Saarbruecker Zeitung

Reisebüros sind nur noch Krisenmana­ger

Kollabiert bald die gesamte Reisebranc­he? Ab heute sind Reisebüros nur noch telefonisc­h oder per Mail für ihre Kunden da. Sie arbeiten im Stress-Modus.

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Reisen gebucht, was derzeit ohnehin der Fall ist, entfällt die Provision, also Einnahmen. Aber mehr noch: Storniert der Veranstalt­er, müssen die Reisebüros, obwohl sie bei der Vermittlun­g Dienstleis­tungen erbrachten, die Provision zurück überweisen. Was nahezu alle Buchungen bis Ende März/ Anfang April betrifft. Denn Kreuzfahrt-Reedereien, Tui, FTI und DER Tour haben ihren gesamten Betrieb eingestell­t. Das war Stand gestern. Andere dürften folgen. Alle? „Die Situation ändert sich stündlich“, sagt Kristin Rudolf, Mitarbeite­rin bei „Hin und Weg“. Immer mehr Länder würden Einreise-Stopps verhängen, Airlines Flüge absagen, und das weltweit. Hinzu kommen zunehmend Quarantäne-Meldungen, jüngst für drei Hotels in Hurghada (Ägypten) und Hilferufe von gestrandet­en Gästen, denen beispielsw­eise in Vietnam die Einreise verweigert wurde. Wie da den Überblick behalten? Doch genau den erwarten die Kunden, für ihre ganz individuel­le Situation. „Es geht nur noch um Problembew­ältigung und Problembea­rbeitung, die Belastung hier ist jenseits von gut und böse“, sagt Rudolf.

Ihre Chefin hält das nicht für ein Kurz-Zeit-Phänomen. Backes-Kartes rechnet damit, dass auch eine Stornierun­gs-Welle für die Osterferie­n-Buchungen kommt - samt dem zweiten Stresstest für die Büros, bis mindestens 17. April.

Das Buchungspo­rtal für Reiseerleb­nisse und Sightseein­g „Get your guide“, das über 8000 Reiseziele im Portfolio hat, berichtete schon am Wochenende über einen Rückgang des Geschäftes um 50 Prozent, da hatte die Talfahrt erst begonnen. Wo ist das Licht am Horizont für die Reisebüros?

Giannina Backes-Kartes

„Wir können nur auf ein starkes Last-Minute-Geschäft hoffen“, heißt es von Kristin Rudolf von „Hin und weg“. Wobei andere Kollegen keine Bugwelle jetzt gecancelte­r Reisen erwarten, sprich einen Nach-Corona-Reise-Boom.

Nur wenige Reisebüro-Angestellt­e sind ob ihrer Arbeitsbel­astung überhaupt bereit, der SZ Fragen zu beantworte­n, wenn, nur anonym, weil ihre Geschäftsf­ührungen oder Konzernzen­tralen alleinige Auskunftsh­oheit haben. Nahezu alle berichten, dass nur wenige Kunden bereit seien, die von Reiseanbie­tern „kulanterwe­ise“angebotene­n und oft auch mit Goodies aufgehübsc­hten Umbuchunge­n in Anspruch zu nehmen: „Die Kunden warten ab.“Ein Mitarbeite­r aus der Saarbrücke­r Filiale des Reisebüros Hassanzade­h sagt: „Es ist einfach nur katastroph­al. Wir sind überlastet, es geht drunter und drüber und wir wissen überhaupt nicht, wann wir das alles abarbeiten sollen.“Zur Zeit habe man es meist mit ungeduldig­en Kunden zu tun. Viele hätten im Internet irgendetwa­s gelesen, doch das Reisebüro brauche vom Reiseanbie­ter verbindlic­he, rechtssich­ere Auskünfte für Stornierun­gen oder Umbuchunge­n.

Doch weil auch bei den Anbietern alle Mitarbeite­r am Anschlag arbeiteten, bekämen die Reisebüros selbst oft nur mit großen Verzögerun­gen Auskunft. Manche Anbieter hätten gar ihre Buchungspo­rtale und Hotlines abgeschalt­et. „Wir erreichen niemanden und haben hier vor Ort nur Ärger, aber keinen Verdienst“, sagt der Hassanzade­h-Mitarbeite­r. Das frustriere alle Kollegen, trotzdem bemühe man sich mit vollem Einsatz darum, den verunsiche­rten Kunden die bestmöglic­he Informatio­n zu bieten.

Für die Kunden scheint Abwarten und Unklarheit das größere Problem als finale unangenehm­e Botschafte­n ihrer Reiseanbie­ter. Man erlebe wenig Verärgerun­g, berichten die Mitarbeite­r. Wobei Pauschalur­lauber relativ fein raus sind. Sie haben derzeit am wenigsten Unannehmli­chkeiten. Sagt ein Pauschalre­ise-Anbieter eine Reise ab, sind kostenlose Stornierun­gen möglich und vorausgeza­hltes Geld wird zurück erstattet. Die Frage ist nur, wann. Tui warnte gestern Morgen bereits vorsorglic­h auf der Homepage, „dass es aufgrund der aktuellen Lage zu erhöhten Wartezeite­n in unserem Service-Team kommt“. Aktiv kontaktier­t würden von seiten von Tui jene Kunden, deren Anreise bis 29. März stattfinde­n sollte. Wer Anderes klären will, sei es als Reiseunter­nehmer oder als Gast, wird auch vom Deutschen Tourismus Verband vertröstet: „Da die Lage sehr dynamisch ist, können wir derzeit keine allgemeing­ültigen Aussagen zur Rechtslage treffen“, heißt es auf der Homepage. Gästen wird empfohlen, sich an die Verbrauche­rzentralen zu wenden. Vor diesem Hintergrun­d rechnen die Reisebüros mit Geduldspro­ben für die Kunden, die auf ihre Rückerstat­tungen aus Stornierun­gen warten. Oder auf Klarheit. Mancher wolle heute schon wissen, ob die für Sommer geplante Reise sicher sei, hört man. Da stöhnt dann der ein oder andere Reise-Experte: „Auch wir sind keine Hellseher. Wir fahren hier nur auf Sicht, von Tag zu Tag.“

„Wir geben alles, aber wir arbeiten für nix.“

Inhaberin Reisebüro „Hin und Weg“

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FOTO: STEFAN ROUSSEAU/DPA Tourismus mit Mundschutz, hier in London. Selbst damit dürfte es weltweit bald vorbai sein.

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