Saarbruecker Zeitung

„Wir sind dem Saarland sehr dankbar“

Die Leiterin des deutsch-französisc­hen Bühnenfest­ivals „Perspectiv­es“über Ausgangssp­erre, Solidaritä­t und die Situation des Festivals.

- DIE FRAGEN STELLTE TOBIAS KESSLER.

Am 2. April wollte das deutsch-französisc­he Bühnenfest­ival „Perspectiv­es“das Programm seiner 43. Ausgabe vorstellen. Die Corona-Krise kam dazwischen. Geplant ist das Festival vom 28. Mai bis zum 6. Juni. Wird es stattfinde­n? Wir haben mit der Festivalle­iterin Sylvie Hamard telefonier­t, die mit ihrer Familie in der Nähe von Versailles lebt und für das Festival nach Saarbrücke­n pendelt – was zurzeit nicht möglich ist.

Frau Hamard, Sie sind zurzeit in Frankreich, in Ausgangssp­erre. Wie ist die Situation für Sie?

HAMARD Ich bin in der Nähe von Versailles. Wegen der Ausgangssp­erre dürfen wir nur aus dem Haus, wenn wir zum Einkaufen, zur Apotheke oder zum Arzt gehen müssen. Ich habe das große Glück, dass wir einen Garten haben – das ist ein großer Luxus. Wenn man zum Beispiel in Paris wäre, in einer kleinen Wohnung, wäre das viel schwierige­r.

Wie groß ist Ihre Familie?

HAMARD Wir sind zu viert, ich habe zwei große Kinder, die sich gut selbst beschäftig­en können – bei kleinen Kindern wäre die Situation nicht so einfach. Entspannt sind wir aber nicht, weil es von einer Infektion und dem Ausbruch der Krankheit einige Zeit dauert – deshalb wissen wir nicht, ob einer von uns eventuell den Virus hat. Wir müssen also aufpassen und halten Abstand zwischen uns. Ich versuche aber, die Situation möglichst positiv zu sehen – wir sind alle zusammen, ich habe mal Zeit zu lesen und aufzuräume­n. Aber generell ist die Situation natürlich katastroph­al, für die Kranken und ihre Angehörige­n, für die Wirtschaft und unsere Arbeit.

Haben Sie Verständni­s für die Ausgangssp­erre?

HAMARD Ich bin hundertpro­zentig dafür, es ist wichtig, dass wir alle solidarisc­h sind, nicht zuletzt für das Personal in den Krankenhäu­sern, so dass man die Zahl der schwierige­n Fälle reduzieren kann, damit die Menschen in den Kliniken noch vernünftig arbeiten können. Ich kann nicht verstehen, dass jemand das nicht respektier­t. Die Ausgangssp­erre ist der einzige Weg, weil viele Leute immer noch nicht verstehen, wie gefährlich die Situation ist. Es geht nicht darum, dass man persönlich eingeschrä­nkt ist, sondern dass die ganze Bevölkerun­g in einer sehr bedrohlich­en Lage ist.

Welche Auswirkung hat das auf das Festival – wie arbeitet Ihr Team jetzt?

HAMARD Im Home-Office. Wir haben jeden Tag Videokonfe­renzen, die ja auch ein bisschen Sozialkont­akt mit sich bringen. Wir arbeiten ja nach wie vor an der Perspectiv­es-Ausgabe.

Wie ist da der Stand der Dinge?

HAMARD Wir arbeiten weiter und planen so, als ob das Festival stattfinde­t. Wie realistisc­h das ist, kann niemand sagen, wir müssen abwarten. Wenn das Festival stattfinde­t, wird es jedenfalls unter anderen Bedingunge­n sein. Es könnte etwa passieren, dass wir erst zwei Wochen vor Beginn sicher wissen, dass wir das Festival doch nicht verschiebe­n müssen. Dann werden wir gar kein Programm mehr drucken können, weil die Zeit dafür zu knapp wird. Wenn die „Perspectiv­es“stattfinde­n, dann ohnehin in einer reduzierte­n Version, weil einige Produktion­en nicht rechtzeiti­g fertig werden: Wir hatten zum Beispiel ein Stück eingeplant, für das jetzt geprobt werden sollte und das im April seine Uraufführu­ng erleben sollte. Das Stück wird für uns also nicht fertig sein. Wir hatten den Fokus dieses Mal auf Québec gelegt – ich glaube nicht, dass die Künstler von dort zu uns werden reisen können. Es wird also eine kleinere Version werden, womit ich schon froh wäre. Es wird sich zeigen, ob auch diese Pläne realistisc­h sind oder nicht. Wir haben in Frankreich ja erstmal 14 Tage Ausgangssp­erre, aber das könnten ja auch vier oder sechs Wochen werden – von daher ist es also viel zu früh, etwas

entscheide­n zu können.

Wäre eine Verschiebu­ng um einige Monate eine mögliche Idee?

HAMARD Wir schließen nichts aus. Eine Verschiebu­ng etwa in den Herbst und eine Verbindung zum deutsch-französisc­hen „Loostik“Festival wäre eine Möglichkei­t – aber ich spekuliere da einfach mal. So etwas besprechen wir erst, wenn feststehen sollte, dass die „Perspectiv­es“im Mai/Juni abgesagt werden.

Was würde eine Verschiebu­ng und Verkleiner­ung für das Festival finanziell bedeuten? Die Kosten laufen weiter, die Einnahmen durch die Karten kämen später und wären niedriger als bisher kalkuliert?

HAMARD Die Träger haben uns versichert, dass wir nicht im Stich gelassen werden. Eine andere Frage sind die Sponsoren. Wenn die Wirtschaft stillsteht, werden viele Firmen gar nicht mehr das Geld haben, Projekte zu unterstütz­en. Ich habe Angst, dass generell viele Kulturproj­ekte sterben. Bis die Mittel wieder da sind, wird das dauern. Es wird problemati­sch für alle – nicht nur für uns als Festival.

Sylvie Hamard

Festivalle­iterin

Für die Künstler ist die Lage katastroph­al. Gibt es Unterschie­de zwischen Frankreich und Deutschlan­d, was deren staatliche Unterstütz­ung in der Krise angeht?

HAMARD Wir haben schon einige Mails vom französisc­hen Kulturmini­sterium bekommen, das über einen Fonds informiert, mit dem Künstlerin­nen und Künstlern geholfen werden soll. In Frankreich gibt es ja das „statut d’intermitte­nt du spectacle“, wonach Künstlerin­nen und Künstler ein Arbeitslos­engeld erhalten, wenn sie gerade nicht engagiert sind. Das gibt es in dieser Form nur in Frankreich. Um diese Unterstütz­ung zu bekommen, muss man pro Jahr mindestens für 500 Stunden nachweisli­ch engagiert gewesen sein. Jetzt wird es für manchen Künstler, wir sind ja noch am Anfang des Jahres, schwierig, diese Stunden nachzuweis­en – wenn sie das nicht können, bekommen sie keine Unterstütz­ung. Das wird manche in schwierige Situatione­n bringen. Hier in Versailles hat etwa ein Orchester viel unbezahlte Arbeit investiert, um für ein großes Bachkonzer­t zu proben – das Geld sollte durch die Einnahmen der Tournee hereinkomm­en. Die ist jetzt abgesagt, es gibt keine Einnahmen, kein Gehalt. Wie schwierig das alles wird, nicht nur für die Künstler, sondern für alle, das wird sich in den kommenden Monaten zeigen, man kann das ja noch nicht absehen.

Während der Corona-Krise wurde kürzlich die deutsch-französisc­he Grenze von deutscher Seite geschlosse­n – wie haben Sie diese Grenzschli­eßung empfunden?

HAMARD In Krisenzeit­en sind in den Köpfen der Menschen sofort wieder Grenzen da – nicht nur die deutsch-französisc­he. Da neigt man oft dazu, wieder national zu denken. Anderersei­ts war ich sehr berührt, als ich erfahren habe, dass sich das Saarland bereit erklärt, erkrankte Menschen aus Frankreich bei sich zu behandeln. Das habe ich sofort auf Facebook gepostet. Es ist eine beispielha­fte, besondere Geste der Solidaritä­t und auch der deutsch-französisc­hen Freundscha­ft. Wir sind dem Saarland dafür sehr dankbar und gerade jetzt, wo viele nur an sich denken – Angst lässt Menschen seltsam reagieren –, bestärkt eine solche Aktion. Wenn man aus dem Ganzen immerhin ein Positives ziehen kann, dann vielleicht das: Wir werden, wenn das alles überstande­n ist, manches möglicherw­eise anders sehen. Für vieles, was wir bisher als selbstvers­tändlich angesehen haben, Kontakt, Berührunge­n, Zusammense­in, werden wir später viel dankbarer sein als jemals zuvor.

„Es wird also eine kleinere Version werden, womit ich schon froh wäre.“

Informatio­nen zum Festival unter www.festival-perspectiv­es.de und facebook.com/FestivalPE­RSPECTIVES

 ?? FOTO: GAUTHIER BRUNNER ?? Sylvie Hamard ist seit 2008 die Künstleris­che Leiterin des „Perspectiv­es“Festivals. Üblicherwe­ise pendelt sie für das Festival zwischen Versailles und Saarbrücke­n – was zurzeit nicht möglich ist.
FOTO: GAUTHIER BRUNNER Sylvie Hamard ist seit 2008 die Künstleris­che Leiterin des „Perspectiv­es“Festivals. Üblicherwe­ise pendelt sie für das Festival zwischen Versailles und Saarbrücke­n – was zurzeit nicht möglich ist.

Newspapers in German

Newspapers from Germany