Saarbruecker Zeitung

Der Surrealist und das gute Frühstück

Das Saarbrücke­r Kino Achteinhal­b zeigt als Premiere einen exzellente­n Trickfilm: „Buñuel im Labyrinth der Schildkröt­en“.

- VON TOBIAS KESSLER

Der Hass kommt aus jeder Richtung. „Faschist!“schreien die einen, „Kommunist!“die anderen – und ein Gottesläst­erer ist er auch noch. So läuft im Film „Luis Buñuel im Labyrinth der Schildkröt­en“die Pariser Premiere 1930 von „Das goldene Zeitalter“ab, Buñuels zweitem Film; der verstörte mit seinen surrealen Bildern ebenso wie ein Jahr zuvor des Spaniers Kinodebüt „Der andalusisc­he Hund“– unter anderem mit dem Motiv der Rasiermess­erklinge im Augapfel. Groß ist der Skandal um Buñuel, klein die Zahl der Geldgeber, die seine skandalträ­chtige Kunst unterstütz­en wollen. Auch nicht sein Kollege und zuvor künstleris­cher Begleiter Salvador Dali, der sich blumen- und erfindungs­reich herausrede­t: „Eine Wahrsageri­n hat mir geraten, Freunden kein Geld zu leihen.“Was tun?

Das ist der Ausgangspu­nkt dieses biografisc­hen Animations­films von Salvador Simó, der auf einem Comic von Fermín Solís über Buñuel (1900-1983) basiert und die Geschichte seines nächsten Projekts nachzeichn­et: Ein Buch macht ihn auf Las Hurdes aufmerksam, eine abgelegene Gebirgslan­dschaft in Spanien, mit katastroph­aler Armut und viel Krankheit durch generation­enlange Inzucht. Über das schwierige Leben und Überleben dort will der große Surrealist eine realistisc­he Dokumentat­ion drehen. Finanziere­n mag das niemand außer einem engen Freund, Anarchist und Bildhauer Ramón Acin. Doch der hat kein Geld, verspricht ihm aber, den Film namens „Las Hurdes – Land ohne Brot“zu finanziere­n, sollte er in der Lotterie gewinnen. Und da das Leben manchmal so ist wie ein schlechtes (oder auch surreales) Drehbuch, gewinnt Acin tatsächlic­h und finanziert den Film. Mit einem großspurig­en neuen Auto, für das Buñuel schon mal ein Viertel des Budgets ausgibt, geht es bequem los in Richtung Elend.

„Luis Buñuel im Labyrinth der Schildkröt­en“– der Titel bezieht sich auf die flachen Steinhütte­n der Bewohner von Las Hurdes – setzt dem spanischen Künstler kein kritiklose­s Denkmal. Buñuel, befeuert von seiner Kunst, geht buchstäbli­ch über Leichen, wenn auch zumindest nicht über die von Menschen: Ein lokales Ritual des Abreißens von Hühnerköpf­en (lebend) stellt er gerne noch einmal nach, um es gut vor die Kamera zu bekommen; wenn Ziegen keine steilen Klippen herabstürz­en wollen, hilft er nach, schließlic­h trägt er immer einen Revolver bei sich; und die tödliche Attacke wütender Bienen auf einen Esel provoziert er bewusst. Wie viel oder wenig dieses Tun allerdings mit dokumentar­ischer Arbeit zu tun hat (ganz abgesehen von der Grausamkei­t), muss sich Buñuel irgendwann fragen. Sein entsetzter Freund/Produzent stellt sich diese Frage schon früher.

Um die Frage des Verhältnis­ses zwischen Dokumentar­filmer und seinen menschlich­en Objekten geht es auch in diesem halbfiktio­nalen Film. Anfangs bereitet Buñuel seinem Team immer ein opulentes Frühstück zu, damit man zu den Dreharbeit­en bei den Hungernden kein Essen mitnehmen muss, das man dann verteilen müsste. Doch mit der Zeit scheint er diese Elendswelt nicht mehr nur als fasziniere­nde Kulisse für einen möglichst schockiere­nden Film zu begreifen, sondern wirklich als bedrückend­es Thema. So ist „Luis Buñuel im Labyrinth der Schildkröt­en“auch die Geschichte einer persönlich­en Reife – zugleich aber auch eine satirische Komödie über Filmemache­r, die sich mit Nobelauto und in edlem Zwirn dem großen Elend nähern.

Der Trickfilm, der im Dezember 2019 den Europäisch­en Filmpreis als Beste Animations­produktion gewann, erzählt das alles (die

Todesfälle abgesehen) mit leichter Hand, oft witzig, mit einem Animations­stil, der bewusst altmodisch­er und weniger fließend wirkt als glattere Hollywood-Trickfilme. In surrealen Traumseque­nzen hat Buñuel wundersame Visionen und Gespräche, wird von Hühnern verfolgt (vor denen er sich wohl zeitlebens ängstigte) und sucht, ein Psychologi­e-Klassiker, die ihm bisher versagte Anerkennun­g seines Vaters. Regisseur Simó schneidet immer wieder kurze Szenen aus Bunuels „Las Hurdes“in seinen Film hinein, ein interessan­ter Kontrast von Bildern und Ästhetiken.

Mit der Fertigstel­lung von „Las Hurdes“(Bunuel schneidet ihn in seiner Küche) endet der Trickfilm, der noch auf das Schicksal des lotteriesp­ielenden Produzente­n verweist: Er wird im Spanischen Bürgerkrie­g von den Faschisten erschossen, ebenso wie seine Frau.

Termine im Kino Achteinhal­b (Sb): An diesem Samstag und Sonntag jeweils 17.30 Uhr; Mittwoch/Donnerstag, 26./27. Februar, jeweils 20 Uhr. Buñuels „Las Hurdes – Land ohne Brot“findet man bei Youtube.

 ?? FOTO: ARSENAL ?? Dreharbeit­en im Elend: Luis Buñuel (rechts) und sein Team, das mit dem Großkünstl­er nicht immer einer Meinung ist.
FOTO: ARSENAL Dreharbeit­en im Elend: Luis Buñuel (rechts) und sein Team, das mit dem Großkünstl­er nicht immer einer Meinung ist.

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