„Wir versorgen fast nur Risikopatienten“
Die Podologen sind noch nicht im Krisen-Modus. Sie werben jetzt bei der Fußpflege mit extremer Hygiene.
Die Corona-Sicherheitsvorgaben sind streng und detailliert, der Deutsche Verband für Podologie (ZFD) hat sie kürzlich verschickt. Sogar der Kugelschreiber, mit dem der Patient unterschreibt, soll desinfiziert werden. So weit geht Annette Hammes dann doch nicht. Auch muss bei der Saarbrücker Podologin kein Patient eine Schutzmaske aufsetzen. Allerdings trägt sie selbst grundsätzlich eine, nicht erst seit der Corona-Warnung, sondern bei jeder Behandlung, außerdem Handschuhe und Schürze. Und wenn der Patient geht, wird der Behandlungsstuhl desinfiziert. Maßgeblich haben diese Standard-Hygienemaßnahmen ihres Berufsstandes nach Hammes‘ Einschätzung dafür gesorgt, dass die Riesen-Absage-Welle, mit der die Physiotherapeuten oder Osteopaten kämpfen, die Medizinische Fußpflege nicht mit gleicher Wucht erreicht hat. Wobei die Quote der Umsatzrückgange von Praxis zu Praxis arg schwankt, wie eine SZ-Recherche ergab.
„Wir sind noch nicht im Katastrophenmodus“, sagt Hammes, die zugleich Vorsitzende des ZFD-Landesverbandes ist. Die Patienten blieben weitgehend bei der Stange, meint sie. Denn „bei uns geht es immer extrem hygienisch zu, wir haben durch die Behandlungsstühle Körper-Abstand“. So fühlten sich Patienten, ähnlich wie bei Ärzten, auch jetzt instinktiv sicher, sagt nicht nur Hammes, sondern auch Anja Scherer, die in Saarlouis seit 13 Jahren ihre Praxis hat. „Mein Kundenstamm ist wie eine Familie“, dementsprechend herrsche enorme Vorsicht – und Vertrauen. Freilich erlebt sie just diejenigen, die die Behandlung am Nötigsten hätten, ältere Menschen mit Vorerkrankungen, als besonders ängstlich und unschlüssig, ob sie Termine nicht doch lieber absagen sollten. Doch gerade für diese Gruppe könnten Terminausfälle und zu lange Wartezeiten zu einem gesundheitlichen Problem werden. „Unsere Arbeit wird immer noch unterschätzt. Wie sind keine Kosmetikinstitute, wir arbeiten medizinisch“, sagt Scherer. Derzeit bastelt Scherer an einer neuen Schutzmaske, einer Art durchsichtigem Visier, das sowohl sie selbst wie auch die Kunden schützt. Denn Schutzmasken sind bekanntlich rar.
Hammes berichtet aus ihrer eigenen Praxis von rund 25 Prozent Termin-Stornierungen, von Praxen-Schließungen hat sie noch nichts gehört. Trotzdem erreichen die Vorsitzende des ZFD-Landesverbandes unzählige Alarm-Rufe ihrer rund 200 Mitglieder. Zudem hat auf Bundesebene der Spitzenverband der Heilmittelerbringer-Verbände einen Appell an die Bundesregierung formuliert: Es müsse einen Rettungsschirm nicht nur für Ärzte und Krankenhäuser, sondern für alle geben, die das Gesundheitssystem am Laufen halten (die SZ berichtete). Weil auch Podologen als systemrelevant gelten, dürfen sie trotz Kontaktsperre „medizinisch notwendige“Behandlungen durchführen. Diabetiker mit Heilmittelverordnung, Schmerzpatienten und Patienten mit privater ärztlicher Verordnung werden explizit genannt. Freilich herrscht unter Podologen Unsicherheit, was darüber hinaus als medizinisch notwendig gilt, schließlich sollen auch Folgeschädigungen verhindert werden.
Dies beschäftigt auch Nicole Bohr, die in Kleinblittersdorf praktiziert. Existentielle Sorgen treiben sie um. Seit fünf Jahren ist sie selbstständig, hat sich, wie sie erzählt, ein „kleines Polster“aufgebaut. Doch just diese Vorsorge könnte nun dazu führen, dass sie die Soforthilfe der Landesregierung für Kleinunternehmer nicht in Anspruch nehmen kann. „Wer vorgesorgt hat, wird bestraft, das darf so doch nicht wahr sein“, sagt sie.
Bohr sind rund 50 Prozent ihrer Kunden verloren gegangen, rund 60 allein durch die Absage eines Altenheimes, das sie komplett versorgt. Obwohl der Gesetzgeber ausdrücklich vorsieht, dass Heilmittelerbringer/Therapeuten weiter Zugang behalten sollen, wurde die Podologin gebeten, weg zu bleiben. Auf Zugang bestehen möchte Bohr nicht: „Darüber fange ich keinen Streit an.“Doch wie lange kann sie das noch durchhalten? Womöglich muss sie das sogar, denn den Podologie-Praxen mit Kassenzulassung empfiehlt der Verband, auf jeden Fall offen zu halten, wegen des gesetzlichen Heilmittel-Versorgungsauftrages.
Gleichwohl fordert die Kundschaft ihr Recht auf Behandlung nicht ein. Aus Angst, ihr Haus überhaupt noch zu verlassen. Denn wer sind die Kunden der Podologen? Diabetiker, Rheuma-Patienten, Menschen mit Durchblutungsstörungen oder solche, die Blutverdünnungsmittel nehmen müssen, und generell ältere Menschen, die ihre Füße selbst nicht mehr sicher pflegen können. „Viele von uns versorgen fast ausschließlich Risikopatienten“, sagt etwa Bohr. Darin liege die besondere Corona-Problematik ihres Berufsstandes innerhalb der Heilmittelerbringer.
Massive Versorgungsprobleme sieht Dorothea Michel, Ergotherapeutin aus Oberthal, auf das Saarland zukommen, sollte es für die Heilmittelerbringer keine Sonderhilfen aus dem Gesundheitssystem geben. Die Krankenkassen profitierten derzeit finanziell von der Situation, dass Physiotherapeuten, Ergotherapeuten, Logopöden und Podologen keine Leistungen erbringen könnten. Denn viele Patienten wüssten nicht, dass die Praxen als systemrelevant für das Gesundheitssystem gelten und deshalb geöffnet blieben. Auch gehörten viele Patienten der Risikogruppe an und sagten Termine ab. Jedoch seien die Kosten für deren Behandlungen im Haushaltsplan der Kassen eingeplant. Deshalb sollten Kassen den Heilmittelerbringern eine Soforthilfe auszahlen, um Umsatzeinbußen auzugleichen. „Für die Krankenkassen ist das ein Nullsummenspiel. Den Heilmittelerbringern rettet das aber die Existenz.“