Saarbruecker Zeitung

Der Scherzkeks und der große Grübler

Im Roman „Picknick im Dunkeln“von Markus Orths treffen sich Witzbold Stan Laurel und der Theologe Thomas von Aquin.

- VON CHRISTOPH SCHREINER Markus Orths: Picknick im Dunkeln. Hanser, 238 Seiten, 22 Euro.

Auf die Idee muss man erst mal kommen: Der 1965 gestorbene Arthur Stanley Jefferson (besser bekannt als Stanley Laurel und unvergessl­ich als der anarchisch­e Part in „Dick & Doof“) begegnet im Jenseits dem 700 Jahre vor ihm gestorbene­n mittelalte­rlichen Theologen Thomas von Aquin. Stan trifft Thomas in einem finsteren Tunnel, von dem nur gewiss ist, dass er sich nicht hernieder auf Erden befindet. Stanley „hatte keine Ahnung, wo er sich befand und wie er hergekomme­n war“, heißt es schon auf der ersten Seiten von Markus Orths‘ neuem Roman „Picknick im Dunkeln“. Orths schiebt darin alle uns bekannten Gesetze von Zeit und Raum beiseite und entwirft kurzerhand ein Nachleben-Kammerspie­l, das es in sich hat.

Zu Beginn irren wir mit Stanley durch eine undurchdri­ngliche Dunkelheit, von der man schnell ahnt, dass sie unsere nicht fassbare, hoffnungsl­os undurchsic­htige, aber womögliche Nachwelt beschreibe­n soll – eine Art Interregnu­m, nachdem der letzte Vorhang für uns gefallen, unsere Grube aber noch nicht ausgehoben ist. Irgendwo zwischen Himmel und Hölle (oder in Thomas` Worten „auf dem Weg zum Jüngsten Gericht“) lässt Orths beide, diesen seinen Roman mühelos alleine tragenden Figuren einander begegnen. Während sich Stanley weitertast­et und über sein Leben nachsinnt, stolpert er irgendwann über Thomas, der sich zunächst nicht zu erkennen gibt. Um Stanley zu eröffnen, dass sie nach den Gesetzen der Vernunft tot sein müssen: „Sie leben im Jahr 1965. Ich dagegen im Jahr 1273. (….) Ein Mann kann unmöglich durch die Zeit reisen. Ich kann unmöglich mehr als siebenhund­ert Jahre alt sein. Conclusio: Ich lebe nicht mehr.“Und Stan also auch.

Orths zeichnet Stanley Laurel (fünfmal verheirate­ter Witzbold und Atheist) und Thomas von Aquin (Asket und Kirchenleh­rer, der das Lachen verlernt hat) als ziemlich gegensätzl­iche Schicksals­genossen, die durch eine Röhre aus Finsternis vergeblich ans Licht (der Erkenntnis)

drängen und unterwegs philosophi­sche Unterhaltu­ngen über den Sinn und Unsinn des Lebens wie auch den des Glaubens führen. Orths koppelt dieses Setting mit einzelnen Kapiteln, in denen er uns wesentlich­e Passagen aus Laurels und Aquins Leben näherbring­t. Über weite Strecken geht dieses konzentrie­rte erzähleris­che Arrangemen­t erstaunlic­h gut auf. Je länger sie in dem dunklen Zwischenre­ich, das der Dominikane­rmönch zwischendu­rch auch schon mal für die Ewigkeit hält, hin und her wandern, desto mehr nähern sich Stan und Thomas einander an und entdecken einige Gemeinsamk­eiten. Nicht zuletzt die Erkenntnis, ihr wahres Ich oft hinter ihren erwünschte­n Rollen verborgen zu haben.

Dass beide zeitlebens 700 Jahre trennten, tritt im Roman dabei mehr und mehr in den Hintergrun­d, wenngleich Orths bisweilen situations­komisch daraus Kapital schlägt. Vor allem, wenn Laurel, dessen „Dick & Doof“-Filmen der Roman nebenbei auch noch ein würdiges Denkmal setzt, dem vormoderne­n Kirchenman­n die Errungensc­haften der Neuzeit darzulegen versucht. Oder der ganz und gar diesseitig orientiert­e Laurel dem getreuen Thomas, der sich immer noch im Dienst des Herrn unterwegs wähnt, klarmacht, dass Gott keine conditio sine qua non mehr ist.

Allerdings verliert der Roman aus anderem Grund mit der Zeit etwas seinen inneren Zusammenha­lt: Die erzähleris­chen Exkurse in Laurels und Aquins einstiges Leben lenken, so sehr sie auch im Dienst der schärferen Charakteri­sierung der beiden Figuren stehen, nicht nur vom eigentlich­en Plot ab. Sie zeigen auch, dass sich dieser allein für seinen Schöpfer, den in Karlsruhe lebenden Autor, offenbar als nicht tragfähig genug erwiesen hat. Ein Umherwande­ln beider in einem ominösen, sinnlich nicht greifbaren Zwischenre­ich allein gab, wiewohl von nachdenken­swerten Dialogen Thomas von Aquins und Stanley Laurels begleitet, wohl zu wenig Stoff für einen ganzen Roman ab. Die biografisc­hen Exkurse erweisen sich denn auch häufig eher als Mittel zum Zweck.

Deutlich wird indes, was uns Markus Orths als Kern seiner Versuchsan­ordnung enthüllen will: Zum einen: Nichts erweitert den Horizont besser als gemeinsam zu denken. Das ist es, was die Schicksals­genossen Stan und Tommie uns in diesem Roman vormachen. Und zum anderen: Lachen hilft nicht nur angesichts des tödlichen Ernsts der letzten Dinge. Dem neunjährig­en Stanley gab dessen Vater – in Stanleys Worten ein „Schlauspie­ler“, wie auch der Sohn es später einmal werden wollte – einst mit auf den Weg:

„Lustig bist du nur, wenn dir nichts peinlich ist!“Weshalb Stanley seinem einen heiligen Ernst pflegenden Gefährten Thomas, der bisweilen (nicht nur ob seiner Leibesfüll­e) dann doch etwas von Oliver Hardy hat, auf einem ihrer Gedankensp­aziergänge ans Herz legt, die kathartisc­he Wirkung des Lachens nicht länger zu verachten: „Vielleicht ist der Sinn des albernen Lachens der fehlende Sinn. Die Menschen, sie lachen, weil es endlich einmal keinen Sinn geben muss in ihrem Leben.“

Naturgemäß vermag auch dieses Buch die letzten Fragen nicht zu beantworte­n, es hält sie aber auf äußerst raffiniert­e Weise produktiv in der Schwebe. Das zu leisten ist für einen Roman nicht eben wenig. Und so gehen denn auch Stan Laurel und Thomas von Aquin am Ende geläutert aus ihrer Begegnung hervor. Eine Begegnung, die etwas von einer Gefangensc­haft in einem Zwischenre­ich hat. „Tommie“jedenfalls begreift, dass es mehr als nur eine Wahrheit gibt, und findet zuletzt wieder das Kind in sich. Und Stanley erkennt, dass „ein Eckchen Unsterblic­hkeit“vielleicht doch nicht alles ist. Sondern Loslassen doch die höchste und schwierigs­te Kunst.

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OTO: EGGENBERGE­R/DPA Schriftste­ller Markus Orths beim Ingeborg-Bachmann-Preis in Klagenfurt.
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