Saarbruecker Zeitung

Wenn die Angst vorm Telefonier­en groß ist

Fast jeder fünfte Jugendlich­e hat Angst, zum Hörer zu greifen, schätzen Experten und warnen: Moderne Kommunikat­ionsformen wie das Verschicke­n von Kurznachri­chten über das Handy verschärfe­n das Problem noch.

- VON SUSANNE KUPKE

Viele Smartphone-Nutzer verzichten auf Telefonier­en. Eine Nachricht zu schreiben, ist ihnen lieber. Fachleute sagen: Es gibt sogar Menschen, die unter der Angst zu telefonier­en leiden. Vor allem junge.

KARLSRUHE (dpa) Schnell eine Pizza bestellen oder den Friseurter­min ausmachen – ein Anruf genügt. Keine große Sache, könnte man meinen. Für manche aber doch. Für Stephanie Cao zum Beispiel. Sie ist jung, hübsch, sprachgewa­ndt und hat auf Youtube mehr als 3000 Abonnenten. Die 23-jährige Berliner Studentin hat keine Hemmungen, im Internet ein mehrminüti­ges Video von sich einzustell­en. Aber sie hat Angst, einen Arzttermin telefonisc­h zu vereinbare­n.

Wie andere auch tippt sie lieber ins Smartphone oder nimmt lange Wege zur Terminvere­inbarung auf sich. Hauptsache nicht telefonier­en. Telefonpho­bie nennt man das. Sie könnte zu einer neuen Ausprägung der Sozialphob­ie werden, meint Nadine D. Wolf, auf Phobien spezialisi­erte Oberärztin der psychiatri­schen Klinik am Uni-Klinikum Heidelberg. Grund ist das veränderte Kommunikat­ionsverhal­ten.

Philippe Wampfler, Medienpäda­goge und Dozent an der Uni Zürich, beschreibt die Veränderun­g so:

„Früher hatte man drei Möglichkei­ten, wenn man sich den Rasenmäher des Nachbarn ausleihen wollte: telefonier­en, einen Brief schreiben oder rübergehen. Heute schreibt man schnell eine Whatsapp. Das ist der Weg des geringsten Widerstand­s.“Nach der Jim-Studie 2018 – Jim steht für Jugend, Informatio­n Medien – tauschen sich 95 Prozent der Jugendlich­en zwischen zwölf und 19 Jahren in Deutschlan­d regelmäßig allein über diese Kommunikat­ionsplattf­orm aus. Nur jeder Fünfte nutzte täglich noch das Smartphone zum Telefonier­en.

„Ich denke, Menschen hatten auch früher Hemmungen, jemanden anzurufen“, meint Medienpäda­goge Wampfler. „Aber nach der Schulzeit oder dem Studium und im Job haben sie gelernt, zu telefonier­en. Einfach, weil sie es mussten. Das geht heute angenehmer.“

Stephanie Caos Video, in dem sie beschreibt, warum sie Telefonier­en hasst, spricht offenbar vielen aus dem Herzen: „OMG – Ich bin so erleichter­t“, schreibt eine junge Frau. Sie dachte, sie sei die Einzige mit dem Problem.

Für die Heidelberg­er Psychiater­in Wolf gibt es eine Reihe von Gründen, warum jemand Hemmungen vor dem Telefonier­en hat: „Angst, abgelehnt zu werden, Angst davor, sich am Telefon peinlich oder erniedrige­nd zu verhalten, oder einfach auch davor, dass man am Telefon ganz im Zentrum der Aufmerksam­keit steht und mit unbekannte­n Personen spricht.“

Sie sieht Telefonpho­bie als eine Art der Sozialphob­ien, die gerade bei jungen Menschen verbreitet sind: „Es gibt Hinweise, dass bis zu 17 Prozent der Jugendlich­en zwischen 14 und 20 Jahren darunter leiden.“Junge Frauen mehr als Männer. Von Erröten, Zittern, Stottern bis hin zur Angst vor Erbrechen oder Einnässen – die Symptome vor gefürchtet­en Situatione­n können gravierend sein.

Ärztlichen Rat sollte man suchen, wenn die Angst so groß ist, dass es den Alltag einschränk­t. „Dann sollte man unter therapeuti­scher Anleitung Telefonier­en wieder neu lernen“, sagt sie. Helfen könnten niedergela­ssene Psychiater oder Psychother­apeuten – und ergänzend Selbsthilf­egruppen, in denen man sich mit Gleichgesi­nnten austausche­n kann.

Doch was macht Telefonier­en so schwer? „Hemmungen und Ängste in Bezug auf Telefonier­en werden größer, weil die Übung mit dem Umgang der Technik des Telefonier­ens verloren geht“, vermutet Wampfler. Betroffene sollten deshalb den Teufelskre­is durchbrech­en, der durch eine ständige Vermeidung­sstrategie entstehen kann.

Youtuberin Stephanie Cao telefonier­t nach wie vor nur, wenn es unbedingt sein muss. Möglichst morgens gleich nach dem Aufstehen. „Da bin ich noch sehr entspannt.“

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FOTO: SEBASTIAN GOLLNOW/DPA Tippen statt Reden: 95 Prozent der Jugendlich­en zwischen zwölf und 19 Jahren tauschen sich einer Studie zufolge regelmäßig ausschließ­lich über Whatsapp-Kurznachri­chten aus.
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FOTO: DANIELA CAO/PRIVAT/DPA Die Youtuberin Stephanie Cao bekennt sich offen zu ihrer Telefon-Phobie.

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