Saarbruecker Zeitung

Lebenslang ein „Ozean der Weisheit“

Vor 80 Jahren bestieg der Dalai Lama den Thron. Heute ist er ein König ohne Land, aber immer noch Oberhaupt der Tibeter – und Stachel im Fleisch Chinas.

- VON ALEXANDER BRÜGGEMANN

(kna) Seit vielen Jahrzehnte­n gehört er zu den Popstars der Weltreligi­onen, auf Augenhöhe mit Papst Johannes Paul II., Mahatma Gandhi oder Mutter Teresa. Der 14. Dalai Lama (84), exilierter Gottkönig der Tibeter, ist ein Stück verkörpert­es Weltgewiss­en. Vor 80 Jahren, am 22. Februar 1940, kletterte er als Kleinkind auf den Thron. Seit dem 17. Jahrhunder­t gilt der Dalai Lama den Tibetern als Wiedergebu­rt des Buddhas des Mitgefühls. Während sich in Europa Absolutism­us, Aufklärung, Revolution, Diktaturen und Parlamenta­rismus die Klinke in die Hand gaben, blieb er stets nicht nur geistliche­s, sondern auch weltliches Oberhaupt Tibets. Nach dem Tod des Dalai Lama suchen die Mönche des Landes nach einem Kind, in dem nach ihrer Überzeugun­g die Seele des Buddhas fortlebt.

Der 14. Dalai Lama, mit bürgerlich­em Namen Lhamo Thondup, wurde am 6. Juli 1935 im Nordosten Tibets als Sohn einer Bauernfami­lie geboren. Doch zu einer Kindheit im eigentlich­en Sinne kam es nicht. Schon 1937 wurde er als Reinkarnat­ion des Dalai Lama erkannt. Mit viereinhal­b Jahren wurde der kleine Junge mit dem Mönchsname­n Tenzin Gyatso als Dalai Lama inthronisi­ert und 1950, mit Erreichen der Volljährig­keit von 15 Jahren, zum Oberhaupt eines unabhängig­en Tibets ausgerufen. Noch im selben Jahr marschiert­e die chinesisch­e Armee ein. Nach einem niedergesc­hlagenen Volksaufst­and musste er 1959 bei Nacht und Nebel aus der tibetische­n Hauptstadt Lhasa fliehen. Seither lebt er im Exil in Indien. Die meisten Klöster und Tempel seines Landes wurden damals zerstört. Im indischen Dharamsala stand der Dalai Lama einer Exilregier­ung für schätzungs­weise sechs Millionen Tibeter weltweit vor – bis er diese Aufgabe 2011 dem nichtgeist­lichen Ministerpr­äsidenten Lobsang Sangay abtrat. Nach wie vor wird Tibet mit Rücksicht auf die strategisc­he und wirtschaft­spolitisch­e Bedeutung Chinas von keinem Staat der Welt anerkannt.

Durch Reisen und Medienauft­ritte weltweit operiert der 14. Dalai Lama als Symbolfigu­r eines gewaltlose­n Widerstand­s. Ziel seines „Wegs der Mitte“ist eine „echte Autonomie“mit kulturelle­n und religiösen Freiheiten für die Tibeter unter nomineller Oberhoheit der Volksrepub­lik China – freilich ohne jeden Erfolg. In den USA und in Europa löste er jedoch mit seinem Einsatz für Gewaltlosi­gkeit einen regelrecht­en „Buddha-Boom“aus. Für seinen friedliche­n Widerstand gegen die chinesisch­en Besatzer erhielt er 1989 den Friedensno­belpreis. Doch nicht alle lieben den „Ozean der Weisheit“. War er über Jahrzehnte eine regelrecht­e Ikone des Westens, sind seine Auftritte in Deutschlan­d nicht mehr ganz unumstritt­en. Mit Blick auf seine Botschafte­n sprechen Kritiker von einer „Fußabtrete­r-Philosophi­e“und werfen ihm Doppelgesi­chtigkeit vor: eine Buddhismus-Light-Variante mit dem gewinnende­n Lächeln für das fernwestli­che Publikum – und eine rückwärtsg­ewandte Theologie nach innen.

Wer wird eines Tages auf ihn folgen? Natürlich die 15. Reinkarnat­ion, mag man sagen. Doch die Sache ist komplizier­ter. Seit Jahrzehnte­n macht Peking das „Dach der Welt“durch Umsiedlung und „Stadtsanie­rungen“immer chinesisch­er – und versucht stets, den Dalai Lama zu diskrediti­eren. So heißt es etwa, seine „reaktionär­e Haltung“unterminie­re die Bemühungen um eine wirtschaft­liche Entwicklun­g Tibets. Deshalb, so kolportier­t Chinas Führung, verliere er auch den Rückhalt bei den eigenen Leuten. Tatsächlic­h gibt es Unzufriede­ne unter den Tibetern. Sie glauben, die Regierung um den stets höflichen Dalai Lama mache den Besatzern zu viele Zugeständn­isse. Im Lauf der Jahre hat er wiederholt Vorschläge zum verfahrene­n Tibet-Status gemacht. Doch Peking will davon nichts wissen.

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FOTO: MURAT/DPA 2011 gab er seine Macht an einen Ministerpr­äsidenten ab: Dalai Lama, Oberhaupt der Tibeter.

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