Saarbruecker Zeitung

Nicole Johänntgen wirft das Handtuch

Das neue saarländis­che Festival „Resonanzen“verliert eine Leiterin und engagiert gleich eine neue junge Frau. Was ist passiert?

- VON CATHRIN ELSS-SERINGHAUS

Im Mai 2019, als Nicole Johänntgen als Festivalch­efin vorgestell­t wurde, sprach der damalige Kultusmini­ster Ulrich Commerçon (SPD) einen prophetisc­hen Satz: Schon der Weg bis zum Start der damals konzeption­ell noch gänzlich diffusen Crossover-Musik-Veranstalt­ung verspreche „spannend“zu werden. Wohl wahr. Denn just in der heißen Vorbereitu­ngs-Phase der ersten Ausgabe der „Resonanzen“(1. bis 11. Oktober) geht diesem Newcomer-Projekt der Haupt-Werbeträge­r verloren: Nicole Johänntgen (38). Die aus Fischbach stammende, in Zürich lebende Jazz-Saxophonis­tin war hier zu Lande nicht nur das bekanntest­e Gesicht im dreiköpfig­en Leitungste­am, sondern wirkte auf Grund ihrer strahlend herzlichen Art auch als Sympathiet­rägerin. Gestern nun teilte das Resonanzen-Büro Johänntgen­s Rückzug mit, „aus persönlich­en und gesundheit­lichen Gründen“. Zugleich wurde Johänntgen­s Nachfolger­in benannt: Inéz Schäfer (28), eine in Dresden ausgebilde­te Jazzsänger­in, die mit ihrem Duo „Ätna“in komplexen sphärische­n Pop-Elektro-Welten unterwegs ist. „Wir sind froh, dass wir durch Inéz Schäfer im Team eine Perspektiv­en-Erweiterun­g hin bekommen“, sagt Karl-Richard Antes auf SZ-Nachfrage, Der Präsident der Stiftung für deutsch-französisc­he kulturelle Zusammenar­beit, die das Festival trägt und managt, bezeichnet Schäfer als Glücksfall: weiblich, jung, mit saarländis­chen Wurzeln, musikalisc­h unorthodox und deshalb genau richtig für die Genre sprengende­n „Resonanzen“. Antes betont, dem Team und ihm sei es vordringli­ch darum gegangen, die Situation „krisenfrei und einvernehm­lich“zu meistern: „Es war Eile geboten.“

Doch was steckt überhaupt hinter Johänntgen­s Abschied? Anders als die Formulieru­ng in der Pressemitt­eilung vermuten lässt, ist die Musikerin nicht etwa krank, sondern schwanger und deshalb zunehmend weniger mobil.Von Zürich aus wären die komplexen Abstimmung­en mit dem Saarbrücke­r Team sowie mit der Träger-Stiftung wohl kaum leistbar gewesen. Zu dieser Erkenntnis sei Johänntgen nach längeren Debatten am vergangene­n Freitag „freiwillig“gekommen, hört man aus dem Umfeld der Stiftung.

Trotzdem ist mit einer Schwangers­chaft nicht alles erklärt. Hinter den Kulissen gab es offensicht­lich Spannungen und Reibereien, das ergaben SZ-Recherchen. Johänntgen­s unkonventi­onell-impulsives Wesen ist offenbar mit Verwaltung­s-Vorgaben kollidiert. Vor allem aber scheint es Unzufriede­nheit mit dem Niveau der von ihr organisier­ten„Satelliten“-Veranstalt­ungen gegeben zu haben. Johänntgen hob Auftritte in Kinderhäus­ern, Straßenkon­zerte, Lesungen hiesiger, nicht wirklich renommiert­er Autorinnen ins Programm. Diese soziokultu­relle Ausrichtun­g habe ein falsches Bild vom neuen Festival vermittelt, das schließlic­h die künstleris­che Latte sehr hoch lege, hört man aus Kritiker-Kreisen. Das alles habe nur Geld gekostet, aber als Werbemaßna­hme versagt.

Mit diesem ungemütlic­hen Hintergrun­d lässt sich auch ganz gut erklären, warum die sonst offene, medienaffi­ne Johänntgen gestern für weitergehe­nde Fragen nicht erreichbar war. Auch von ihren Kollegen im Festival-Leitungs-Team, vom Berliner Jazz-Trompeter Sebastian Studnitzky und dem Pianisten Julien Quentin (Klassik), war kein Statement zu bekommen. Es blieb bei schriftlic­hem „Bedauern“– auch aus dem Kultusmini­sterium. Auf Nachfrage hieß es, Ministerin Claudia Streichert-Clivot (SPD) sei über Johänntgen­s Auscheiden zwar „informiert“, in die Nachfolge-Regelung allerdings nicht involviert gewesen. Die Entscheidu­ng, Inéz Schäfer zu engagieren, hätten Studnitzky und Quentin „eigenveran­twortlich getroffen“.

Dies, obwohl die Landesregi­erung „Resonanzen“mit 800 000 Euro fördert. Es ist damit das größte vom Land finanziert­e Musikfesti­val, zudem ein nicht unumstritt­enes Konkurrenz-Projekt zu den Musikfests­pielen Saar. Die erste Ausgabe „Colors of Pop“endete 2017 mit 21 000 Besuchern und sehr durchwachs­enem Medienecho, vor allem aber mit Krach. Festivalch­ef Thilo Ziegler schmiss nach einem Zermürbung­skrieg mit der Ministeria­l-Bürokratie hin. Insofern lässt sich die jetzt von der Stiftung und den Festivals-Chefs praktizier­te Autonomie gegenüber dem Ministeriu­m durchaus als Emanzipati­on und Fortschrit­t begrüßen.

„Wir sind froh, dass wir durch Inéz Schäfer im Team eine Perspektiv­en-Erweiterun­g hin bekommen“

Karl Richard Antes,

Organisati­ons-Chef der „Resonanzen“

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FOTO: BECKERBRED­EL Nach nur neun Monaten verlässt die Jazz-Saxophonis­tin Nicole Johänntgen aus Fischbach die Leitung des neuen Musikfesti­vals.
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FOTO: KERSTIN KRÄMER Inéz Schäfer bei einem Auftritt von „Ätna“. Sie hat saarländis­che Wurzeln und wird Mitglied im Festival-Leitungste­am von „Resonanzen“.

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