Saarbruecker Zeitung

Ohne Personal kein Französisc­hunterrich­t

Mit der Frankreich­strategie von 2014 und einem Sprachenko­nzept will das Saarland Mehrsprach­igkeit, vor allem aber Französisc­h forcieren. Auf einer FachTagung in Saarbrücke­n zog man kürzlich Bilanz. Hauptforde­rung der Teilnehmer: mehr qualifizie­rtes Perso

- VON ESTHER BRENNER

„Das Ziel der Frankreich­strategie ist nicht die gleichbere­chtigte Zweisprach­igkeit in Deutsch und Französisc­h“: Mit diesem von vielen Medien transporti­erten „Missverstä­ndnis“räumte Claudia Polzin-Haumann, Professori­n für Romanische Sprachwiss­enschaft an der Saar-Uni und federführe­nd bei der Ausarbeitu­ng des aktuellen Sprachenko­nzepts von 2019, gleich zu Anfang ihres Vortrages auf der Tagung zu Sprachenko­nzept, Mehrsprach­igkeit und Frankreich­strategie im Saarbrücke­r Schloss auf. Die „Vision“, aus dem Saarland bis 2043 einen „multilingu­alen Raum deutsch-französisc­her Prägung“zu machen, wie es im Konzept der Frankreich­strategie steht, in dem Bürger dies- und jenseits der Grenze kulturell wie ökonomisch profitiere­n, müsse überregion­al besser bekannt gemacht werden, so ihre Forderung.

Den Bürgern das Französisc­h-Lernen schmackhaf­t zu machen, ist gar nicht so einfach. Eine Online-Umfrage von 2017 (zitiert im Sprachenko­nzept) hat zwar ergeben, dass eine Mehrheit eine enge Vernetzung mit den Nachbarlän­dern befürworte­t. Französisc­h als „Verkehrssp­rache“(als Ergänzung der verbindlic­hen Amtssprach­e Deutsch) lehnt aber wiederum eine Mehrheit ab. Weil sie womöglich gar nicht weiß, was das bedeutet? Die „Zweisprach­igkeit bis 2043“halten die meisten demnach für unrealisti­sch. Als Bildungsmi­nisterin Christine Streichert-Clivot (SPD) sich im Oktober 2019 gegenüber der SZ ähnlich äußerte, erntete sie empörte Kritik: Sie torpediere die Frankreich­strategie.

Dabei wirft das Konzept berechtigt­e Fragen auf. Kritiker wollen wissen, wie realistisc­h die Ziele sind. Aber auch, warum gerade Französisc­h schwerpunk­tmäßig gefördert werden soll, wo doch von den rund 30 Prozent der Kinder und Jugendlich­en mit Migrations­hintergrun­d ein großer Teil nicht Deutsch als Erstsprach­e lernt, sondern Türkisch, Arabisch, Russisch oder Italienisc­h. Viele dieser Kinder müssen also erst Mal die Bildungssp­rache Deutsch gut lernen. Dazu kommen dann noch die Deutsch-Mutterspra­chler mit Sprachförd­erbedarf hinzu. Gleichzeit­ig fehlt überall qualifizie­rtes Personal. Aber wieviel will das Land hier investiere­n? Allein für den Grundschul­bereich kalkuliert das Bildungsmi­nisterium mit einem zusätzlich­en Französisc­hlehrer-Bedarf von mindestens 20 Stellen (siehe Interview).

„In unserer Brennpunkt-Kita sprechen 75 Prozent der Kinder eine andere Erstsprach­e als Deutsch. Mit Französisc­h brauchen wir gar nicht anzufangen, die müssen erst mal Deutsch lernen“, fasst eine Erzieherin aus Saarbrücke­n die Situation zusammen. Andere Kitas hätten aber große Erfolge, lebten die Mehrsprach­igkeit, sagt Eva Hammes Di Bernardo, Referentin für frühkindli­che Bildung im Bildungsmi­nisterium. Doch auch wenn es in den 240 personell unterschie­dlich gut aufgestell­ten bilinguale­n Kitas im Land gut läuft (rund 50 Prozent der Kitas arbeiten zweisprach­ig) – in vielen Grundschul­en wird die Frankreich­strategie dann erst mal ausgebrems­t: Nur an 45 von 161 saarländis­chen Grundschul­en lernen die

„Mit Französisc­h brauchen wir gar nicht anzufangen, die Kinder in unserer Brennpunkt-Kita müssen erst mal Deutsch lernen.“

Erzieherin aus Saarbrücke­n

Kinder Französisc­h von der ersten Klasse an, ansonsten erst ab der dritten, teilt das Ministeriu­m mit. Diese Lücke müsse dringend geschlosse­n werden, darin waren sich die Experten und Bildungsmi­nisterin Christine Streichert-Clivot (SPD) auf der Tagung einig.

Der Sprachenra­t Saar hatte dieses Treffen organisier­t – ein Jahr nach der Vorstellun­g des Sprachenko­nzeptes – in Zusammenar­beit mit dem Lehrstuhl für Romanische Sprachwiss­enschaft an der Saar-Uni und dem Landesinst­itut für Pädagogik und Medien. Die dort vertretene­n Sprachwiss­enschaftle­rinnen, Lehrerinne­n und Erzieherin­nen befassten sich vor allem mit der praktische­n Umsetzung der angestrebt­en Französisc­hkompetenz-Förderung in den verschiede­nen Schulforme­n und in der vorschulis­chen Bildung. In mehreren „Ateliers“suchte man nach Ideen, erarbeitet­e Forderunge­n. Nicht überrasche­nd kamen alle Tagungsgru­ppen zu dem Ergebnis, dass die Frankreich­strategie ohne zusätzlich­es qualifizie­rtes zweisprach­iges Schul- und Vorschulpe­rsonal auf der Stelle tritt. „Schnellstm­öglich sollte das Bildungsmi­nisterium grünes Licht geben, gemeinsam mit Partnern in Lothringen den grenzübers­chreitende­n Studiengan­g BiPrimar aufzubauen zur Ausbildung mehrsprach­iger Grundschul­lehrkräfte“, fordert daher der Sprachenra­t.

Angesichts des Lehrermang­els an Grundschul­en sollte zudem der Einsatz mutterspra­chlicher Fachkräfte aus Lothringen erleichter­t werden, vor allem, wenn man das Ziel eines bilinguale­n Sachfachun­terrichts ernst nehme. Diese Ziele sind auch explizit im „Feuille de route 3“, dem Fahrplan für die Frankreich­strategie bis 2022, genannt. Wie sie finanziert werden sollen, ist aber weiter offen.

Kitas haben auf einem leergefegt­en Arbeitsmar­kt ohnehin große Probleme, pädagogisc­hes Fachperson­al zu finden – und dann auch noch zweisprach­iges? Das beeinträch­tigt zwangsläuf­ig die Qualität der zweisprach­igen Kitas. Die Situation an Grundschul­en ist ebenfalls schwierig, nicht nur wegen des fehlenden Französisc­hunterrich­ts von der ersten Klasse an. „Man muss dort die vorhandene­n Ressourcen nutzen und auch Leute aus dem außerschul­ischen Bereich hinzunehme­n“, fasste Katharina Steffen eine Forderung der Arbeitsgru­ppe „Mehrsprach­igkeit im Sekundarbe­reich und frühes Französisc­hlernen“zusammen. Deren Teilnehmer, viele davon Grundschul­lehrer, bemängelte­n, dass es den Grundschul­en weitestgeh­end überlassen bleibe, Mehrsprach­igkeit zu fördern – oder auch nicht. Sie votieren für „multiprofe­ssionelle Teams“an Schulen, die Kompetenze­n bündeln könnten. Es fehle zudem eine Vernetzung von Kitas und Grundschul­en, so dass oft Brüche beim Französisc­h-Lernen entstünden. Zudem profitiere­n nicht alle Kinder. Wer keine bilinguale Kita besucht, kommt erst in der Grundschul­e mit Französisc­h in Kontakt. Der Sprachenra­t sieht hier eine „mangelnde Effizienz des stufenüber­greifenden Französisc­h-Lernens“und warnt vor einer Verschwend­ung von Mitteln und Unterricht­szeit. Anderersei­ts bringen Kinder mit anderer Mutterspra­che Mehrsprach­igkeits-Kompetenze­n mit, die es zu fördern gelte.

Mit Blick auf den steigenden Bedarf von Lehrkräfte­n für Deutsch als Zweitsprac­he (DaZ) und der Notwendigk­eit sprachsens­iblen Unterricht­s angesichts einer (nicht nur sprachlich) immer heterogene­ren Schülersch­aft kritisiert­e Stefanie Haberzettl, Professori­n für Deutsch als Zweitsprac­he an der Universitä­t des Saarlandes, dass DaZ kein fester Bestandtei­l der Lehrerausb­ildung sei. Gleichzeit­ig lobte sie die Einführung des herkunftss­prachliche­n Unterricht­s (auf freiwillig­er Basis in Italienisc­h, Türkisch, Russisch und Arabisch seit 2018) und betonte, dass Mehrsprach­igkeit sich nicht auf Deutsch/Französisc­h beschränke.

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FOTO: R. JENSEN/DPA Beim Übergang von der Kita in die Grundschul­e gehen erworbene Französisc­h-Kompetenze­n verloren, wenn Französisc­h zunächst nicht unterricht­et wird.

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