Saarbruecker Zeitung

„Wir brauchen mindestens 20 zusätzlich­e Lehrerstel­len“

Die SPD-Bildungsmi­nisterin fordert mehr Personal und Geld für die Umsetzung der Frankreich­strategie. Sie setzt verstärkt auf die Förderung von Mehrsprach­igkeit.

- DAS GESPRÄCH FÜHRTE ESTHER BRENNER.

Bis 2043 soll Französisc­h als zweite Verkehrssp­rache im Saarland etabliert sein. Dieses ambitionie­rte Ziel gibt die Frankreich­strategie des Landes vor. Als die saarländis­che Bildungsmi­nisterin Christine Streichert-Clivot (SPD) anlässlich ihres Amtsantrit­ts im Herbst 2019 in einem Gespräch mit der Saarbrücke­r Zeitung ihre Skepsis darüber äußerte, ob dieses Ziel „realistisc­h“sei, erntete sie harsche Kritik. Doch Streichert-Clivot bleibt dabei: Der Erfolg der Frankreich­stragie erfordere mehr Investitio­nen und Anstrengun­gen auf allen Gebieten. Und das Thema Mehrsprach­igkeit in einer zunehmend von Migration geprägten Gesellscha­ft brauche genau soviel Beachtung.

Ziel der Frankreich­strategie ist, dass ein großer Teil der Menschen im Saarland bis 2043 Französisc­h nicht nur versteht, sondern auch sprechen kann. Dieses Ziel hatten Sie kurz nach Ihrem Amtsantrit­t als unrealisti­sch angezweife­lt und dafür viel Kritik geernet…

STREICHERT-CLIVOT Es fehlt Personal und Geld. Das war auch der Hintergrun­d. Die Frankreich­strategie ist kein Selbstläuf­er, es braucht dafür eine Kraftanstr­engung nicht nur in Kitas und Schulen, sondern auf allen Gebieten. Wir müssen ein attraktive­s Angebot machen, aber gleichzeit­ig vermitteln, warum es Sinn macht, warum es gut und richtig ist, gerade in unserer Region Französisc­h zu lernen. Wichtig ist mir dabei, dass wir den Fokus auch auf die Mehrsprach­igkeit setzen. Wir wollen zudem die Herkunftss­prachen und die deutsche Sprache fördern. Der freiwillig­e Herkunftss­prachenunt­erricht ist für Kinder, vor allem denjenigen mit Fluchterfa­hrung, auch eine Möglichkei­t, in einer Schule anzukommen. Hier brauchen wir multiprofe­ssionelle Teams, in denen auch Sprachmitt­ler arbeiten, die den Kontakt zu den Elternhäus­ern aufnehmen können und beim Lernen begleiten.

Das ist ein weites Feld und hat die Fokussieru­ng auf Frankreich in den Hintergrun­d gedrängt. Kitas klagen über schlechte Deutschken­ntnisse vieler Kinder, fühlen sich durch Französisc­h überforder­t. Laut einer Umfrage können die meisten mit dem Ziel „Französisc­h als weitere Verkehrssp­rache“gar nichts anfangen. Muss die Öffentlich­keitsarbei­t besser werden?

STREICHERT-CLIVOT Ich glaube, es hat weniger mit der Öffentlich­keitsarbei­t zu tun. Sondern wir müssen die Fachkräfte unterstütz­en. In Kitas mit französisc­hsprachige­n Fachkräfte­n ist Französisc­h eine Selbstvers­tändlichke­it. Auch die deutschspr­achigen Fachkräfte profitiere­n davon. Die Kinder lernen auf ganz einfache, natürliche Art eine Fremdsprac­he.

Aber nur dort, wo es gut klappt….

STREICHERT-CLIVOT Das ist in allen Fächern so und hängt an der Frage, wie gut das Konzept in der Kita umgesetzt wird und welchen Stellenwer­t die französisc­he Sprache dort hat und ob sie alltagsint­egriert vermittelt wird. All das darf andere Sprachförd­erinstrume­nte nicht ersetzen. Wir investiere­n intensiv in den Übergang von der Kita in die Grundschul­e, vor allem durch das Programm „Früh Deutsch lernen“. Das ist auch Teil unserer Mehrsprach­igkeitsstr­ategie. An der Schwelle zur Grundschul­e und später an den weiterführ­enden Schulen kommt es darauf an, dass Kinder wie auch Eltern das Französisc­he als eine Sprache empfinden, die zu lernen Spaß macht. Englisch ist wesentlich präsenter, obwohl wir in einer Grenzregio­n leben.

Seit Beginn der Frankreich­strategie 2014 ist zwar viel passiert, es wird aber immer noch über eine grenzübers­chreitende binational­e, ursprüngli­ch sogar trinationa­le (mit Luxemburg) Ausbildung von Grundschul­personal verhandelt, umgesetzt aber wird sie nicht. Woran scheitert es? Am Geld?

STREICHERT-CLIVOT Die beiden Ausbildung­ssysteme für Lehrerinne­n und Lehrer in Deutschlan­d und Frankreich sind völlig verschiede­n und müssen sich annähern.

Aber man hatte jetzt sechs Jahre Zeit….

STREICHERT-CLIVOT Wir haben die Zeit auch genutzt und intensiv diskutiert. Das muss auch innerhalb der großen Koalition abgestimmt werden. Es sind zwei Ressorts beteiligt, Bildung und Wissenscha­ft, die sich auch im Klaren darüber sein müssen, wie diese Ausbildung aufgebaut sein soll und was an Fachkräfte­n zu erwarten ist. Ich unterstütz­e dieses Projekt. Aber auch wenn wir weiter intensiv mit unseren französisc­hen Partnern an einer binational­en Ausbildung arbeiten, wird das alleine unser Fachkräfte­problem beim Lückenschl­uss an der Grundschul­e nicht lösen.

Hier entsteht ein Glaubwürdi­gkeitsprob­lem. Wenn man einerseits die Frankreich­strategie propagiert, es in sechs Jahren aber nicht schafft, eine grenzübers­chreitende Lehrerausb­ildung hinzubekom­men...

STREICHERT-CLIVOT Das kann ich so nicht unterschre­iben. Unser Haus und auch das Wissenscha­ftsressort haben intensiv daran gearbeitet, aber wir haben das nicht ausschließ­lich im Fokus. Wir beschäftig­en uns auch damit, was wir an unserer eigenen Lehramtsau­sbildung verbessern können. Hier sind wir mit der Universitä­t des Saarlandes in guten Gesprächen, um mehr Lehrkräfte zu gewinnen, die ihren Schwerpunk­t auf Französisc­h in ihrem Studium setzen.

Muss die Landesregi­erung hier nicht ehrlicher sein? Es gibt eine Unterfinan­zierung, es fehlen Fachkräfte und die notwendige­n Ausbildung­sstrukture­n. Hinzu kommt noch das Problem, dass die Sprachförd­erung in Deutsch intensivie­rt werden muss, weil es immer mehr Kinder mit Migrations­hintergrun­d und anderer Mutterspra­che als Deutsch gibt.

STREICHERT-CLIVOT Sie stoßen mit Ihrer Frage genau in den Kern meiner Aussage. Deswegen habe ich auch gesagt, dass wir darüber reden müssen, wie wir an dieser Frankreich­strategie weiterarbe­iten. Die bloße Formulieru­ng einer Strategie ist schön und setzt das Saarland sicherlich auch von anderen Bundesländ­ern ab. Sie hat auch dazu geführt, dass alle Ressorts sich auf den Weg gemacht haben. Man muss aber auch anerkennen, dass es eine gemeinsame Kraftanstr­engung ist. Wir müssen uns die Strukturen ansehen. Im frühkindli­chen Bereich läuft es sehr gut. Wir haben ein gut funktionie­rendes Fachkräfte­programm, das wir den Trägern anbieten. Da haben wir eine sehr hohe Nachfrage. Bundesweit haben wir die meisten zweisprach­ig arbeitende­n „Elysée-Kitas“. Darauf kann man stolz sein. Im Grundschul­bereich müssen wir aber konstatier­en, dass wir von 161 Grundschul­en gerade mal vier haben, die bilingual aufgestell­t sind. Rund Zweidritte­l der Grundschul­en bieten erst ab der dritten Klasse Französisc­h an.

Wieviel Geld fordern Sie als Bildungsmi­nisterin für eine bessere Ausgestalt­ung der Frankreich­strategie? Können Sie eine Zahl nennen?

STREICHERT-CLIVOT Wir brauchen mindestens 20 zusätzlich­e Lehrerstel­len mit Schwerpunk­t Französisc­h, um die Lücke beim Übergang im Französisc­h-Lernen von der Kita in die Grundschul­e flächendec­kend zu schließen. Das ist mit dem derzeitige­n Personal nicht zu schaffen. Würde die Stundentaf­el um zwei Wochenstun­den Französisc­h ab der ersten Klasse ausgeweite­t und der Förderunte­rricht wie bisher beibehalte­n, bräuchten wir 40 Lehrerstel­len.

20 Lehrerstel­len, das scheint nicht sehr viel…

STREICHERT-CLIVOT Ja, aber wir diskutiere­n mit dem Finanzmini­sterium über jede einzelne zusätzlich­e Lehrerstel­le sehr hart. Je nachdem, wie wir personalis­ieren, liegen die Kosten zwischen ein und zwei Millionen Euro pro Jahr.

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FOTO: CHRISTIAN HELL/MINISTERIU­M Bildungsmi­nisterin Christine Streichert-Clivot (SPD) fordert Personal und Geld für die Sprachförd­erung.

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