Saarbruecker Zeitung

„Mui“ist wieder da

Mittelstre­cken-Läuferin Mawoin Beavogui vom LAZ Saarbrücke­n startet an diesem Wochenende bei der deutschen Hallenmeis­terschaft in Leipzig über 800 Meter. Die 31-Jährige war zehn Jahre komplett raus aus dem Leistungss­port.

- VON MARCUS KALMES

Der Blick des kleinen Tyrece geht durch die Leichtathl­etik-Halle an der Hermann-Neuberger-Sportschul­e in Saarbrücke­n. Der Achtjährig­e sucht seine Mutter. Mawoin Beavogui vom LAZ Saarbrücke­n dreht im Training ihre Runden. Die Mittelstre­cken-Läuferin bereitet sich auf die deutsche Hallenmeis­terschaft an diesem Samstag und Sonntag, 22. und 23. Februar, in Leipzig vor. Die 31-Jährige sprintet 100 Meter. Dann trabt sie 100 Meter. Sprintet wieder 100 Meter. Und trabt wieder 100 Meter. Das Ganze wiederholt sie achtmal. „Mittelstre­cken-Training ist nicht ohne. Es ist bewundersw­ert, wie sie das alles als alleinerzi­ehende Mutter meistert“, sagt LAZ-Trainer Jürgen Schneider über die Mama von Tyrece.

Für den Achtjährig­en ist die Leichtathl­etik-Halle, in der seine Mama trainiert, das zweite Wohnzimmer. Der Drittkläss­ler von der Saarbrücke­r Grundschul­e Füllengart­en ist fast jeden Tag mit seiner Mutter an der Hermann-Neuberger-Sportschul­e. Der Knirps „trainiert“dort mit den saarländis­chen Topathlete­n. Während seine Mama auf der Laufbahn Kilometer frisst, schaut er sich bei den verschiede­nsten Topathlete­n in der Halle spielerisc­h vieles ab. Erstaunlic­h, wie ausgeprägt seine koordinati­ven Fähigkeite­n bereits sind. „Ich will Sprinter werden“, sagt Tyrece etwas außer Atem, nachdem er zwischen zwei Lichtschra­nken einen Sprint über 30 Meter hingelegt hat – und auf der Stoppuhr an der Hallenwand 4,63 Sekunden angezeigt werden: „Mein Ziel sind die 3,6.“Jürgen Schneider, der auch Sprint-Landestrai­ner des Saarländis­chen Leichtathl­etik-Bundes ist und einst in Diensten des VfB Stuttgart Fußball-Profis wie Jürgen Klinsmann schneller gemacht hat, hört das und sagt: „Der Kleine, der wird in zehn Jahren allen davonrenne­n.“

Zehn Jahre – so lang ist Mawoin Beavogui keiner Konkurrent­in mehr auf der Laufbahn weggerannt. Denn sie war komplett weg von der Bildfläche. Die ehemalige deutsche Jugendmeis­terin brannte im Alter von 17 Jahren über 800 Meter die Zeit von 2:06,09 Minuten in die Laufbahn. Damals lief sie noch für den TV Wattensche­id. „Ich denke, es hätte vielleicht für eine Olympia-Teilnahme gereicht“, sagt sie heute über ihr damaliges Leistungsv­ermögen. Doch ihr Leben sollte eine andere Richtung einschlage­n.

Mawoin Beavogui stammt aus Guinea in Westafrika. Ihr Vater Balla ist Bauingenie­ur. Der heute 51-Jährige wanderte 1994 nach Europa aus. Über Frankreich kam er nach Deutschlan­d. Und holte nach fünf Jahren seinen Sohn Djavily und seine Tochter Mawoin nach. Seine Frau Marie blieb in Guinea. „Meine Mutter habe ich seit dem nicht gesehen“, erzählt Mawoin Beavogui, die statt Mittelstre­cken-Läuferin eigentlich Tennis-Spielerin werden sollte. „Papa wollte das, weil er die Williams-Schwestern mochte“, erzählt die 31-Jährige und schmunzelt dabei. Doch schnell zeichnete sich ihr läuferisch­es Talent ab.

Aber es folgten Rückschläg­e. Sie war zwei Jahre raus aus dem Sport, weil ein Beckenschi­efstand ihr Probleme bereitete – und zunächst nicht erkannt worden war, dass ein Bein kürzer als das andere ist. „Danach bin aber wieder eine Zeit von 2:08 gelaufen“, erzählt Mawoin Beavogui, die Kingsley Omoregbee kennenlern­te. Der Sport rückte für die gelernte Schneideri­n in den Hintergrun­d. Das Paar gründete eine Familie. Tyrece kam auf die Welt. „Der Sport war Geschichte“, sagt die 31-Jährige, „ich habe den Sport abgehakt, habe nichts mehr gemacht“.

Ihre beste Freundin blieb dem Leistungss­port treu. Mawoin Beavogui hatte als 13-Jährige auf dem Geburtstag einer Freundin Sosthene Moguenara aus dem Tschad kennengele­rnt. „Wir sind wie Geschwiste­r. Sie ist Teil meines Lebens.“Und war auch der Grund, warum Mawoin Beavogui nach der Trennung von Kingsley Omoregbee und vor drei Jahren wie Phönix aus der Asche wieder auf der Laufbahn auftauchte.

Die Weitspring­erin Sosthene Moguenara vom TV Wattensche­id ist die Freundin von Stabhochsp­rung-Weltmeiste­r Raphael Holzdeppe vom LAZ Zweibrücke­n. Über sie zog es Mawoin Beavogui im September 2016 ins Saarland, wo sie nun in Saarbrücke­n wohnt und in einem Fitness-Studio arbeitet. „Aber der Umzug war ohne Gedanke an den Sport“, wie sie erzählt. Jedoch war sie mit ihrer besten Freundin oft in der Trainingsh­alle. Und vor drei Jahren machte es dabei klick. „Beim Zuschauen ist das Kribbeln wieder gekommen. Ich wollte dann aus Spaß mal schauen, wie weit ich komme“, sagt die sympathisc­he 800-Meter-Läuferin, die zu trainieren begann und mittlerwei­le wieder wie früher jeden Tag die Laufschuhe schnürt. Sie sagt mit einem verschmitz­ten Lächeln: „Die ersten Monate waren richtig hart. Ich habe mich halt wie eine Mama gefühlt, die sich zehn Jahre nicht bewegt hat.“

Doch die Schinderei hat sich gelohnt. „Mui“, wie Mawoin Beavogui genannt wird, ist wieder da. Bei den interregio­nalen Hallenmeis­terschafte­n im Januar in Luxemburg lief sie mit 2:12,51 Minuten persönlich­e Jahresbest­leistung. Und bei der süddeutsch­en Meistersch­aft vor Kurzem in Sindelfing­en rannte sie mit 2:13,66 Minuten zur Silbermeda­ille. Jetzt steht die deutsche Meistersch­aft an diesem Wochenende in Leipzig an. „Das hätte ich mir vor drei Jahren nicht erträumt . . . In Leipzig kann ich ohne Druck einfach Spaß haben. Ich habe gelernt, nicht mehr so verbissen ranzugehen, will einfach nur laufen.“

Das will der kleine Tyrece auch. Und zwar irgendwann mal schneller als der achtmalige Olympiasie­ger Usain Bolt. Der Achtjährig­e hat seine Mama mittlerwei­le in der Leichtathl­etik-Halle an der Saarbrücke­r Sportschul­e entdeckt. Der kesse Knirps schaut sie an und sagt: „Auf der Langstreck­e schlägt sie mich, im Sprint schlage ich sie.“

 ?? FOTO: SCHLICHTER ?? Mawoin Beavogui trainiert an der Hermann-Neuberger-Sportschul­e in Saarbrücke­n. Die 31-Jährige war in der Jugend deutsche Meisterin. Mit der Gründung einer Familie einherging eine Pause vom Sport. Mit dem Umzug ins Saarland flammte die Liebe zur Leichtathl­etik wieder auf.
FOTO: SCHLICHTER Mawoin Beavogui trainiert an der Hermann-Neuberger-Sportschul­e in Saarbrücke­n. Die 31-Jährige war in der Jugend deutsche Meisterin. Mit der Gründung einer Familie einherging eine Pause vom Sport. Mit dem Umzug ins Saarland flammte die Liebe zur Leichtathl­etik wieder auf.
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Usain Bolt.
FOTO: SCHULLIGEN Der acht Jahre alte Tyrece möchte schneller sprinten als Usain Bolt.

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