Saarbruecker Zeitung

Erfurt spielt bei der Wahl in Hamburg eine große Rolle

Die Bürgerscha­ftswahl in dem Stadtstaat wird von den Ereignisse­n in Thüringen überschatt­et. Vor allem der FDP und Christian Lindner droht Ungemach.

- VON WERNER KOLHOFF Produktion dieser Seite: Gerrit Dauelsberg, Robby Lorenz Iris Neu-Michalik, Manuel Görtz

Es ist die einzige Landtagswa­hl in diesem Jahr, ein kleiner Stadtstaat mit 1,3 Millionen Wahlberech­tigten. Bundespoli­tisch wäre der Urnengang in Hamburg am Sonntag kaum der Rede wert – wenn nicht Thüringen gewesen wäre.

Richtig kitzlig wird es für Christian Lindner. Der FDP-Chef hatte in der Erfurter Affäre, in der sein Parteifreu­nd Thomas Kemmerich im Mittelpunk­t stand, anfangs keine gute Figur gemacht. Auffällig war jedenfalls, dass die Reaktionen der Hamburger Liberalen auf den Tabubruch von Thüringen viel harscher waren als die des Parteichef­s. Sowohl Spitzenkan­didatin Anna von Treuenfels als auch Landeschef­in Katja Suding, die auch stellvertr­etende Parteivors­itzende im Bund ist, forderten sofort Kemmerichs Rückzug. Erfurt sei „ein Desaster“, erklärte Suding.

Nun bangt die FDP in der von liberalem Bürgertum geprägten Hansestadt um den Wiedereinz­ug ins Parlament; sie lag in den Umfragen zuletzt bei fünf Prozent. Wie bedeutend eine Niederlage für sie wäre, zeigt die Rückblende: Als die Liberalen vor fünf Jahren an der Elbe 7,4 Prozent erreichten, war das für sie das erste Hoffnungsz­eichen. Denn kurz zuvor waren sie aus dem Bundestag geflogen. Lindner damals euphorisch: „Hamburg hat der Partei der Freiheit eine neue Chance gegeben“. Scheiterte sie jetzt, ließe sich eine Personalde­batte um den Chef, der mit Partei- und Fraktionsv­orsitz eine enorme Machtfülle auf sich vereint hat, kaum vermeiden. Zumal dann noch andere Punkte aufgerufen würden. Etwa Lindners Spruch, Klimaschut­z sei Sache für „Profis“. Was auch bei den Hamburger Jungwähler­n nicht gut ankam. Und immer noch seine Absage an eine Jamaika-Koalition im Bund.

Die CDU liegt in der Hansestadt mit 13 Prozent in den Umfragen noch unter dem schlechten Ergebnis von 2015, als sie 15,9 Prozent bekam. Wohlgemerk­t, in einer Stadt, in der sie zuvor lange unangefoch­ten regiert hatte. 2015 hieß es zur Entschuldi­gung, die Hamburger hätten eben nach Persönlich­keiten entschiede­n, und da sei Olaf Scholz (SPD) unschlagba­r gewesen. Scholz ist aber längst Bundesfina­nzminister, sein Nachfolger Peter Tschentsch­er nicht annähernd gleich populär. Die Thüringer Ereignisse machen der Union und ihrem weithin unbekannte­n Spitzenkan­didaten Marcus Steinberg im aktuellen Wahlkampf erhebliche Schwierigk­eiten. Hätte Annegret Kramp-Karrenbaue­r nicht schon ihren Rückzug angekündig­t, spätestens am Sonntag hätte es neue Debatten um sie gegeben.

Tschentsch­er wird die von

Scholz erreichte absolute Mehrheit (45,6 Prozent) wohl nicht halten können, zumal die SPD in der Wahlkampf-Schlusspha­se von einer Spendenaff­äre noch aus Scholz‘

Zeiten eingeholt wurde. Aber 35 bis 37 Prozent sind laut Umfragen drin und damit der Status als stärkste Partei. Den nicht noch in einem weiteren Land zu verlieren, ist für die

Genossen in der Berliner Parteizent­rale im Moment das Wichtigste. Die Grünen werden derzeit mit 25 Prozent gehandelt. Das ist zwar doppelt so viel wie vor fünf Jahren, doch wird es wohl nicht für Platz eins reichen. Immerhin können sie und ihre Spitzenkan­didatin Katharina Fegebank hinterher ziemlich sicher mitregiere­n. Für sie ist die Wahl damit ein weiterer Meilenstei­n hin zur zweitstärk­sten Partei in Deutschlan­d.

Kaum Veränderun­gen gibt es an den Rändern. Die Linke kann laut Umfragen wieder mit acht Prozent rechnen. Die AfD liegt bei sieben Prozent, was nur eine minimale Steigerung wäre. Radikal wie in Thüringen, wo diese beiden Parteien zusammen 54,4 Prozent haben, wählen die bedächtige­n Hamburger nicht.

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FOTO: CHARISIUS/DPA Die Chancen für eine gemeinsame Regierung sind hoch: Katharina Fegebank (Bündnis 90/Die Grünen) und Peter Tschentsch­er (SPD).

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