EU-Videoschalte endet im Streit
Beim Gipfel der Staats- und Regierungschefs lehnt Kanzlerin Merkel Eurobonds erneut ab – nun müssen kreative Lösungen her.
Die Bundeskanzlerin gab es nur als „Hörspiel“: Als die 27 Staats- und Regierungschefs am Donnerstagabend zu ihrem virtuellen Gipfeltreffen in Form einer Video-Schaltkonferenz zusammenkamen, saß Angela Merkel (CDU) noch in der Quarantäne ihrer Berliner Wohnung. Zum Schutz ihrer Privatsphäre mussten die Amtskollegen mit einem Foto und der Stimme der deutschen Regierungschefin vorliebnehmen.
Das konnte einen handfesten Krach zwischen den 27 Staatenlenkern allerdings nicht verhindern. Statt zwei tagte man am Ende gut sechs Stunden – mit nur begrenzten Ergebnissen. Zwar versprachen sich alle, die Probleme des Warenverkehrs an den geschlossenen Grenzen zu beheben. Gemeinsam sollen die Engpässe bei Schutzausrüstungen und medizinischen Geräten beseitigt werden. Und außerdem kam man überein, den zunächst auf 30 Tage befristeten Einreisestopp für NichtEU-Bürger
in die Union gegebenenfalls zu verlängern, sollte sich die Situation nicht entspannen.
Damit war die Harmonie aber auch schon zu Ende. Beim Thema Geld hörte der Frieden auf. Zwar haben die 19 Mitgliedstaaten des Euro-Raums sowie die übrigen EU-Mitglieder bereits insgesamt fünf Billionen Euro zur Stützung der Wirtschaft zugesagt.
Doch nun geht es um weitere EU-Hilfen – vor allem die Süd-Länder unter Führung Frankreichs wollen dazu mit gemeinsamen Eurobonds an den Finanzmärkten Kapital ohne Risikozuschläge aufnehmen. Doch Deutschland, die Niederlande und etliche andere bremsen. „Ich glaube, dass wir mit dem ESM ein Kriseninstrument haben, was uns viele
Möglichkeiten eröffnet“, begründete Merkel ihre Strategie.
Doch ein geplanter Beschluss der 27 Staatenlenker, den ESM-Rettungsfonds mit Sitz in Luxemburg zu beauftragen, Hilfen vorzuschlagen, wurde vom italienischen Ministerpräsidenten Giuseppe Conte und seinem spanischen Amtskollegen Pedro Sanchez gestoppt. Vor allem Rom forderte „innovative und angemessene Finanzinstrumente“. Der Widerstand kommt nicht überraschend: Zwar verfügt der ESM derzeit über eine „Kriegskasse“von rund 410 Milliarden Euro. Doch dieses Geld ist an Auflagen gebunden. So müsste ein Bittsteller – wie vor Jahren Griechenland – akzeptieren, dass eine neue Troika der Geldgeber die Situation des Staates durchleuchtet und einen Katalog notwendiger Reformen auflegt, den die Regierung abzuarbeiten hätte. Eine solche Entmündigung sieht niemand gerne. „Wir tun alles, was nötig ist, um eine Lösung zu finden“, versprach EU-Ratspräsident Charles Michel. In zwei Wochen will man von den Finanzministern
Vorschläge hören, die „dem beispiellosen Charakter des Covid19-Schocks Rechnung tragen, der alle unsere Länder trifft“, hieß es im Schlussdokument des Gipfels.
Wie könnte das aussehen? Eurogruppenchef Mário Centeno hat bereits eine Idee. Er stelle sich vor, erklärte er schon vor dem Gipfel, dass jeder Mitgliedstaat ein Darlehen in Höhe von zwei Prozent seiner Wirtschaftsleistung vom ESM bekomme. Das wären 210 Milliarden Euro. Dass Merkel den „ESM für das präferierte Instrument“hält, hat aber noch einen anderen Grund: Abgesehen von den mit Krediten verbundenen Kontrollen haben die Mitgliedstaaten ihre Einlagen und Bürgschaften bereits getätigt. Bei gemeinsamen Bonds kämen dagegen neue Garantien und Haftungsprobleme auf die Mitgliedstaaten zu. Denn bei den Bonds steht jeder für die Schulden des anderen als Bürge bereit.