Streit kam es über die Ausgestaltung des Innenraums: Der leitende Architekt Rudolf Krüger fand die barocke Fürstenkirche nicht mehr zeitgemäß. Ein moderner Innenraum sei dem modernen Menschen
angemessener. Und Gutacher Otto Bartning sprach sich 1952 gegen eine Innengestaltung in der ursprünglichen Stengel’schen Form aus, weil dies als Kopie quasi eine Fälschung sei und auch nicht den Bedürfnissen der Zeit entspreche.
Nach einem Architekten-Wettbewerb begann dessen Sieger Rudolf Krüger 1959 auch mit einer „modernen“Neugestaltung, ließ eine neue Decke mit flachem Rautenmuster montieren. Als dann noch drei moderne Stahlemporen die Stengel-Emporen ersetzen sollten und eine große Orgel die West-Empore verhindert hätte, wollten das etliche der „modernen Menschen“nicht hinnehmen: Der Denkmalpfleger der Stadt Saarbrücken, Dieter Heinz, sowie das Konservatoramt forderten die Wiederherstellung des ursprünglichen Innenraums, unterstützt von Kunsthistorikern, Denkmalpflegern, Politikern und Bürgern. Die Arbeiten wurden eingestellt, und etwa zehn Jahre lang wurde gestritten. Nachdem ein Arbeitskreis einen Kompromiss finden sollte, wurde die „moderne“Decke wieder abgebaut, und 1966 startete die Sanierung des Innenraums nach dem Konzept Stengels.
Was den alten Fürsten und Baumeister Stengel heute am Ludwigsplatz kaum gefallen dürfte, ist der Fünfziger-Jahre-Bau der Staatskanzlei. Die wurde nicht etwa in einer kriegsbedingten Baulücke errichtet. Stengel hatte den Platz bewusst frei gelassen, um eine Sichtachse zum fürstlichen Park auf dem Ludwigsberg zu schaffen. So gesehen verstellt eine demokratische Institution der Adelsherrschaft den Blick, was die bauliche Sünde etwas erträglicher macht. www.ludwigskirche.de