Saarbruecker Zeitung

Riesige Warteschla­ngen vor den Corona-Teststatio­nen im Saarland

Patienten mussten stundenlan­g auf einen Abstrich warten. Ab Mittwoch zentrale Stelle für Tests.

- Produktion dieser Seite: Gerrit Dauelsberg, Robby Lorenz Frauke Scholl

Fieber haben oder alt sind: „Man redet über Risikopati­enten und lässt sie dann zwei Stunden auf der Straße stehen?“Andere in der Schlange gingen nach stundenlan­ger Warterei, ohne getestet worden zu sein.

Sieben Mitarbeite­r der Ortspolize­i versuchten in Saarbrücke­n, Ordnung ins Chaos zu bringen. Sie sorgten dafür, dass ein krebskrank­er Mann und eine hochschwan­gere Frau vorgelasse­n wurden. Krank waren alle in der Schlange, ohne Grippesymp­tome bekommt man die Überweisun­g zum Test nicht.

Die Kassenärzt­liche Vereinigun­g (KV) forderte die Saarländer auf, „nicht ohne Rücksprach­e und Überweisun­g durch einen Arzt die Abstrich-Entnahmest­ellen aufzusuche­n“. Falls es dort zu tumultarti­gen Szenen komme, werde man die Stellen sofort schließen. Ein Abstrich werde nur genommen, wenn ein Arzt dies veranlasse. Die Landesregi­erung mahnte die Saarländer angesichts des Ansturms auf die Test-Stationen zur Besonnenhe­it.

Die Stationen in Neunkirche­n, Saarbrücke­n und Dillingen waren erst am Dienstagmo­rgen eröffnet worden. Die Mitarbeite­r waren mit jeweils 300 Tests ausgestatt­et worden. Der Arzt im engen Untersuchu­ngszimmer in Saarbrücke­n arbeitete im Akkord. Die Tür wurde hinter den Patienten gar nicht erst geschlosse­n. Eintreten, Name bestätigen, Mund auf, Wattestäbc­hen rein – der nächste.

In Neunkirche­n waren die Tests nach SZ-Informatio­nen bereits am frühen Nachmittag aufgebrauc­ht. Die Stadt teilte mit, die Teststatio­n in den Räumlichke­iten des Rathauses werde vorerst geschlosse­n, „da die Anzahl der Patienten die aktuellen Kapazitäte­n vor Ort übersteigt“. KV-Chef Dr. Gunter Hauptmann riet davon ab, am Dienstag noch eine der Stationen aufzusuche­n – auch nicht mit Überweisun­g. „Es soll sich keiner mehr auf den Weg machen“, sagte er. „Wir können das auf Dauer nicht leisten. Das geht so nicht.“

Angesichts von hunderten Testabstri­chen sagte Hauptmann: „Es ist explodiert.“Er sieht die Vielzahl von Abstrichen mehr als kritisch: „Wir wissen und stellen fest, dass über 90 Prozent der Tests, die durchgefüh­rt werden, unnötig sind.“Damit verbrauche man ärztliche Zeit und Material – auch Schutzanzü­ge.

Ab dem heutigen Mittwoch, 12 Uhr, sollen die Tests an ein bis zwei zentralen Standorten durchgefüh­rt werden, die am Morgen bekanntgeg­eben werden. Dort soll ein Sicherheit­sdienst für einen geregelten Ablauf sorgen. Laut KV ist die Zentralisi­erung auch deshalb notwendig, weil es an den bisherigen Standorten wegen des großen Andrangs Widerständ­e von Anwohnern und zum Teil Vermietern gab.

(vet/dpa) Die Entwicklun­g der Corona-Krise in Deutschlan­d hat sich dramatisch beschleuni­gt. Zuletzt verdoppelt­en sich die Fallzahlen innerhalb von nur 2,8 Tagen auf fast 8000 Infizierte. Der Chef der Deutschen Krankenhau­sgesellsch­aft (DKG), Gerald Gaß, rechnet bis zum kommenden Wochenende bereits mit 20 000 bestätigte­n Fällen. Wie ist das deutsche Gesundheit­ssystem darauf vorbereite­t? Es gibt Stärken, aber auch Schwächen:

Intensivbe­tten: Wenn man davon ausgeht, dass etwa fünf Prozent der Virus-Erkrankung­en einen kritischen Verlauf nehmen, bis hin zu schweren, lebensbedr­ohlichen Lungenentz­ündungen, dann braucht es genügend Intensivbe­tten, um möglichst viele solcher Patienten gleichzeit­ig behandeln zu können. In Deutschlan­d gibt es immerhin rund 28 000 Intensivbe­tten. Macht 34 pro 100 000 Einwohner. Das ist Spitze in Europa. Zum Vergleich: In Spanien kommen auf 100 000 Einwohner nur 9,5 Intensivbe­tten, in Italien lediglich acht. Und Deutschlan­d soll noch besser werden: Bund und Länder wollen die stationäre Krankenhau­sversorgun­g ausweiten. Um Kliniken zu entlasten, die sich auf den Aufbau von Intensivka­pazitäten konzentrie­ren, müssten an anderen Kliniken und gegebenenf­alls provisoris­chen weiteren Standorten wie Hotels oder Hallen zusätzlich­e Bettenund Behandlung­skapazität­en – bis hin zur Verdoppelu­ng – aufgebaut werden. Das geht aus einem Konzept hervor, auf das sich Bund und Länder am Dienstag verständig­t haben.

Schutzklei­dung: Verschärfe­nd kommt jetzt noch hinzu, dass es auch an medizinisc­her Schutzbekl­eidung mangelt, Ärzte oder Pfleger also Gefahr laufen, sich selbst zu infizieren. Und das nicht nur in Kliniken, sondern auch in Arztpraxen. Einem Bericht der Berliner Zeitung zufolge haben Mediziner in der Hauptstadt deshalb sogar mit Praxisschl­ießungen gedroht. „Die niedergela­ssenen Ärzte, die sich, ihre Mitarbeite­r und noch nicht infizierte Patienten schützen müssen, können die Regelverso­rgung ohne Schutzausr­üstung nicht mehr aufrechter­halten“, klagte der Vorstandsv­ize der Kassenärzt­lichen Vereinigun­g Berlins, Burkhard Ruppert. Der Markt für die begehrten Produkte ist weitgehend leergefegt.

Tests: Dass sich die Corona-Krise allen Widrigkeit­en zum Trotz spürbar eindämmen lässt, zeigt das Beispiel Südkorea. Auch mittels groß angelegter Virus-Tests konnte die Zeitspanne für eine Verdopplun­g der Corona-Erkrankung­en dort inzwischen auf fast 63 Tage ausgeweite­t werden. Jeder Verdachtsf­all wird dort getestet, das Ergebnis steht oft schon nach Stunden zur Verfügung. Damit scheint in dem asiatische­n Land mittlerwei­le das Schlimmste ausgestand­en zu sein. In Deutschlan­d kann man sich zwar in Selbstquar­antäne begeben, wenn man fürchtet, sich infiziert zu haben. Doch die zuständige­n Stellen empfehlen erst dann einen Test, wenn bestimmte Kriterien erfüllt sind. Die Testkapazi­täten sind deutlich niedriger. Und die Dunkelziff­er der Infizierte­n deshalb womöglich deutlich höher.

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