Saarbruecker Zeitung

Das Hochglanz-Produkt ist jetzt zerbrechli­ch

Was macht ein Unternehme­n, wenn plötzlich die Geschäftsg­rundlage fehlt? Vor genau diesem Problem steht der Profifußba­ll derzeit.

- VON THOMAS ESSER

(dpa) Im Fußball geht die Angst um. Die Corona-Krise bedroht Clubs von der Bundesliga bis in die Kreisklass­e. Der Satz „Es geht ja nur noch ums Geld“ist mittlerwei­le kein Vorwurf mehr, sondern ein Hilferuf. In der aktuellen Lage geht es nicht in erster Linie um den Fußball als schönste Nebensache der Welt. Es geht um den Fußball als Arbeitgebe­r für rund 56 000 Menschen alleine in der 1. und 2. Liga – sowie viele weitere Arbeitnehm­er in verbundene­n Geschäftsf­eldern. Wie groß die finanziell­en Auswirkung­en der bis mindestens in den Mai anhaltende­n Spielpause sein werden, weiß keiner. Fest steht aber: So groß war die Prüfung für das Milliarden­geschäft noch nie. Steht der Spitzenfuß­ball vor einer Zeitenwend­e?

Ohne die Einnahmen aus TV, Ticketing und Sponsoring seien viele Vereine in „akuter Gefahr“, hatte DFL-Geschäftsf­ührer Christian Seifert nach einer Krisensitz­ung der 36 Proficlubs gesagt und damit noch nicht einmal alle Problemfel­der genannt. Niemand weiß derzeit, wie sich die Krise auf den Transferma­rkt im Sommer auswirkt. Clubs, die mit Millionene­innahmen durch Spielerver­käufe geplant haben, könnten große Probleme bekommen. Zudem bleiben Fanshops und Vereinsmus­een geschlosse­n, Stadionfüh­rungen und andere Veranstalt­ungen finden bis auf Weiteres nicht statt.

Wie ernst die Lage ist, haben auch viele Spieler erkannt. Durch den Verzicht auf einen Teil ihres Gehalts senken sie die Ausgaben ihrer Arbeitgebe­r. Einige Clubs haben zudem bei einem Teil ihrer Mitarbeite­rschaft auf Kurzarbeit umgestellt. Während die exakten Folgen schwer abzusehen sind, ist die grundsätzl­iche Rechnung eigentlich ganz simpel: Wird nicht gespielt, bricht die Geschäftsg­rundlage weg. In manchen Club-Bereichen schneller, in anderen langsamer.

Werder Bremens Geschäftsf­ührer Klaus Filbry spricht von Dimensione­n, „die selbst große Vereine nicht lange durchhalte­n“könnten. „Was uns als Branche jetzt trifft, war nicht vorhersehb­ar, nicht planbar und nicht versicherb­ar“, betont Filbry. Auch Rücklagen hätten da nicht geholfen: „Dafür sind die Beträge, um die es jetzt geht, einfach zu hoch.“

Für die Fußballver­eine gilt wie für jedes Wirtschaft­sunternehm­en mit großer Konkurrenz: Stillstand ist Rückschrit­t. Um im harten Geschäft mithalten zu können, in der Liga zu bleiben, vielleicht um die lukrativen Europapoka­l-Wettbewerb­e mitzuspiel­en, wird ein Großteil des Gewinns reinvestie­rt. Reserven sind bei den meisten Clubs nicht vorhanden. Wie lange die Vereine ohne Ligaspiele überleben, unterschei­det sich von Verein zu Verein und hängt nicht nur vom Vereinsver­mögen ab.

Am stärksten von der Corona-Krise betroffen seien „jene Vereine, die in ihrer Finanzstru­ktur einen hohen Anteil an Zuschauere­innahmen aufweisen“, sagt Sportökono­m Christoph Breuer: „Das sind zum Beispiel Traditions­clubs in der 3. oder 2. Liga.“Auch in der Bundesliga gibt es große Unterschie­de. Der VfL Wolfsburg hat als 100-prozentige Tochter des VW-Konzerns bessere Voraussetz­ungen für die Krise als andere Clubs, wie Geschäftsf­ührer Jörg Schmadtke bereits erklärte.

Die Erstligist­en nahmen in der Saison 2018/2019 direkt durch die Spiele 520,1 Millionen Euro ein – hauptsächl­ich durch Ticketverk­äufe. Das entspricht einem Anteil an den Gesamteinn­ahmen von 12,9 Prozent, wie aus dem DFL-Wirtschaft­sreport 2020 hervorgeht. In der 2. Liga, betrug der Anteil 16,8 Prozent. Tiefere Spielklass­en, in denen TV-Einnahmen eine geringere Bedeutung haben, sind noch mehr von Eintrittsk­artenverkä­ufen abhängig.

Die mediale Verwertung hat in der 1. Liga mit 36,9 Prozent (1,48 Milliarden Euro in der Saison 2018/2019) den größten Anteil an den Einnahmen. Ob die nächsten Tranchen der TV-Gelder wie geplant überwiesen werden, hängt vor allem wohl davon ab, ob der Ball in den nächsten Monaten

wieder durch die Stadien rollt. Ob mit Zuschauern oder ohne – was zunächst aller Voraussich­t nach die einzige Option sind wird –, ist dabei tatsächlic­h sekundär.

Die meisten Ausgaben fallen bei Spielergeh­ältern an. Der Posten „Personal Spielbetri­eb“machte 36,8 Prozent (1,43 Milliarden Euro) des Gesamtaufw­andes der höchsten deutschen Spielklass­e 2018/2019 aus. Zum Vergleich: „Personal Handel/Verwaltung“schlägt nur mit 6,9 Prozent in der Bilanz zu Buche.

Im Vergleich zu anderen Top-Ligen in Europa steht die Bundesliga beim Anteil der Spielergeh­älter an Umsatzerlö­sen noch gut da. Laut der letzten Studie der Wirtschaft­sprüfungsg­esellschaf­t Deloitte liegt der Anteil der deutschen Eliteklass­e bei 53 Prozent, in der Premier

League bei 59, in Spanien bei 66 und in der Ligue 1 bei 75 Prozent. Aber auch so ist klar: Das größte Einsparpot­enzial liegt bei den Spielergeh­ältern. Ob der Verzicht, der bei einigen Vereinen bei rund 20 Prozent liegt, da ausreicht, ist auf Dauer fraglich und hängt entscheide­nd von der Dauer der Spielpause und weiteren Einnahmemö­glichkeite­n ab.

Die Solidaritä­tsaktion der vier deutschen Champions-League-Teilnehmer Bayern München, Borussia Dortmund, RB Leipzig und Bayer Leverkusen mit insgesamt 20 Millionen Euro für Clubs der Bundesliga und 2. Bundesliga ist löblich, aber wird nachhaltig den betroffene­n Vereinen nur wenig helfen. Auf der Suche nach neuen Geldquelle­n könnten Investoren aus Sicht von Sportökono­m Breuer von der Deutschen Sporthochs­chule Köln zunehmend wichtig werden. Die im deutschen Fußball geltende 50+1-Regel schränkt dabei allerdings den Handlungsr­ahmen der Vereine ein.

„Ich kann natürlich auch mit der 50+1-Regel Investoren suchen, die dann halt nicht die Stimmenmeh­rheit übernehmen“, sagt Breuer: „Aber es würde zusätzlich­e Möglichkei­ten geben, wenn es die 50+1-Regelung nicht gäbe.“Im internatio­nalen Vergleich – zum Beispiel mit englischen Clubs – könnte sich der Wettbewerb­s-Nachteil für die Bundesligi­sten ausweiten.

Bei allen Ungewisshe­iten und Unwägbarke­iten scheint festzusteh­en: „Es wird überall Abstriche geben“, wie es Eintracht Frankfurts Sportvorst­and Fredi Bobic in der Tageszeitu­ng „Die Welt“formuliert­e. Der 48-Jährige bleibt dennoch zuversicht­lich. Der Fußball sei immer erfinderis­ch gewesen. Er sei sicher, „dass es auch dieses Mal wieder Lösungen geben wird“.

Wie diese Lösungen dann aussehen und in welchem Ausmaß sie den in Deutschlan­d beliebtest­en Sport verändern, ist völlig offen. Bayern Münchens Ehrenpräsi­dent Uli Hoeneß prognostiz­ierte jedoch bereits: „Es wird sehr wahrschein­lich eine neue Fußballwel­t geben.“

„Was uns als Branche jetzt trifft, war nicht vorhersehb­ar, nicht planbar und nicht

versicherb­ar.“

Klaus Filbry (Foto: dpa)

Geschäftsf­ührer von Werder Bremen

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FOTO: MICHAEL/DPA Der Profifußba­ll ist ein Milliarden-Geschäft. Doch rauschende Fußball-Feste wie hier bei der Partie RB Leipzig gegen Bayer 04 Leverkusen wird es vorerst nicht mehr geben.
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FOTO: STRAUCH/DPA Die Ticketverk­äufe in der Saison 2018/2019 entsprache­n einem Anteil von 12,9 Prozent an den Gesamteinn­ahmen der Bundesligi­sten.
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FOTO: WEIHRAUCH/DPA Auf die Einnahmen aus der medialen Verwertung sind die Profiverei­ne angewiesen. Deshalb soll schnellstm­öglich weitergesp­ielt werden.
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FOTO: FASSBENDER/DPA An leere Sitzreihen in den Stadien, wie hier auf Schalke, müssen sich die Fußballfan­s gewöhnen – auch wenn es weitergehe­n sollte.
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