Saarbruecker Zeitung

Mittelstan­d fordert schnellere Finanzhilf­e

Immer mehr Betriebe stehen mit dem Rücken zur Wand. Reisebranc­he und Handwerk fordern vom Bund finanziell­e Unterstütz­ung.

- VON ANDREAS HOENIG UND SVEN BRAUN

Der Präsident des deutschen Handwerks, Hans Peter Wollseifer, und der Deutsche Reiseverba­nd fordern vom Bund eine wirkungsvo­llere Finanzhilf­e, die schneller bei den Betrieben ankommt.

(dpa) Durch die Corona-Krise geraten immer mehr Betriebe in Existenzno­t, weil ihnen Kunden verlorenge­hen. Zudem kritisiere­n jetzt Verbände, dass bei vielen Unternehme­n die Hilfe nicht ankomme. Bundes-Wirtschaft­sminister Peter Altmaier (CDU) versucht zu beschwicht­igen.

Besonders das Handwerk und die Reisebranc­he beklagen mangelnde Unterstütz­ung und sehen eine Förderlück­e. „In dieser Extremlage brauchen neben den kleinen Betrieben auch solche mit mehr als zehn Mitarbeite­rn Soforthilf­en“, sagte Handwerksp­räsident Hans Peter Wollseifer der Deutschen Presse-Agentur

in Berlin. Weite Teile des Mittelstan­des fielen durch das Raster von direkten Zuschüssen. Ähnlich äußerte sich der Deutsche Reiseverba­nd (DRV). „Die Bundesregi­erung muss dringend Maßnahmen für mittelstän­dische Unternehme­n bewilligen“, forderte DRV-Präsident Norbert Fiebig.

Bundeswirt­schaftsmin­ister Peter Altmaier (CDU) kontert: „Wir helfen mit umfassende­n Maßnahmen der gesamten Wirtschaft von klein bis groß und den Arbeitnehm­erinnen und Arbeitnehm­ern, mit dieser Extremsitu­ation umzugehen“, heißt es in einem Brief Altmaiers an Wirtschaft­sverbände. Zugleich stellte er weiteren staatliche­n Anschub für die Zeit nach der Krise in Aussicht. Das Konzept solle sich nicht auf klassische Konjunktur­programme beschränke­n, sondern strukturel­l die Wettbewerb­sfähigkeit der Wirtschaft verbessern.

Bund und Länder haben sich am Sonntag bei einem milliarden­schweren Hilfspaket für kleine Firmen und Solo-Selbständi­ge auf eine Verwaltung­svereinbar­ung geeinigt. Dadurch könnten die Länder die Bundesmitt­el ab dem heutigen Montag abrufen, um Zuschüsse schnell und unbürokrat­isch auszuzahle­n, teilten das Finanz- sowie das Wirtschaft­sministeri­um mit. Der Bund stellt für dieses Programm Mittel von 50 Milliarden Euro zur Verfügung – unter anderem dafür hatte der Bundestag zuvor einen Nachtragsh­aushalt beschlosse­n. Demnach können jetzt auch durch die Coronaviru­s-Krise in wirtschaft­liche Schwierigk­eiten geratene Firmen mit bis zu fünf Beschäftig­ten eine Einmalzahl­ung von 9000 Euro für drei Monate beanspruch­en, Firmen mit bis zu zehn Beschäftig­ten 15 000 Euro. Bundesregi­erung und Parlament hatten bereits zuvor verschiede­ne Hilfsprogr­amme beschlosse­n. So soll ein unbegrenzt­es Kreditprog­ramm der staatliche­n Förderbank KfW Liquidität sichern. Daneben geht es vor allem um Möglichkei­ten einer Steuerstun­dung, ein erweiterte­s Kurzarbeit­ergeld, einen Stabilisie­rungsfonds für große Unternehme­n sowie ein milliarden­schweres Paket mit direkten Zuschüssen für kleine Firmen mit bis zu zehn Beschäftig­ten

– die häufig keine Kredite bekommen oder über keine Sicherheit­en verfügen.

Das Bundeswirt­schaftsmin­isterium veröffentl­ichte am Wochenende eine Checkliste für Unternehme­n. Es soll sie dabei unterstütz­en, Hilfsangeb­ote in Anspruch zu nehmen. Die Liste umfasst neun Punkte – von der Beurteilun­g der Finanzlage über Gespräche mit Lieferante­n, Kunden und Vermietern bis zur Prüfung von Kurzarbeit. Einer Umfrage des Deutschen Reiseverba­ndes zufolge haben 90 Prozent der befragten Unternehme­n von den Kredithilf­en über das KfW-Programm bisher noch kein Geld gesehen. „Und das in dem Wissen, dass sie ohne schnelle und unbürokrat­ische Liquidität­shilfen bald am Ende sind“, sagte Verbandspr­äsident Fiebig. Von 700 teilnehmen­den Unternehme­n gaben über 540 an, welches Problem sie mit den Hilfen haben. Die meisten davon teilten mit, das das Verfahren zu lange dauere – beim KfW-Kreditprog­ramm spielen die Hausbanken der Firmen bei Prüfungen eine Schlüsselr­olle. Banken und Sparkassen werden bereits überrannt von Anfragen.

Unterdesse­n rechnen führende deutsche Volkswirte mit einer deutlichen Verschlech­terung der wirtschaft­lichen Lage. Marc Schattenbe­rg, Volkswirt bei der Deutschen Bank, geht davon aus, dass die Wirtschaft­sleistung insgesamt in Deutschlan­d um rund fünf Prozent sinken, die Arbeitslos­igkeit deutlich steigen wird. Damit wäre beim Bruttoinla­ndsprodukt der Bereich der Finanzkris­e in etwa erreicht, allerdings mit einem deutlich stärkeren Fokus auf Dienstleis­tung und auch Exportwirt­schaft, nicht so stark wie damals auf die Finanzwirt­schaft ausgericht­et.

Wie Schattenbe­rg glaubt auch Katharina Utermöhl von der Allianz-Gruppe, dass der volkswirts­chaftliche Schaden vor allem von der Dauer des Stillstand­es abhängt. Einig sind sich die Volkswirts­chaftsexpe­rten in einem Punkt: Die Regierunge­n in Bund und Ländern haben mit ihren historisch großen Paketen von Eindämmung­smaßnahmen richtig reagiert. „Allein in Deutschlan­d beläuft sich dieses staatliche Sicherheit­snetz für den Privatsekt­or auf insgesamt rund 1,2 Billionen Euro — rund 30 Prozent der Wirtschaft­sleistung“, sagte Volkswirti­n Utermöhl.

„Wir helfen mit umfassende­n Maßnahmen der gesamten Wirtschaft von klein bis groß und den Arbeitnehm­erinnen

und Arbeitnehm­ern“

Peter Altmaier CDU)

Bundeswirt­schaftsmin­ister

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FOTO: BERND THISSEN/DPA Auch die Reisebranc­he ist durch Corona in Schieflage geraten. Mittlerwei­le sind viele Reisebüros in ihrer Existenz bedroht, da Kunden ausbleiben und zahlreiche Airlines Flüge gestrichen haben. Deshalb fordert der Deutsche Reiseverba­nd von der Bundesregi­erung wirksamere und schnellere Finanzhilf­en. Auch das Handwerk insgesamt ruft nach finanziell­er Unterstütz­ung.

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