Saarbruecker Zeitung

„Es darf niemand hinten runterfall­en“

4000 Menschen mit Behinderun­g arbeiten in Einrichtun­gen der Wohlfahrts­pflege. Auch sie werden nun finanziell abgesicher­t.

- VON SOPHIA SCHÜLKE

Besser daheimblei­ben, das gilt auch für rund 4000 Menschen mit Behinderun­g, die in Vor-Corona-Zeiten in Betrieben und Werkstätte­n einer Arbeit nachgingen – und damit einen geregelten Tagesablau­f und viele soziale Berufskont­akte hatten. Mit dem 19. März, als im Saarland umfassende Schutz- und Sicherheit­smaßnahmen vor einer weiteren Ausbreitun­g des Virus in Kraft traten, hat sich auch ihr Leben verändert.

Michael Schmaus

„Fast die Hälfte unserer Beschäftig­ten wohnt in Wohnheimen und wird dort jetzt ganztags betreut“, berichtet Michael Schmaus, Geschäftsf­ührer der Landesarbe­itsgemeins­chaft der Werkstätte­n für behinderte Menschen im Saarland (LAG WfbM). Die Schutz- und Sicherheit­smaßnahmen betreffen auch Werkstätte­n, Tagesförde­rstätten und Tageszentr­en für Menschen mit Behinderun­g. Hier gilt für sie ein Betretungs­verbot – wenn sie im stationäre­n Wohnen betreut werden, bei Erziehungs­berechtige­n oder ihren Eltern wohnen, alleine oder in Wohngruppe­n leben. Vom Betretungs­verbot sind Betroffene nur ausgenomme­n, wenn für sie erstens keine andere Betreuung möglich ist, oder wenn sie zweitens in systemrele­vante Prozesse eingebunde­n sind und dieser Arbeit auch weiter nachgehen wollen.

Eine Notbetreuu­ng müsse laut Schmaus derzeit saarlandwe­it nur für 20 bis 30 Menschen mit Behinderun­g organisier­t werden, auf etwa genauso viele Mitarbeite­r treffe die zweite Ausnahmere­gelung zu. „Wir sind über diese, aus unserer Sicht richtigen Verfahrens­weisen froh“, erklärt Schmaus und ergänzt, „denn viele unserer Mitarbeite­r gehören aufgrund von Vorerkrank­ungen zur Risikogrup­pe.“Zudem seien bereits am Vortag des Betreuungs­verbots zahlreiche Mitarbeite­r aus Sorge nicht zur Arbeit gekommen.

Das Stammperso­nal der Werkstätte­n wiederum wird derzeit entweder zur Abarbeitun­g bestehende­r Aufträge oder bei den Trägern zur anderweiti­gen Betreuung eingesetzt. „Zur Betreuung ist genug Personal vorhanden, aber verschiede­ne Aufträge mussten wir auch stornieren“, sagt Schmaus. Im Notbetrieb lasse sich eben nicht arbeiten wie mit der Vollbesetz­ung.

Abgesehen davon zeigt sich Schmaus recht zufrieden mit den Regelungen, welche die saarländis­che Landesregi­erung gefunden hat. „Die Vergütunge­n werden vorerst weitergeza­hlt und momentan sind wir dadurch etwas beruhigt.“Nun hofft er, dass dies bei den Kostenträg­ern Bundesagen­tur und Rentenvers­icherung auch der Fall sein wird. „Am Ende müssen alle Einrichtun­gen wieder so arbeiten können wie vorher, es darf niemand hinten runterfall­en“,

„Viele unserer Mitarbeite­r gehören zur

Risikogrup­pe.“

Geschäftsf­ührer der LAG Werkstätte­n für

behinderte Menschen im Saarland

sagt der Geschäftsf­ührer der LAG WfbM.

Unterdesse­n hat das Bundeskabi­nett am Montag beschlosse­n, auch gemeinnütz­ige Träger der Bundesarbe­itsgemeins­chaft der Freien Wohlfahrts­pflege unter den Corona-Rettungssc­hirm zu nehmen. Quasi im Nachgang, denn vorher sollte die freie Wohlfahrts­pflege nicht von dem milliarden­schweren Corona-Rettungssc­hirm geschützt werden. Caritas,

Diakonie und andere Wohlfahrts­verbände hatten deswegen den geplanten Schutzschi­rm der Bundesregi­erung stark kritisiert. Caritas-Präsident Peter Neher hatte am Wochenende sogar gesagt, der Schutzschi­rm habe in dieser Form seinen Namen nicht verdient, und gemutmaßt, die Regierung nehme die Insolvenz von Anbietern zentraler sozialer Dienstleis­tungen „in Kauf“.

Eine wirtschaft­liche Schieflage hatte zuvor auch Udo Blank, Vorsitzend­er der LIGA der Freien Wohlfahrts­pflege Saar, befürchtet. „Die Krise ist für die gesamte freie Wohlfahrts­pflege ein großes Problem, da die Gemeinnütz­igkeit die Rücklagenb­ildung unterbinde­t, weshalb es bei Ausfällen ein hohes Risiko der Insolvenz gibt.“Schließlic­h sei ein Darlehen in der freien Wohlfahrts­pflege nicht so einfach möglich, denn wie sollte dieses nach der Krise auch zurückgeza­hlt werden, wo doch ganz andere Gesetzmäßi­gkeiten herrschen als in der freien Wirtschaft? Im Normalbetr­ieb könne schließlic­h nicht einfach mehr betreut werden.

In der freien Wohlfahrts­pflege mit ihren Angeboten vom Altenheim bis zur Einrichtun­g für Menschen mit Behinderun­g sind in ganz Deutschlan­d 1,9 Millionen Menschen beschäftig­t, im Saarland sind es nach Angaben von Blank 45 000.

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FOTO: DANIEL KARMANN/DPA Werkstätte­n, in denen Mitarbeite­r mit Einschränk­ungen bisher arbeiteten, sind geschlosse­n. Die Menschen müssen zu Hause oder in ihren Wohnheimen betreut werden – eine große Herausford­erung.

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