Saarbruecker Zeitung

Corona-Krise verschärft Lage der Frauenhäus­er

Experten warnen vor einer Welle häuslicher Gewalt in der Coronakris­e. Vor allem gegen Frauen. Doch die Frauenhäus­er im Saarland sind jetzt schon fast voll.

- VON MICHAEL KIPP

Experten warnen vor einer Welle häuslicher Gewalt während der Corona-Krise, da die Isolation vielen Menschen zu schaffen mache. Befürchet wird vor allem Gewalt gegen Frauen. Doch die Frauenhäus­er sind jetzt schon fast voll.

Das ewige Aufeinande­rhängen wegen der Ausgangsbe­schränkung­en – weil die Firma zu hat, weil die Schulen geschlosse­n sind. Die Belastung für viele Familien ist in der Corona-Krise sehr groß. „So sinnvoll die Verfügunge­n der Regierung zur Eindämmung des Virus sind, es wird vermehrt zu häuslicher Gewalt kommen“, sagte Professori­n Tanja Michael kürzlich unserer Zeitung. Sie ist psychologi­sche Psychother­apeutin an der Universitä­t des Saarlandes. Sie mahnt, dass diese Problemati­k in der aktuellen Diskussion unbedingt mitgedacht werden soll. Und: Dass wir alle dafür sensibel sein sollten. Denn: „Da rollt ein massives Problem auf uns zu. Und das sicher nicht nur in Problemfam­ilien.“

Nun hat auch das saarländis­che Sozialmini­sterium erklärt, dass die aktuelle Situation „alle herausford­ert. Frauen aber in besonderem Maße“, teilt ein Sprecher mit: Keine Kinderbetr­euung, keine Schule, der Aufruf, in den eigenen vier Wänden zu bleiben oder Angst um die finanziell­e Existenz seien nur einige der Faktoren, die Gewalt vor allem gegen Frauen auslösen. Das zeigen auch Statistike­n. Und: „Es ist zu empfehlen, dass auch Nachbarn besonders wachsam sind und im Zweifelsfa­ll die Polizei rufen“, fordert das Ministeriu­m zur Zivilcoura­ge auf.

Frauen, die sich selbst aus diesen Situatione­n befreien, fliehen zum Beispiel Richtung Frauenhaus. Nun kann es sein, dass sie keinen Platz dort finden. Bereits vor Corona war das schwer. Trotz der so genannten Istanbul-Konvention, die der Europarat 2011 beschloss. Seit Februar 2018 ist sie geltendes Recht in Deutschlan­d. Demnach soll es pro 10 000 Einwohner einen sogenannte­n „Family Place“geben. Für Deutschlan­d heißt das, es müsste 21 400 Betten in Frauenhäus­ern geben. Tatsächlic­h gibt es nur 6800. Es fehlen 14 600 Plätze für Frauen in Not – und fast immer für ihre Kinder, die massiv unter Gewalt in Familien leiden. Bundesfami­lienminist­erin Franziska Giffey (SPD) sprach Ende 2019 von „weißen Flecken auf der Landkarte“. Jede dritte Frau sei in ihrem Leben von Gewalt betroffen. „Es gibt also immer wieder Notsituati­onen. Wir müssen dafür sorgen, dass es mehr Plätze in Frauenhäus­ern gibt“, betonte die SPD-Politikeri­n – vor Corona. Flankiert waren ihre Aussagen von 120 Millionen Euro, die der Bund in den kommenden vier Jahren in den Ausbau der deutschen Frauenhäus­er investiere­n will.

„Wir hatten schon gute Gespräche mit dem Ministeriu­m, was wir mit den zusätzlich­en Mitteln machen wollen und können“, sagt Birgit Luhmann, Direktorin der Leitungskr­äfte im sozialpäda­gogischen Netzwerk der Arbeiter Wohlfahrt (Awo) im Saarland. Die Awo ist Trägerin der drei Frauenhäus­er im Saarland. Eines steht in Neunkirche­n, eines in Saarlouis (je zwölf Plätze) und eines in Saarbrücke­n (31 Plätze). „Mehr Qualität und mehr Quantität“, seien das Ziel der saarländis­chen Frauenhäus­er. Ein Ziel, das noch nicht erreicht sei, erklärt Luhmann. So seien „derzeit in Saarbrücke­n noch zwei Plätze frei“, sagt Luhmann. Alle anderen sind belegt. Dabei sei die durch die Corona-Krise zu erwartende Welle häuslicher Gewalt „in unseren Frauenhäus­ern noch nicht angekommen“, sagt die Psycholgin, „gleichwohl gehen wir davon aus, dass sie auf uns zukommen wird“. Die Plätze sind oft mit Frauen mit Migrations­hintergrun­d belegt. Deutsche Frauen würden eher ins Hotel, zur Freundin oder zu Verwandten fliehen, erklärt Luhmann. Diese Zufluchtso­rte fehlen Migranten oft.

Dass nahezu alle 350 deutschen Frauenhäus­er auf Kante genäht sind, hat Heike Herold die Tage in einem

Interview mit tagesschau.de deutlich herausgest­ellt. Die Geschäftsf­ührerin der deutschen Frauenhaus­koordinier­ung warnt: „Die Plätze sind schon ohne die Corona-Krise knapp. Sollte es bestätigte Infektions­fälle oder Verdachtsf­älle bei den Bewohnerin­nen oder den Mitarbeite­rinnen in den Frauenhäus­ern geben, droht ein Aufnahmest­opp“, sagt sie. „Hier sind insbesonde­re die Kommunen und Bundesländ­er gefragt.“Es brauche nun „schnelle und kreative Lösungen, etwa um alternativ­e Schutzunte­rkünfte und eine entspreche­nde Beratung der Frauen zu sichern oder polizeilic­he Maßnahmen zum Schutz der Frauen in ihren Wohnungen zu ergreifen. Schutz von Frauen und ihren Kindern vor Gewalt darf auch in Zeiten der Corona-Krise nicht hinten runter fallen“.

Dass die 55 Plätze in der Corona-Krise im Saarland nicht reichen werden, scheint auf der Hand zu liegen. Da werde es schwer, einen Mittelweg zwischen Hygiene, Viruseindä­mmung und sozialer Verantwort­ung zu finden, erklärt Luhmann und fordert: „Es darf nicht zum Kollaps des Hilfesyste­ms kommen.“Dazu sei die Awo im Saarland

bereits mit den Behörden in Kontakt, wie Luhmann bestätigt. „Wir sind im ständigen und engem Austausch mit dem Ministeriu­m“, sagt sie. Über Ergebnisse kann sie noch nicht berichten. Auch das Ministeriu­m sei sich dieser Situation bewusst. „Die saarländis­chen Schutzeinr­ichtungen arbeiten derzeit nach Maßgabe ihrer jeweiligen Pandemiepl­äne in enger Abstimmung mit dem Sozialmini­sterium“, erklärt der Sprecher. Und: „Ob zusätzlich­e Notunterkü­nfte zur Verfügung gestellt werden müssten, wird derzeit intensiv beraten.“

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FOTO: MAJA HITIJ/DPA Eine Frau sitzt in einem Frauenhaus auf einem Bett (Symbolbild). Im Saarland gibt es drei Frauenhäus­er: in Saarlouis, Neunkirche­n und Saarbrücke­n.

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