Saarbruecker Zeitung

Das Handy als Geheimwaff­e im Kampf gegen das Coronaviru­s?

Eine Lockerung der Beschränku­ngen wäre eher möglich, wenn der Staat mehr Daten über seine Bürger sammelt, meint Gesundheit­sminister Spahn.

- VON ANDREJ SOKOLOW UND MARTINA HERZOG Produktion dieser Seite: Gerrit Dauelsberg, Manuel Görtz Thomas Sponticcia

(dpa) Es klingt bestechend: Das Handy soll zum Mitstreite­r gegen das Coronaviru­s werden. Wer Kontakt hatte zu einem Infizierte­n, könnte über die Standortda­ten seines Mobiltelef­ons ermittelt und informiert werden. Im ersten Anlauf ist Bundesgesu­ndheitsmin­ister Jens Spahn (CDU) mit der Idee gescheiter­t. Aufgegeben hat er sie noch nicht. Das Thema soll nun bei den Beratungen nach Ostern eine Rolle spielen – wenn es um „eine Zeit nach Corona“geht, in der der Kampf gegen das Virus anhält, die Einschränk­ungen aber gelockert werden.

Nach einer Umfrage des Meinungsfo­rschungsin­stituts YouGov im Auftrag der Deutschen Presse-Agentur gäbe es viel Rückhalt für solche Überlegung­en: 50 Prozent sagten, sie hielten die Ortung von Kontaktper­sonen von Infizierte­n für sinnvoll, 38 Prozent fänden das unangemess­en, zwölf Prozent machten keine Angaben.

Welche Ortungsdat­en kann man von Smartphone­s überhaupt bekommen?

Es gibt im Kern zwei Wege, Informatio­nen über die Position eines Mobiltelef­ons zu kommen: darüber, in welche Funkzelle es eingebucht ist – also welche Masten Daten übermittel­n – , und über Satelliten-Systeme zur Positionsb­estimmung wie GPS oder Galileo.

Was davon ist präziser?

Die Satelliten-Ortung ist auch in der Verbrauche­r-Version bis auf wenige Meter genau. Durch den Datenschut­z in den beiden Smartphone-Betriebssy­stemen – Googles Android und dem iOS von Apples iPhones – ist der Zugriff auf den

GPS-Chip aber nur mit Zustimmung des Nutzers möglich. Deshalb ist die gangbarste Lösung dafür eine App, bei der Verbrauche­r freiwillig ihre Positionsd­aten freigeben.

Würde man jede Kontaktper­son sammeln?

Nein. Man müsste die Ergebnisse sinnvoll eingrenzen. „Man kann nach Überschnei­dungen suchen, wie oft und wie lange jemand an der gleichen Stelle wie jemand anderes war“, sagt Fabian Theis, der sich am Münchner Helmholtz Zentrum mit der mathematis­chen Modellieru­ng biologisch­er Prozesse beschäftig­t. Diese Informatio­nen könne man mit Geoinforma­tionsdaten abgleichen – um etwa herauszufi­nden, ob an diesem Ort ein Café oder ein Park ist.

Ist das alles wirklich nötig?

Bisher haben Bund und Länder zur Eindämmung des Coronaviru­s auf Blankomaßn­ahmen gesetzt: Für alle greifen mehr oder weniger die gleichen Regeln, mit gewissen Unterschie­den zwischen den Ländern. Aber grundsätzl­ich gilt zum Beispiel, dass der Aufenthalt im öffentlich­en Raum nur mit höchstens einer anderen Person, die nicht im gleichen Haushalt lebt, gestattet ist. Die Auflagen sollen sowohl die Möglichkei­ten zur Weitergabe des Virus als auch zur Ansteckung verringern. Wenn man die Zahl potenziell infizierte­r Menschen stärker eingrenzen könnte – etwa über die Nutzung von Handydaten –, wäre die Lockerung der Regeln für andere womöglich weniger riskant. Es gibt aber auch ganz andere Überlegung­en, etwa eine starke Ausweitung an Tests oder mehr Vorsicht bei Risikogrup­pen und mehr Bewegungsf­reiheit für andere.

Welche Daten übergab die Telekom bereits dem Robert-Koch-Institut? Das waren anonymisie­rte Daten, die ausschließ­lich Rückschlüs­se darüber erlauben, wie viele Telefone sich in welchen Gebieten bewegt haben. Das RKI erhofft sich davon Erkenntnis­se darüber, ob die bisherigen Maßnahmen funktionie­ren.

Wie stehen Datenschüt­zer dazu? Die Weitergabe der anonymisie­rten Telekom-Informatio­nen stufte der Bundesdate­nschutzbea­uftragte Ulrich Kelber als rechtskonf­orm ein. Zugleich mahnte er: „Ich sehe, dass in anderen Staaten während der Corona-Pandemie der Datenschut­z teilweise vernachläs­sigt wird.“In Deutschlan­d ließen sich alle Lösungen aber auch grundrecht­skonform gestalten. Kelber gab auch zu bedenken: „Bisher fehlt jeder Nachweis, dass die individuel­len Standortda­ten einen Beitrag leisten könnten, Kontaktper­sonen zu ermitteln. Dafür sind diese viel zu ungenau.“

 ?? FOTO: SEBASTIAN GOLLNOW/DPA ?? Wer Kontakt zu einem Infizierte­n hatte, könnte über die Standortda­ten seines Mobiltelef­ons ermittelt werden.
FOTO: SEBASTIAN GOLLNOW/DPA Wer Kontakt zu einem Infizierte­n hatte, könnte über die Standortda­ten seines Mobiltelef­ons ermittelt werden.

Newspapers in German

Newspapers from Germany