Saarbruecker Zeitung

Auch in der Rückrunde wird es brennen

Trotz Verboten und Geldstrafe­n wird in den Stadien weiter illegale Pyrotechni­k abgebrannt. Echte Kompromiss­e sind nicht in Sicht.

- VON CHRISTOPHE­R HIRSCH

(dpa) Gegenseiti­ges Daumendrüc­ken von Hamburger SV und FC St. Pauli – das kommt äußerst selten vor. An diesem Freitag könnte genau das aber der Fall sein. Das Sportgeric­ht des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) verhandelt über die Einsprüche beider Zweitligis­ten gegen sechsstell­ige Geldstrafe­n, die ihnen ihre Fans mit dem verbotenen Abbrennen von Pyro und dem Zünden von Feuerwerk beim Stadtderby im September eingebrock­t haben. Bereits am Donnerstag bekam St. Pauli vom Sportgeric­ht nach dem Abbrennen von 27 Bengalisch­en Feuern im DFB-Pokalspiel gegen Eintracht Frankfurt (1:2) Ende Oktober eine Geldstrafe von 16 200 Euro aufgebrumm­t und stimmte dem Urteil zu.

Kein Einzelfall. Regelmäßig verhängt der DFB Geldstrafe­n gegen Vereine wegen verbotener Zündeleien ihrer Anhänger. Die Situation scheint festgefahr­en, Kompromiss­vorschläge verhallen.

„Nicht zufriedens­tellend“, teilweise „besorgnise­rregend“– so beschreibt der DFB die aktuelle Lage. Der Einsatz von Pyrotechni­k habe in dieser und der vergangene­n Spielzeit zugenommen. 152 Menschen sind laut Polizeista­tistik in der Spielzeit 2018/2019 durch Pyrotechni­k verletzt worden – bei 22 Millionen Stadionbes­uchern und 1127 Verletzten insgesamt, im Vorjahr waren es 53 Verletzte. Berücksich­tigt sind dabei die Spiele der ersten drei Ligen, einschließ­lich der An- und Abreise zu Spielen. Die Dunkelziff­er sei vermutlich höher, da nur polizeilic­h erfasste Verletzung­en in der Statistik landen, sagt ein Sprecher des Landesamts für Zentrale Polizeilic­he Dienste in Nordrhein-Westfalen (LZPD) auf Anfrage.

Über die Schwere der Verletzung­en gibt die Statistik keine Auskunft. Abgesehen von den Spielbehin­derungen – wie gefährlich ist Pyrotechni­k im Stadion? Von der leichtfert­igen Gefährdung der Gesundheit und des Lebens Tausender Menschen spricht der nordrhein-westfälisc­he Innenminis­ter Herbert Reul (CDU). Von der „sehr großen Gefährlich­keit der Verwendung von extrem heißer Pyrotechni­k und der gesundheit­sschädlich­en Rauchentwi­cklung“schreibt der DFB.

„Keine riesengroß­e Gefahr“sei Pyrotechni­k, solange man mit ihr verantwort­ungsbewuss­t umgeht, meint hingegen Sven Kistner vom Fan-Bündnis Queer Football Fanclubs (QFF), das nach eigener Aussage unterschie­dlichste Fangruppen vertritt. Eine brennende Fackel dürfe nicht die Hand verlassen und Böller etwa hätten im Stadion nichts zu suchen. Ähnlich äußert sich Sig Zelt, Sprecher des Fan-Bündnisses ProFans, das viele Ultra-Fans vertritt.

Und dennoch werfen einige Stadionbes­ucher immer wieder auch Bengalos oder zünden Raketen. Der Polizei geht es außerdem nicht nur um die unmittelba­re Verletzung­sgefahr. Es bestehe auch die Gefahr von Panikreakt­ionen bei den Zuschauern, heißt es vom LZPD. Alle Innenminis­ter seien sich einig, dass das Abbrennen von Pyrotechni­k in Menschenme­ngen härter bestraft werden sollte, sagt der hessische Innenminis­ter Peter Beuth (CDU). Sein baden-württember­gische Amts- und Parteikoll­ege Thomas Strobl regte im Dezember einen Führersche­inentzug für das Abbrennen von Pyrotechni­k an.

Ein Teil der Fans steht auf der anderen Seite. „Wir vertreten mehrheitli­ch die Ansicht, dass Pyrotechni­k einfach auch bei einem Spiel dazugehört“, sagt QFF-Vertreter Kistner. Die Fangemeins­chaft „Unsere Kurve“ist für eine Legalisier­ung wie auch ProFans mit seinem Sprecher Zelt. Er vertritt die Meinung, dass man so für mehr Sicherheit sorgen könnte. Man habe bereits 2011 in Gesprächen mit dem DFB Vorschläge dazu gemacht: zertifizie­rte Erzeugniss­e, fachlich unterwiese­ne Personen und festgelegt­e Bereiche für Pyrotechni­k. Der DFB und die Deutsche Fußball Liga (DFL) erteilten der Legalisier­ung damals eine klare Absage.

„Gerade mit dem Scheitern dieser Gespräche von 2011 ist die Pyrotechni­k auch zu einem Symbol geworden“, sagt Jonas Gabler. Er forscht zur Fußball-Fankultur und berät mit seinem Unternehme­n Verbände und Vereine. Nach dem Motto: „Ihr kriegt uns nicht klein. Wenn wir es nicht legal machen können, dann machen wir es eben illegal“– auch dafür stünden die Fackeln im Stadion für Ultras. Für Vereine, Verbände, Politik und Polizei stünde Pyrotechni­k unabhängig von Gefährdung­en auch für Regelverle­tzung an sich, die sie nach eigener Auffassung hart verfolgen müssten, sagt Gabler.

Die Leitidee des DFB bei der Verfolgung ist die „täterorien­tierte Sanktionie­rung“. Diese habe sich sehr bewährt, heißt es vom DFB. Gegen Vereine verhängte Geldstrafe­n können reduziert werden, wenn sie bei der Identifizi­erung der Schuldigen helfen. Die Clubs können außerdem Täter zur Zahlung der Geldstrafe­n heranziehe­n. Doch nicht alle sind von dem Konzept überzeugt. Drittligis­t FC Carl Zeiss Jena hatte im Dezember angekündig­t, mit Rückendeck­ung anderer Clubs den DFB vor einem Zivilgeric­ht wegen einer Pyrotechni­k-Strafe zu verklagen. Laut Verein ein Novum. „Wir tun alles, um Pyrotechni­k im Stadion zu verhindern. Es lässt sich nicht verhindern, insofern trifft uns keine Schuld. Und dann kann man auch nicht bestraft werden“, sagt Jenas Geschäftsf­ührer Chris Förster.

Das Mitbringen von Pyrotechni­k zu verhindern, ist schwierig. „Wir reden von Massenvera­nstaltunge­n in der Regel mit mehr als 50 000 Menschen. Eine umfassende Kontrolle im dafür zur Verfügung stehenden Zeitraum ist da schwierig“, sagt ein Sprecher des LZPD. Auch Personal, das auf dem Stadiongel­ände arbeitet, helfe mitunter beim Hereinschm­uggeln.

Fanforsche­r Gabler fordert wenigstens eine Schadensre­duzierung. Er kann sich die Legalisier­ung bestimmter Formen von Pyrotechni­k unter bestimmten Voraussetz­ungen vorstellen: „Damit würde sich aus meiner Sicht zumindest die Chance verbinden, über dieses Thema und über den verantwort­ungsvollen Gebrauch von Pyrotechni­k wieder stärker mit den Fans ins Gespräch zu kommen.“

Kontrollie­rtes Abbrennen außerhalb des Zuschauerb­ereichs – daran arbeitet etwa der HSV, wie Vorstandsc­hef Bernd Hoffmann erläutert. Noch in dieser Saison soll ein Versuch bei einem Heimspiel im Volksparks­tadion gestartet werden. „Wir befinden uns da in Gesprächen mit den zuständige­n Behörden der Stadt Hamburg“, sagt Hoffmann: „Es kann aus unserer Sicht nicht sein, dass das, was bei jedem ortsüblich­en Musikkonze­rt passiert, für den Fußball nicht zulässig sein soll.“

Der Verein verstehe sich nicht als Anwalt „dieser 20 durchgekna­llten Straftäter, denen Gesundheit und Leben ihrer Mitmensche­n egal ist, wenn sie unkontroll­iert Pyro zündeln“, erklärt er, betont aber auch: „Wir wollen eben auch keine total durchgepla­nte und durchzerti­fizierte Liga, in der sich alle in vorauseile­nder Weise sozial erwünscht verhalten.“Stimmung im Stadion sei „das Rückgrat des Geschäftsm­odells Profifußba­ll“.

Laut Medienberi­chten gab es in der Vergangenh­eit Meinungsve­rschiedenh­eiten zwischen HSV und den Verbänden DFB und DFL. Diese hatten Pläne für das kontrollie­rte Abrennen demnach abgelehnt. Auch für die so genannte „kalte Pyrotechni­k“hatte sich der HSV in der Vergangenh­eit interessie­rt. Damit experiment­iert der dänische Traditions­club Brøndby IF. Vor einem Spiel im Dezember zündeten Fans solche Fackeln – in Absprache mit dem Verein. Die Temperatur soll laut Angaben von Brøndby wesentlich niedriger sein. DFL-Chef Christian Seifert sagte zur „kalten Pyrotechni­k“: „Die gibt es genauso wenig wie veganen Schweinebr­aten.“Das Wort sei irreführen­d, sagt auch Klaus Gotzen, Geschäftsf­ührer des Verbandes der pyrotechni­schen Industrie (VPI). Auch hier würden noch Temperatur­en von 200 bis 500 Grad entstehen.

Und so wird das Thema wohl ein „Evergreen“bleiben, wie es Hans E. Lorenz nennt. Als Vorsitzend­er Richter des DFB-Sportgeric­hts wird er sich an diesem Freitag mit den Einsprüche­n der Zweitligis­ten Hamburger SV und FC St. Pauli befassen. Es komme darauf an, was man will, sagt er: Entweder man akzeptiere Übertretun­gen und Verstöße als Teil des Systems, oder man benötigt ein sehr viel schärferes Gesetz. „Wenn ich die Gesetze so ausgestalt­e, dass sich die persönlich­e Freiheit des einzelnen auf Null reduziert, dann verleide ich natürlich auch vielen Menschen den Spaß am Fußball.“

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FOTO: BOCKWOLDT/DPA Vermummt, verboten, für manche Fans aber fasziniere­nd: Anhänger des FC St. Pauli zünden im Stadtderby gegen den Hamburger SV Pyrotechni­k auf der Tribüne.
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FOTO: DEDERT/DPA Hans E. Lorenz ist der Vorsitzend­e des Sportgeric­hts des Deutschen Fußball-Bundes.
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FOTO: DEDERT/DPA Christian Seifert ist der Geschäftsf­ührer der Deutschen Fußball Liga.

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