Saarbruecker Zeitung

Erster Reaktor des AKW Fessenheim abgeschalt­et

Die Abschaltun­g des Atomkraftw­erks sorgt für Freude in Deutschlan­d. Doch auf französisc­her Seite machen sich viele Sorgen um die Zukunft.

- Produktion dieser Seite: Manuel Görtz, Robby Lorenz Iris Neu-Michalik VON KNUT KROHN

Im umstritten­en elsässisch­en Kernkraftw­erk Fessenheim wird diesen Samstag der erste Reaktor herunterge­fahren, am 30. Juni soll das AKW dann komplett stillgeleg­t werden. Anwohner bedauern das.

Auch am Ende ist noch lange nicht Schluss. Wenn im AKW Fessenheim im Elsass die Reaktoren längst herunterge­fahren sind, werden in den 39 umliegende­n Gemeinden weiterhin kostenlos Jodtablett­en in den Apotheken verteilt, ist auf der Internetse­ite der Electricit­é de France (EDF) zu lesen. Sie sollen bei einem Atomunfall in einem der Meiler verhindern, dass radioaktiv­es Jod vom Körper aufgenomme­n wird. Mit dem Abschalten ist nach Einschätzu­ng von Experten eine gefährlich­e Kernschmel­ze zwar nicht mehr möglich, doch die EDF will als Betreiberi­n des Atomkraftw­erkes kein Risiko eingehen.

Vor 43 Jahren ging der 1800-Megawatt-Meiler ans Netz, doch an diesem Samstag um 2.30 Uhr beginnt der Anfang vom Ende. Dann wird der erste der beiden Druckwasse­rreaktoren herunterge­fahren, am 30. Juni folgt der zweite. Mindestens 20 Jahre wird der Rückbau der gesamten Anlage dann noch dauern. Ob bis dato die Wunden verheilt sind, die der Streit um das Atomkraftw­erk bei den Menschen in der Region gerissen hat, ist mehr als fraglich.

In Fessenheim verläuft der Graben zwischen Gegnern und Befürworte­rn ziemlich genau entlang der deutsch-französisc­hen Grenze im Rheintal. Auf der deutschen Rheinseite fordern Bürgerinit­iativen und Politik seit Jahren vehement das Ende der Anlage im Elsass. Für ihre Gefährlich­keit wurden immer wieder die verheerend­en Bilder aus Fukushima oder Tschernoby­l angeführt. „Das Atomkraftw­erk Fessenheim hätte nie in Betrieb gehen dürfen“, sagt Stefan Auchter von der Umweltorga­nisation BUND. „So gesehen kommt die Abschaltun­g 43 Jahre zu spät.“

Auch die grün-geführte baden-württember­gische Landesregi­erung hat sich für das Ende des ältesten französisc­hen Reaktors stark gemacht, der ein „enormes Risiko für die ganze Region“sei. In Stuttgart wird argumentie­rt, dass bei einem schweren Unfall in Fessenheim das rund 30 Kilometer Luftlinie entfernte Freiburg komplett evakuiert werden müsste. Zudem stehe das Atomkraftw­erk nicht auf ewig festem Grund – rechtsrhei­nisch liege die erdbebenst­ärkste Region Deutschlan­ds. Gegen Erdbeben aber seien die Reaktoren nur unzureiche­nd gesichert, ebenso wenig gegen einen Flugzeugab­sturz oder einen terroristi­schen Anschlag.

Im Elsass dagegen haben Politiker, Gewerkscha­ften und vor allem die Anwohner genauso erbittert für die Erhaltung des Kraftwerks gekämpft. Doch jetzt ist Schluss. Die meisten der rund 1000 Mitarbeite­r der Anlage schwanken zwischen Wut, Trauer und Verzweiflu­ng. Für viele Familien heißt es, dass sie in den kommenden Jahren umziehen müssen.

Die meisten von ihnen verstehen die Entscheidu­ng des französisc­hen Staates nicht, die Reaktoren endgültig herunterzu­fahren. In ihren Augen stellt das Atomkraftw­erk auch trotz seines Alters und der immer wieder aufgetrete­nen Störfälle keine Gefahr dar. Viele waren stolz, in dem Meiler arbeiten zu können. Der Ingenieur Frédéric Simeoni schwärmt von dem brummenden Geräusch im Maschinenr­aum, wenn die Reaktoren Strom produziert­en, der Wärme und dem leichten Vibrieren. All das sei nun Vergangenh­eit, sagt der 56-Jährige, der seit fast 30 Jahre in Fessenheim arbeitet. Seine Aufgabe wird es in den kommenden Jahren sein, die Meiler beim streng kontrollie­rten Rückbau zu überwachen.

Viele der Angestellt­en des Kraftwerke­s halten die Entscheidu­ng für politisch motiviert. Immer wieder fällt der Name des französisc­hen Ex-Präsidente­n François Hollande. Der habe im Wahlkampf um das Präsidente­namt 2012 Fessenheim für ein paar Stimmen von Umweltschü­tzen und Atomkraftg­egnern geopfert. Allerdings brach der Sozialist dann sein Verspreche­n, die Anlage schon 2016 abzustelle­n, das übernimmt nun sein Nachfolger Emmanuel Macron. Aber auch ihm wird vorgeworfe­n, damit nur ein politische­s Zeichen an die europäisch­en Nachbarn setzen zu wollen, dass es Frankreich ernst meine mit dem

Ausstieg aus der umstritten­en Kernenergi­e, hin zu einer ökologisch­en Wende bei der Stromgewin­nung.

Allerdings liegt der Atomanteil am Strommix in Frankreich auch nach dem Aus in Fessenheim noch deutlich über 70 Prozent. Anfangs hatte die Regierung in Paris vor, ihn bis 2025 auf 50 Prozent zu senken, doch dieses ehrgeizige Ziel wurde inzwischen wieder kassiert und um mindestens zehn Jahre nach hinten verschoben.

Auch Fessenheim­s Bürgermeis­ter Claude Brender ist überzeugt, dass seine Gemeinde vom fernen Paris als eine Art „politische Geisel“genommen wurde, um damit auf Stimmenfan­g zu gehen. Er hält das Ende des AKW für unsinnig. Das Kraftwerk sei abbezahlt, höchst rentabel – und sicher. Die Angst der Menschen vor den Gefahren führt er auf „Falschinfo­rmationen“zurück. Viel gefährlich­er seien Kohlekraft­werke mit ihren Emissionen, wie es sie in Deutschlan­d zuhauf gebe. Auf den Nachbarn ist Brender generell nicht gut zu sprechen. Die Berliner Energiewen­de hält er für ein Fiasko. Sinnvoller wäre es seiner Ansicht nach gewesen, zuerst aus der Stromprodu­ktion durch Kohle auszusteig­en und erst danach aus der Kernenergi­e.

Der Zorn des Bürgermeis­ters ist nachzuvoll­ziehen. Während auf der deutschen Rheinseite und in der Schweiz die Wirtschaft boomt, ist die 2400-Einwohner-Gemeinde vom Arbeitgebe­r EDF abhängig. Mit dem Ende des Kraftwerks gehen Arbeitsplä­tze und Steuereinn­ahmen verloren. Fessenheim fordert zum Ausgleich Millionenh­ilfen, dem Betreiber EDF hat der Staat bereits eine Abschaltpr­ämie von 400 Millionen Euro zugesagt.

Doch Präsident Macron hat mit Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU) andere Pläne für die Region geschmiede­t. Aufgebaut werden soll ein deutsch-französisc­her Industriep­ark, der mit bis zu einer Million Euro Starthilfe gefördert werden soll. Was sich dort ansiedeln könnte, ist allerdings noch offen.

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FOTO: BOZON/AFP Am frühen Samstagmor­gen wird der erste Reaktor in Fessenheim herunterge­fahren. Viele Anwohner sind gegen die Stilllegun­g des Kernkraftw­erks.
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