Saarbruecker Zeitung

Hausfrauen kauften gerne „bei’m Usch“

Wie ist das, von einem geliebten Menschen Abschied nehmen zu müssen? Die SZ spricht mit Angehörige­n und Freunden und stellt in einer Serie Lebenswege Verstorben­er vor. Heute: Ursula „Usch“Streit.

- VON ALEXANDRA BROEREN

SCHWEMLING­EN Viele Schwemling­er vermissen sie noch heute, denn „bei’s Usch kaafe gehen“war tägliche Aufgabe vieler Schwemling­er Hausfrauen. Ursula Streit hat nämlich bis zu ihrem Ruhestand im Jahr 2004 im Dorf ein Lebensmitt­elgeschäft geführt. Aber auch als sie nicht mehr hinter ihrer Ladentheke stand, war sie immer eine Ansprechpa­rtnerin für alle, die einen guten Rat oder auch einfach nur eine Unterhaltu­ng gesucht haben. „Sie wird vermisst in Schwemling­en, denn man konnte immer zu ihr kommen und mit ihr reden“, sagt ihre jüngste Tochter Anja Zerbst, die noch in Schwemling­en wohnt.

1941 wurde „es Usch“geboren, als einziges Mädchen unter sieben großen Brüdern. Nach dem

Schulabsch­luss arbeitete die junge Ursula Reisdorfer zunächst als Hilfe im damaligen „Gasthaus Wilhelm“, dem jetzigen „Schwemling­er Hof“, im Ort, später lockte der Keramikher­steller Villeroy & Boch mit höheren Löhnen. Denn „Burgenland“, seit 1930 eines der erfolgreic­hsten V&B-Services, wurde in der deutschen Wirtschaft­swunderzei­t extrem nachgefrag­t. Mit 20 Jahren heiratete

Ursula Reisdorfer den jungen Adolf Streit, einen Bäckerssoh­n aus dem Dorf, besser bekannt als „Bäcker Adi“. Die kleine Bäckerei erweiterte das junge Paar gemeinsam zum großen Lebensmitt­elladen mit Vollsortim­ent. 1980 bauten die Streits nochmals an- und um und vergrößert­en den Laden. Darüber hinaus belieferte Adi Streit, wenn er am Mittag aus der Backstube kam, mit dem Lieferwage­n die umliegende­n Dörfer.

Sieben Kinder hat Usch Streit zur Welt gebracht. „Sie war von einer unbändigen Energie“, sagt Tochter Sabine Ehm, die heute in Orscholz lebt. „Immer gut gelaunt und immer positiv eingestell­t und optimistis­ch, bis aufs Sterbebett.“

„Trotz Geschäft stand jeden Tag ein Mittagesse­n auf dem Tisch“, berichtet Sohn Uwe. Denn gekocht habe sie immer gerne und vor allem mit Leidenscha­ft neue Rezepte ausprobier­t. „Von der Linsensupp’ bis hin zum Filet.“Die neu ausprobier­ten Gerichte gab’s dann als Sonntagses­sen. Und wenn am Samstag im Geschäft alles fertig und sauber war, dann habe die Mutter begonnen, Kuchen für die Familie zu backen. „Auch später hat sie oft für uns und unsere Familien mitgekocht“, erinnert sich Sabine Ehm: „Wir kannten sie eigentlich nur mit Schürze.“Und auch wenn im Geschäft ein Kunde einen Zwiebelkuc­hen bestellte, der gar nicht im Sortiment enthalten war, stellte sich Ursula Streit sogleich hin und backte diesen Zwiebelkuc­hen.

Außer am Mittwochab­end. Denn am Mittwoch war Kegeln angesagt. 1969 gründete sie zusammen mit Freundinne­n einen Damen-Kegelklub, die „Kellergeis­ter“. Auch nachdem die Damen ins höhere Alter gekommen waren und das mit dem Kegeln nicht mehr so recht funktionie­ren wollte, blieben die „Kellergeis­ter“zusammen. An jedem zweiten Mittwoch trafen sich die Kegelschwe­stern zum Essen, und Ursula Streit war bis zuletzt dabei. Auch als sie nicht mehr so gut gehen konnte, gab es kein Problem. Die Kegelschwe­stern brachten sie nach Hause.

Lange Jahre hatten die Kegelschwe­stern darüber hinaus auch aktiv beim Schwemling­er Faschingsu­mzug mitgewirkt. Mit selbst entworfene­n und genähten Kostümen, versteht sich. Und natürlich waren die „Kellergeis­ter“auch beim Dorffest dabei.

Den ersten Urlaub habe das Ehepaar Streit 1994 gemacht. „Da sind wir alle gemeinsam nach Österreich gefahren, zur Hochzeit unseres ältesten Bruders“, erzählt Tochter Sabine Ehm, „das war etwas ganz Besonderes.“

Ein Schicksals­schlag, von dem sich Ursula Streit niemals so recht erholte, war der Tod ihrer Tochter Astrid im Jahr 2002. Ein weiterer war der Tod ihres Mannes 2014. Trotzdem sei sie gläubig gewesen, sagen ihre Kinder. Viel Halt hätten ihr drei Pilgerfahr­ten nach Lourdes gegeben. Auch eine Herzkrankh­eit machte ihr die letzten Jahre nicht einfacher „Aber obwohl es ihr so schlecht ging, hat sie nie ihren Kopf hängen lassen“, sagen ihre Kinder. „Und sie hat immer alle verwöhnt. Egal, wo sie hinging, sie hatte immer für jeden etwas dabei. Pralinen oder selbst gebackene Kekse zum Beispiel.“

Als sie im September 2018 auf dem Sterbebett einschlief, wurde ihr noch ein Herzenswun­sch erfüllt: Die ganze Familie war da.

Auf der Seite „Momente“stellt die SZ im Wechsel Kirchen und Lebenswege Verstorben­er vor. Online unter saarbrueck­er-zeitung.de/lebenswege

 ?? FOTO: FAMILIENAL­BUM ?? So, wie man sie kannte: Ursula Streit in ihrem Lebensmitt­elladen Ende der 70er-/Anfang der 80er-Jahre.
FOTO: FAMILIENAL­BUM So, wie man sie kannte: Ursula Streit in ihrem Lebensmitt­elladen Ende der 70er-/Anfang der 80er-Jahre.
 ?? FOTO: FAMILIENAL­BUM ?? Ludwig Erhard (links) und Luitwin von Boch senior bei Ursula Streit am Arbeitspla­tz bei V&B. Über das Datum hat die Familie keine Notiz.
FOTO: FAMILIENAL­BUM Ludwig Erhard (links) und Luitwin von Boch senior bei Ursula Streit am Arbeitspla­tz bei V&B. Über das Datum hat die Familie keine Notiz.

Newspapers in German

Newspapers from Germany