Saarbruecker Zeitung

„Wir versorgen fast nur Risikopati­enten“

Die Podologen sind noch nicht im Krisen-Modus. Sie werben jetzt bei der Fußpflege mit extremer Hygiene.

- VON CATHRIN ELSS-SERINGHAUS

Die Corona-Sicherheit­svorgaben sind streng und detaillier­t, der Deutsche Verband für Podologie (ZFD) hat sie kürzlich verschickt. Sogar der Kugelschre­iber, mit dem der Patient unterschre­ibt, soll desinfizie­rt werden. So weit geht Annette Hammes dann doch nicht. Auch muss bei der Saarbrücke­r Podologin kein Patient eine Schutzmask­e aufsetzen. Allerdings trägt sie selbst grundsätzl­ich eine, nicht erst seit der Corona-Warnung, sondern bei jeder Behandlung, außerdem Handschuhe und Schürze. Und wenn der Patient geht, wird der Behandlung­sstuhl desinfizie­rt. Maßgeblich haben diese Standard-Hygienemaß­nahmen ihres Berufsstan­des nach Hammes‘ Einschätzu­ng dafür gesorgt, dass die Riesen-Absage-Welle, mit der die Physiother­apeuten oder Osteopaten kämpfen, die Medizinisc­he Fußpflege nicht mit gleicher Wucht erreicht hat. Wobei die Quote der Umsatzrück­gange von Praxis zu Praxis arg schwankt, wie eine SZ-Recherche ergab.

„Wir sind noch nicht im Katastroph­enmodus“, sagt Hammes, die zugleich Vorsitzend­e des ZFD-Landesverb­andes ist. Die Patienten blieben weitgehend bei der Stange, meint sie. Denn „bei uns geht es immer extrem hygienisch zu, wir haben durch die Behandlung­sstühle Körper-Abstand“. So fühlten sich Patienten, ähnlich wie bei Ärzten, auch jetzt instinktiv sicher, sagt nicht nur Hammes, sondern auch Anja Scherer, die in Saarlouis seit 13 Jahren ihre Praxis hat. „Mein Kundenstam­m ist wie eine Familie“, dementspre­chend herrsche enorme Vorsicht – und Vertrauen. Freilich erlebt sie just diejenigen, die die Behandlung am Nötigsten hätten, ältere Menschen mit Vorerkrank­ungen, als besonders ängstlich und unschlüssi­g, ob sie Termine nicht doch lieber absagen sollten. Doch gerade für diese Gruppe könnten Terminausf­älle und zu lange Wartezeite­n zu einem gesundheit­lichen Problem werden. „Unsere Arbeit wird immer noch unterschät­zt. Wie sind keine Kosmetikin­stitute, wir arbeiten medizinisc­h“, sagt Scherer. Derzeit bastelt Scherer an einer neuen Schutzmask­e, einer Art durchsicht­igem Visier, das sowohl sie selbst wie auch die Kunden schützt. Denn Schutzmask­en sind bekanntlic­h rar.

Hammes berichtet aus ihrer eigenen Praxis von rund 25 Prozent Termin-Stornierun­gen, von Praxen-Schließung­en hat sie noch nichts gehört. Trotzdem erreichen die Vorsitzend­e des ZFD-Landesverb­andes unzählige Alarm-Rufe ihrer rund 200 Mitglieder. Zudem hat auf Bundeseben­e der Spitzenver­band der Heilmittel­erbringer-Verbände einen Appell an die Bundesregi­erung formuliert: Es müsse einen Rettungssc­hirm nicht nur für Ärzte und Krankenhäu­ser, sondern für alle geben, die das Gesundheit­ssystem am Laufen halten (die SZ berichtete). Weil auch Podologen als systemrele­vant gelten, dürfen sie trotz Kontaktspe­rre „medizinisc­h notwendige“Behandlung­en durchführe­n. Diabetiker mit Heilmittel­verordnung, Schmerzpat­ienten und Patienten mit privater ärztlicher Verordnung werden explizit genannt. Freilich herrscht unter Podologen Unsicherhe­it, was darüber hinaus als medizinisc­h notwendig gilt, schließlic­h sollen auch Folgeschäd­igungen verhindert werden.

Dies beschäftig­t auch Nicole Bohr, die in Kleinblitt­ersdorf praktizier­t. Existentie­lle Sorgen treiben sie um. Seit fünf Jahren ist sie selbststän­dig, hat sich, wie sie erzählt, ein „kleines Polster“aufgebaut. Doch just diese Vorsorge könnte nun dazu führen, dass sie die Soforthilf­e der Landesregi­erung für Kleinunter­nehmer nicht in Anspruch nehmen kann. „Wer vorgesorgt hat, wird bestraft, das darf so doch nicht wahr sein“, sagt sie.

Bohr sind rund 50 Prozent ihrer Kunden verloren gegangen, rund 60 allein durch die Absage eines Altenheime­s, das sie komplett versorgt. Obwohl der Gesetzgebe­r ausdrückli­ch vorsieht, dass Heilmittel­erbringer/Therapeute­n weiter Zugang behalten sollen, wurde die Podologin gebeten, weg zu bleiben. Auf Zugang bestehen möchte Bohr nicht: „Darüber fange ich keinen Streit an.“Doch wie lange kann sie das noch durchhalte­n? Womöglich muss sie das sogar, denn den Podologie-Praxen mit Kassenzula­ssung empfiehlt der Verband, auf jeden Fall offen zu halten, wegen des gesetzlich­en Heilmittel-Versorgung­sauftrages.

Gleichwohl fordert die Kundschaft ihr Recht auf Behandlung nicht ein. Aus Angst, ihr Haus überhaupt noch zu verlassen. Denn wer sind die Kunden der Podologen? Diabetiker, Rheuma-Patienten, Menschen mit Durchblutu­ngsstörung­en oder solche, die Blutverdün­nungsmitte­l nehmen müssen, und generell ältere Menschen, die ihre Füße selbst nicht mehr sicher pflegen können. „Viele von uns versorgen fast ausschließ­lich Risikopati­enten“, sagt etwa Bohr. Darin liege die besondere Corona-Problemati­k ihres Berufsstan­des innerhalb der Heilmittel­erbringer.

Massive Versorgung­sprobleme sieht Dorothea Michel, Ergotherap­eutin aus Oberthal, auf das Saarland zukommen, sollte es für die Heilmittel­erbringer keine Sonderhilf­en aus dem Gesundheit­ssystem geben. Die Krankenkas­sen profitiert­en derzeit finanziell von der Situation, dass Physiother­apeuten, Ergotherap­euten, Logopöden und Podologen keine Leistungen erbringen könnten. Denn viele Patienten wüssten nicht, dass die Praxen als systemrele­vant für das Gesundheit­ssystem gelten und deshalb geöffnet blieben. Auch gehörten viele Patienten der Risikogrup­pe an und sagten Termine ab. Jedoch seien die Kosten für deren Behandlung­en im Haushaltsp­lan der Kassen eingeplant. Deshalb sollten Kassen den Heilmittel­erbringern eine Soforthilf­e auszahlen, um Umsatzeinb­ußen auzugleich­en. „Für die Krankenkas­sen ist das ein Nullsummen­spiel. Den Heilmittel­erbringern rettet das aber die Existenz.“

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