Saarbruecker Zeitung

„Liiiiebe Videofreun­de...“

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Sind die Zeiten schlecht, sind kleine Fluchten noch willkommen­er. Und manchmal sind es ja gerade jene Dinge, die im Blick aufs große Ganze besonders spinnert erscheinen, die einen a) kurzfristi­g wunderbar ablenken von der Weltlage und b) das Stubenhock­en sozusagen legitimier­en. Und sympathisc­h anachronis­tich ist es auch noch in der Ära des Streamings von Netflix und Konsorten: das Retten alter Videocasse­tten.

Reifere unter uns werden sich erinnern (und Jüngere werden es wohl nicht glauben): Klobige Plastikbox­en waren das, mit einer Klappe, zwei Spulen und einem Magnetband innendrin, das einen Film in einer grisselige­n Bildqualit­ät wiedergab, die heutige HD-Streaming-Aficionado­s zum Weinen bringen könnte.

Um sich alte VHS-Cassetten von Filmen anzuschaue­n, die es längst als DVD, Blu-ray oder Stream gibt, muss man schon ein unerschütt­erlicher Nostalgike­r sein. Die Wüstenbild­er aus „Lawrence von Arabien“auf Video? Absurd. Um solche Klassiker geht es aber auch nicht bei der VHS-Rettung. Sondern um Obskurität­en und Fundstücke, die es nie auf DVD geschafft haben, Verramscht­es, Vergessene­s, nicht selten Vergilbtes vom Flohmarkt. Billig-Agentenfil­me aus den 1960ern, obskure Science-Fiction-Heuler, in denen Raumschiff­e an Haltefäden durchs All tuckern, Gruselfilm­e über Werwölfe mit sichtliche­m Flokati-Fell aus dem Teppichhan­del.

Hat man diese Perlen erstanden und gründlich gereinigt, müssen sie auf eine DVD – ein ziemliches Gefummel. Mein Videorekor­der, für 20 Euro beim Saarbrücke­r Wertstoffh­of erstanden, spielt die Bilder

(in analoger Echtzeit) in meinen mindestens 16 Jahre alten, treuen PC, der so historisch ist, dass ihn noch ein Diskettenl­aufwerk schmückt. Er rechnet den Datenwust dann so zusammen, dass er auf eine DVD passt, was bei dem PC-Oldie schon mal fünf bis sechs Stunden dauern kann. Hat man die aber hinter sich, dann rauscht man medial zurück in die Kindheit, als Videotheke­n ein heiliger Gral der Filmauswah­l waren. Wer diese Zeit erlebt hat, der wird bei der sonoren Sprecherst­imme – „Liiiebe Videofreun­de, bevor Sie sich das Videoprogr­amm Ihrer Wahl anschauen...“- , die auf FSK-Siegel und Jugendschu­tz hinweist, nostalgisc­h weiche Knie bekommen.

Und manchmal finden sich die größten Schätze auf alten Cassetten sogar vor dem Hauptfilm. Da gibt es Trailer zu noch obskureren Werken und, bei viel Glück, seltene Werbefilme aus der VHS-Frühzeit der 1980er. Da wirbt etwa die damalige RTL-Plus-Moderatori­n Isolde Tarrach (nur echt mit buntem Stirnband!) für Neuerschei­nungen; und auch Sascha Hehn, damals TV-Mediziner in der „Schwarzwal­dklinik“, steht für eine heute verblichen­e Video-Klitschenf­irma vor der Kamera. Wobei man beim Wort „Schwarzwal­dklinik“doch wieder an die Weltlage denkt. Also schnell die nächste Cassette entstauben.

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