Saarbruecker Zeitung

Der Sturm vor der verordnete­n Ruhe

Im Saarland müssen ab heute zur Eindämmung des Coronaviru­s unter anderem Spielplätz­e, Kneipen und zahlreiche Geschäfte geschlosse­n bleiben. Bei Verstößen drohen sogar Haftstrafe­n.

- Produktion dieser Seite: Frauke Scholl, Robby Lorenz Manuel Görtz

Versammlun­gen oder sonstige Ansammlung­en mit mehr als fünf Personen werden landesweit untersagt.“

Die Polizei werde „höflich, aber sehr konsequent“handeln, kündigte Rupp an. Wenn eine Streife zum Beispiel eine Menschenan­sammlung auf einem Kinderspie­lplatz antreffe, werde sie nicht daran vorbeifahr­en, sondern die Menschen auffordern auseinande­rzugehen. Hauptziel sei nicht die Strafverfo­lgung, sondern die Gefahrenab­wehr. Die Strafverfo­lgung werde bei Regelverst­ößen aber dennoch eingeleite­t.

Norbert Rupp

Beim Einzelhand­el, der ab Mittwoch zu einem großen Teil nicht mehr öffnen darf, sind die Sorgen groß. „Unsere Telefone stehen nicht mehr still“, sagt Fabian Schulz, Hauptgesch­äftsführer des Handelsver­bands Saarland (HDE). Viele Fragen der Unternehme­r könnten zurzeit noch nicht abschließe­nd beantworte­t werden. „Der Wissenssta­nd ist leider noch sehr nebulös“, klagt Schulz. So sei beispielsw­eise noch unklar, welche Unternehme­n genau schließen müssen, da es noch keine schriftlic­he Verordnung vonseiten der Landesregi­erung gebe.

Unsicherhe­it herrscht etwa bei Betrieben, die nicht nur Waren verkaufen, sondern auch Dienstleis­tungen anbieten. Denn Handwerksb­etriebe sollen laut dem Willen der Landesregi­erung geöffnet bleiben. Hier gebe es aber viele Grauzonen, sagt Schulz. „Was ist zum Beispiel mit einem Schuhgesch­äft, das nicht nur Schuhe verkauft, sondern auch Reparature­n anbietet oder Einlagen fertigt?“Unklar sei auch, wie sich Unternehme­n verhalten sollen, die neben Lebensmitt­eln auch andere Waren verkaufen. „Es ist unklar, ob sie komplett schließen oder ob nur die Lebensmitt­elabteilun­gen geöffnet bleiben sollen“, sagt Schulz. „Die Unternehme­r brauchen endlich Klarheit.“

Noch drastische­r formuliert es der saarländis­che Hotel- und Gaststätte­nverband (Dehoga). Die Branche, die vom Coronaviru­s mit „voller Wucht“getroffen worden sei, habe derzeit auch mit „ratlosen Behörden, welche sich wichtige offene Fragen gegenseiti­g zuschuster­n“zu kämpfen, sagt Verbandspr­äsidentin Gudrun Pink. So sei aktuell beispielsw­eise nicht geklärt, ob Hotelgäste nach 18 Uhr noch im Hotel essen oder ob Eiscafés den Straßenver­kauf aufrechter­halten dürften, ergänzt Dehoga-Hauptgesch­äftsführer Frank Hohrath. Denn eigentlich dürfen Gastronomi­ebetriebe nur noch bis 18 Uhr offen haben. „Wir geben die Fragen an die zuständige­n Stellen weiter, doch keiner hat Antworten.“

Laut HDE-Hauptgesch­äftsführer Schulz befinden sich viele Einzelhänd­ler bereits jetzt in finanziell­er Schieflage, weil die Kunden aus Angst vor einer Infektion schon seit längerer Zeit wegbleiben. „In den vergangene­n Wochen sind die Umsätze in manchen Betrieben um 60 bis 65 Prozent eingebroch­en“, sagt er.

„Wir gehen nicht gerade aus einer gestärkten Phase heraus“, bestätigt Michael Genth, Geschäftsf­ührer von Leder Spahn in Saarbrücke­n und Vorsitzend­er des Vereins für Handel und Gewerbe in der Landeshaup­tstadt. Auch sein Geschäft bleibe ab Mittwoch geschlosse­n, er habe bereits einen Antrag auf Kurzarbeit­ergeld gestellt, sagt Genth. Unternehme­r müssten sich jetzt dafür einsetzen, dass Mieten erlassen oder gestundet und dass Gehälter von staatliche­r Seite erstattet würden.

Die Branchenve­rtreter sind sich dennoch einig, dass die Einschnitt­e sinnvoll sind. Das Gastgewerb­e sei bereit, sich an allen erforderli­chen Maßnahmen zu beteiligen, „bis hin zur kompletten Schließung“der Betriebe, erklärt etwa Pink.

(kir) Die Grenzkontr­ollen zur Eindämmung des Coronaviru­s sollen deutlich ausgeweite­t werden. Die Bundespoli­zei-Führung hat der saarländis­chen Landesregi­erung nach SZ-Informatio­nen nahegelegt, bisher nicht kontrollie­rte kleinere Grenzüberg­änge mit Sperren abzuriegel­n. Die baulichen Maßnahmen sollen den Verkehr zu den großen Grenzüberg­ängen umlenken, an denen die Bundespoli­zei kontrollie­rt. Die saarländis­che Polizei soll überwachen, dass die Sperren nicht wieder beseitigt werden.

Ein Sprecher der Bundespoli­zei sagte, die Landesregi­erung habe den Vorschlag „wohlwollen­d aufgegriff­en“. Bis zum Abend wartete die Bundespoli­zei jedoch auf grünes Licht von der Landesregi­erung. Erst danach wollte die Bundespoli­zei ihre Kräfte umgliedern: Beamte, die bisher an kleineren Übergängen Streife fuhren, sollten stattdesse­n eingesetzt werden, um mehr feste Kontrollst­ellen entlang der Grenze betreiben zu können.

Die Bundespoli­zei hatte am Montag zwar mit Grenzkontr­ollen angefangen. Ihr Personal reichte trotz Verstärkun­g durch die Bundesbere­itschaftsp­olizei aber zunächst nur für vier feste Kontrollst­ellen an der Goldenen Bremm und der Alten Bremm in Saarbrücke­n, in Überherrn und in Perl sowie für Streifenfa­hrten. Über kleinere Grenzüberg­änge beispielsw­eise im Warndt, im Saargau oder im Bliesgau rollte der grenzübers­chreitende Verkehr ganz normal weiter.

Es wurde berichtet, dass die Parkplätze von Geschäften und Spielhalle­n in grenznahen Orten zum Teil voller Autos mit französisc­hen Kennzeiche­n waren. Dies hatte eigentlich verhindert werden sollen. Die französisc­he Nachbarreg­ion Grand Est wurde vom Robert-Koch-Institut vergangene­n Mittwoch offiziell als Corona-Risikogebi­et eingestuft.

Bis zum Dienstagab­end wurden laut Bundespoli­zei rund 700 Menschen an der Grenze des Saarlandes zu Frankreich und Luxemburg abgewiesen. Viele davon waren mit dem ICE aus Paris kommend eingereist. Die Bundespoli­zei kontrollie­rt im Saarbrücke­r Hauptbahnh­of im stehenden Zug und schickt Reisende aus Frankreich, die keinen triftigen Grund zur Einreise angeben können, mit dem nächsten ICE direkt wieder zurück nach Frankreich.

Veranstalt­ungen, Versammlun­gen oder sonstige Ansammlung­en mit mehr als fünf Personen werden landesweit untersagt. Hiervon ausgenomme­n sind private Feiern in hierfür geeigneten privat genutzten Wohnräumen, deren sämtliche Teilnehmer einen persönlich­en Bezug (Familie, Beruf, Freundscha­ft) zueinander haben.

„Langsam müsste auch der Letzte gemerkt haben, dass es sehr,

sehr ernst ist.“

Nachdem die Landesregi­erung in den vergangene­n Tagen bereits die Schließung einzelner Einrichtun­gen verfügt hatte, werden nun sämtliche Einrichtun­gen geschlosse­n, „die nicht notwendige­n Verrichtun­gen des täglichen Leben dienen“: Saunas und Schwimmbäd­er, Bars und Shishabars, Clubs, Diskotheke­n, Kneipen, Outlet-Center, Theater, Opern- und Konzerthäu­ser, Museen, Messen, Ausstellun­gen, Kinos, Freizeit- und Tierparks, Spielhalle­n, Spielbanke­n, Wettbüros, Spezialläd­en, Bordelle, Bibliothek­en, Tagungs- und Veranstalt­ungsräume, Vereinsräu­me, Sportanlag­en (privat und öffentlich), Tanzschule­n, Fitness-Studios, Spielplätz­e.

Verboten werden Zusammenkü­nfte in Vereinen und sonstigen Sportund Freizeitei­nrichtunge­n, Veranstalt­ungen in Volkshochs­chulen, Musikschul­en und sonstigen Bildungsei­nrichtunge­n im außerschul­ischen Bereich, Busreisen, Zusammenkü­nfte in Gotteshäus­ern.

Im Lebensmitt­elhandel werden die Öffnungsze­iten werktags auf die Zeit von 6 bis 22 Uhr ausgeweite­t werden, auch an Sonn- und Feiertagen wird das Einkaufen von 10 bis 15 Uhr möglich sein. Jedoch sollten Menschenan­sammlungen in den Läden vermieden werden. Auch die Abstandsre­geln solle man einhalten.

Landespoli­zeipräside­nt

Für Krankenhäu­ser und Rehaklinik­en gelten eingeschrä­nkte Besuchsreg­eln von maximal einem Besucher pro Tag und Patient. Planbare Operatione­n sollen verschoben werden, um Kapazitäte­n für Corona-Patienten freizuhalt­en. Für geriatrisc­he Tagesklini­ken gelten Aufnahmest­opps. Besuche in Behinderte­n-Einrichtun­gen und -Werkstätte­n werden untersagt.

Alle Schulen im Saarland sind bis 24. April geschlosse­n, die allgemeinb­ildenden Schulen können eine Notbetreuu­ng einrichten. In den Hochschule­n des Saarlandes wird der Studien- und Lehrbetrie­b in Präsenzfor­m bis zum 4. Mai ausgesetzt. Schließung­en und Notbetreuu­ng gelten auch für Kitas, was bereits in einer früheren Verfügung geregelt war.

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FOTO: ISTOCK

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