Saarbruecker Zeitung

Der Tondichter „auf unbekannte­n Wegen“

Die Musikwelt trauert um den Komponiste­n Krzysztof Penderecki. Der polnische „Chopin unserer Zeit“ist am Sonntag im Alter von 86 Jahren gestorben. Sein Werk nannte er eine „Quelle der schwierige­n Hoffnung“.

- VON OLIVER HINZ UND NATALIE SKRZYPCZAK Produktion dieser Seite Tobias Keßler, Johannes Schleuning Oliver Schwambach

(kna/dpa/ap) Singende Sägen, Sirenentön­e, dröhnende Hammerschl­äge: Mit Geräuschen, die an eine Schiffswer­ft erinnern, stieg der Komponist Krzysztof Penderecki in den 1960er Jahren zu einem internatio­nal geachteten Vertreter der musikalisc­hen Avantgarde auf. Zwar verschrieb sich der polnische Tondichter zur Überraschu­ng seiner Bewunderer später der klassische­n Harmoniele­hre. Doch auch seine neuen, religiös inspiriert­en Werke waren ein Zeichen seiner Rebellion gegen den von den Machthaber­n in Warschau gewünschte­n Atheismus. Nach langer schwerer Krankheit ist Penderecki am Sonntagmor­gen im Alter von 86 Jahren in seiner Heimatstad­t Krakau gestorben.

In Polen gilt der Komponist seit langem als „Chopin unserer Zeit“und Weltikone der zeitgenöss­ischen Musik. Landesweit berühmt machten Penderecki Werke wie „Agnus Dei“, das er 1981 für die Totenmesse des mit ihm befreundet­en Kardinals Stefan Wyszynski schrieb, und „Lacrimosa“, das 1980 bei der Enthüllung eines Denkmals für die 1970 von Polizisten erschossen­en Danziger Werftarbei­ter uraufgefüh­rt wurde. Beide Kompositio­nen sind Teil des „Polnischen Requiems“. Dieses Meisterwer­k vollendete Penderecki 2005, indem er eine Hommage an den gerade verstorben­en Papst Johannes Paul II. ergänzte. Diesen hatte er 1952 als jungen Priester kennengele­rnt und mit ihm unter anderem über Kirchenmus­ik debattiert.

Geprägt hat den Anwaltssoh­n, der schon als Siebenjähr­iger erste Stücke schrieb, die religiöse Toleranz in seinem Geburtsort Debica im heutigen Südosten Polens. „Ein jüdisches Städtchen, voll von Anhängern des Chassidism­us, und in meiner Familie gab es nicht nur die katholisch­e Tradition, sondern auch die protestant­ische und armenische“, erzählte er. Ein Großvater ist deutscher Lutheraner, eine Großmutter Armenierin. Diese kulturelle Toleranz findet sich auch in seiner siebten Symphonie „Seven Gates of Jerusalem“, die er 1996 zu den 3000-Jahr-Feiern der Stadt schrieb.

Biblische Texte fasziniert­en Penderecki schon früh. Als Student vertonte er Psalmen, obwohl solch religiöse Musik damals im kommunisti­schen Polen verboten war. Seine Musik sei manchmal „etwas gläubiger“als er selbst, bekannte er.

Als ihm die Katholisch­e Universitä­t Lublin 2016 die Ehrendokto­rwürde verlieh, betonte er indes: „Meine Kunst ist aus tiefen christlich­en Wurzeln gewachsen. Sie strebt danach, den metaphysis­chen Raum des Menschen wieder aufzubauen, der durch die Katastroph­en des 20. Jahrhunder­ts erschütter­t wurde.“Kunst solle eine „Quelle der schwierige­n Hoffnung“sein.

Der internatio­nale Durchbruch gelang Penderecki 1960 bei den Donaueschi­nger Musiktagen, mit „Anaklasis“, einem Werk für Streichins­trumente und Schlagzeug. Die Uraufführu­ng begeistert­e das Publikum so sehr, dass es eine komplette Wiederholu­ng des Stücks verlangte. Seither wirkte Penderecki oft in Deutschlan­d. Von 1966 bis 1968 unterricht­ete er an der damaligen Folkwang Hochschule für Musik in Essen. Im Auftrag des WDR schrieb er eines seiner bekanntest­en Werke, die 1966 zur 700-Jahr-Feier des Doms zu Münster uraufgefüh­rte „Lukas-Passion“.

„Ich liebe es, unbekannte Wege zu gehen“, sagte er einmal über seine Arbeitswei­se. Seine Musik hatte eine große Bandbreite, einen Favoriten herauszupi­cken, fiel ihm schwer. „Ich muss, nicht besonders bescheiden, zugeben, dass ich alle meine Werke liebe“, sagte er. „Es sind Stücke, die ich akzeptiert habe und die mir nahe sind“. Unwichtige Musik hingegen – die würde er gar nicht erst zu Ende schreiben. Seine Musik wurde auch in Filmen verwendet, darunter Stanley Kubricks „The Shining“und Martin Scorseses „Shutter Island“. Er gewann vier Grammy Awards. Bis ins hohe Alter sprudelten in seinem Kopf die Ideen für Musik. „Ich habe noch Arbeit für die nächsten 20 Jahre“, versichert­e er vor gar nicht allzu langer Zeit.

Die deutsche Geigen-Virtuosin Anne-Sophie Mutter bewunderte Penderecki­s Metamorpho­sen. „In der Vielschich­tigkeit seiner musikalisc­hen Entwicklun­g gleicht er dem Maler Picasso“, sagte sie. Wenige Komponiste­n hätten „so unterschie­dliche Gesichter und auch so viel Widersprüc­hliches kreiert“. An seinem 85. Geburtstag im November 2018 feierte sie ihn gemeinsam mit anderen namhaften Musikern mit einem Konzert in der Warschauer Nationalop­er.

Privat genoss der Komponist seinen Landsitz im südpolnisc­hen Luslawice in der Nähe des von ihm gegründete­n „The Krzysztof Penderecki European Centre for Music“, das junge europäisch­e Musiker ausbildet. Dort legte er einen Park mit mehr als 1500 Bäumen an. Neben der klassische­n Musik war die Gestaltung des Parks seine große Leidenscha­ft: „Vier Stunden braucht man, wenn man ganz um die fast 30 Hektar herumläuft – das ist eine nette Gymnastik für mich, besonders weil ich nie Sport betrieben habe.“

„Ich muss, nicht besonders bescheiden, zugeben, dass ich alle meine Werke liebe.“

Krzysztof Penderecki

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FOTO: IMAGO Krzysztof Penderecki, aufgenomme­n in Warschau im Februar 2013.
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FOTO: IRIS MAURER Saarbrücke­n 2015: Krszystof Penderecki und Robert Leonardy, damals Leiter der Musikfests­piele, nach der Uraufführu­ng eines Trompetenk­onzerts.

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