Hausfrauen kauften gerne „bei’m Usch“
Wie ist das, von einem geliebten Menschen Abschied nehmen zu müssen? Die SZ spricht mit Angehörigen und Freunden und stellt in einer Serie Lebenswege Verstorbener vor. Heute: Ursula „Usch“Streit.
SCHWEMLINGEN Viele Schwemlinger vermissen sie noch heute, denn „bei’s Usch kaafe gehen“war tägliche Aufgabe vieler Schwemlinger Hausfrauen. Ursula Streit hat nämlich bis zu ihrem Ruhestand im Jahr 2004 im Dorf ein Lebensmittelgeschäft geführt. Aber auch als sie nicht mehr hinter ihrer Ladentheke stand, war sie immer eine Ansprechpartnerin für alle, die einen guten Rat oder auch einfach nur eine Unterhaltung gesucht haben. „Sie wird vermisst in Schwemlingen, denn man konnte immer zu ihr kommen und mit ihr reden“, sagt ihre jüngste Tochter Anja Zerbst, die noch in Schwemlingen wohnt.
1941 wurde „es Usch“geboren, als einziges Mädchen unter sieben großen Brüdern. Nach dem
Schulabschluss arbeitete die junge Ursula Reisdorfer zunächst als Hilfe im damaligen „Gasthaus Wilhelm“, dem jetzigen „Schwemlinger Hof“, im Ort, später lockte der Keramikhersteller Villeroy & Boch mit höheren Löhnen. Denn „Burgenland“, seit 1930 eines der erfolgreichsten V&B-Services, wurde in der deutschen Wirtschaftswunderzeit extrem nachgefragt. Mit 20 Jahren heiratete
Ursula Reisdorfer den jungen Adolf Streit, einen Bäckerssohn aus dem Dorf, besser bekannt als „Bäcker Adi“. Die kleine Bäckerei erweiterte das junge Paar gemeinsam zum großen Lebensmittelladen mit Vollsortiment. 1980 bauten die Streits nochmals an- und um und vergrößerten den Laden. Darüber hinaus belieferte Adi Streit, wenn er am Mittag aus der Backstube kam, mit dem Lieferwagen die umliegenden Dörfer.
Sieben Kinder hat Usch Streit zur Welt gebracht. „Sie war von einer unbändigen Energie“, sagt Tochter Sabine Ehm, die heute in Orscholz lebt. „Immer gut gelaunt und immer positiv eingestellt und optimistisch, bis aufs Sterbebett.“
„Trotz Geschäft stand jeden Tag ein Mittagessen auf dem Tisch“, berichtet Sohn Uwe. Denn gekocht habe sie immer gerne und vor allem mit Leidenschaft neue Rezepte ausprobiert. „Von der Linsensupp’ bis hin zum Filet.“Die neu ausprobierten Gerichte gab’s dann als Sonntagsessen. Und wenn am Samstag im Geschäft alles fertig und sauber war, dann habe die Mutter begonnen, Kuchen für die Familie zu backen. „Auch später hat sie oft für uns und unsere Familien mitgekocht“, erinnert sich Sabine Ehm: „Wir kannten sie eigentlich nur mit Schürze.“Und auch wenn im Geschäft ein Kunde einen Zwiebelkuchen bestellte, der gar nicht im Sortiment enthalten war, stellte sich Ursula Streit sogleich hin und backte diesen Zwiebelkuchen.
Außer am Mittwochabend. Denn am Mittwoch war Kegeln angesagt. 1969 gründete sie zusammen mit Freundinnen einen Damen-Kegelklub, die „Kellergeister“. Auch nachdem die Damen ins höhere Alter gekommen waren und das mit dem Kegeln nicht mehr so recht funktionieren wollte, blieben die „Kellergeister“zusammen. An jedem zweiten Mittwoch trafen sich die Kegelschwestern zum Essen, und Ursula Streit war bis zuletzt dabei. Auch als sie nicht mehr so gut gehen konnte, gab es kein Problem. Die Kegelschwestern brachten sie nach Hause.
Lange Jahre hatten die Kegelschwestern darüber hinaus auch aktiv beim Schwemlinger Faschingsumzug mitgewirkt. Mit selbst entworfenen und genähten Kostümen, versteht sich. Und natürlich waren die „Kellergeister“auch beim Dorffest dabei.
Den ersten Urlaub habe das Ehepaar Streit 1994 gemacht. „Da sind wir alle gemeinsam nach Österreich gefahren, zur Hochzeit unseres ältesten Bruders“, erzählt Tochter Sabine Ehm, „das war etwas ganz Besonderes.“
Ein Schicksalsschlag, von dem sich Ursula Streit niemals so recht erholte, war der Tod ihrer Tochter Astrid im Jahr 2002. Ein weiterer war der Tod ihres Mannes 2014. Trotzdem sei sie gläubig gewesen, sagen ihre Kinder. Viel Halt hätten ihr drei Pilgerfahrten nach Lourdes gegeben. Auch eine Herzkrankheit machte ihr die letzten Jahre nicht einfacher „Aber obwohl es ihr so schlecht ging, hat sie nie ihren Kopf hängen lassen“, sagen ihre Kinder. „Und sie hat immer alle verwöhnt. Egal, wo sie hinging, sie hatte immer für jeden etwas dabei. Pralinen oder selbst gebackene Kekse zum Beispiel.“
Als sie im September 2018 auf dem Sterbebett einschlief, wurde ihr noch ein Herzenswunsch erfüllt: Die ganze Familie war da.
Auf der Seite „Momente“stellt die SZ im Wechsel Kirchen und Lebenswege Verstorbener vor. Online unter saarbruecker-zeitung.de/lebenswege