Saarbruecker Zeitung

Der Krisenmana­ger steht am Pranger

Die Kritik an IOC-Präsident Thomas Bach ist massiv, seine Rolle bei der Olympia-Verschiebu­ng mehr als unglücklic­h.

- VON ANDREAS SCHIRMER

(dpa) Als Krisenmana­ger ist dem obersten Sportfunkt­ionär der Welt eines gewiss: jede Menge Kritik – und die kommt von allen Seiten. Das quälend lange Festhalten an Olympia in Tokio in diesem Sommer wurde Thomas Bach, dem Präsidente­n des Internatio­nalen Olympische­n Komitees (IOC), als emotionslo­se Sturheit ausgelegt. Funktionär­s-Kollegen, aber vor allem die in langer Ungewisshe­it ausharrend­en Athleten brachte der 66-Jährige gegen sich auf. Das Aussitzen der letztendli­ch unausweich­lichen Entscheidu­ng zur Verschiebu­ng wurde ausgerechn­et von Hayley Wickenheis­er, Mitglied der Athletenko­mmission des IOC aus Kanada, als „unsensibel und verantwort­ungslos“angeprange­rt.

Zu laut wurde am Ende der Aufschrei

der Athleten, denen Bach sich als Fecht-Olympiasie­ger von 1976 und Opfer des Olympia-Boykotts von 1980 besonders eng verbunden glaubt. Also versuchte Bach, den Druck zu minimieren. Er verkündete eine Vier-Wochen-Frist, binnen der das IOC über eine Verschiebu­ng der Tokio-Spiele und verschiede­ne Szenarien entscheide­n wollte. Doch der Tauberbisc­hofsheimer bewirkte das Gegenteil, zumal nicht explizit eine Verlegung der Sommerspie­le kundgetan wurde. Dies brachte ihm selbst von seinem Nachfolger als Präsident des Deutschen Olympische­n Sportbunde­s (DOSB), Alfons Hörmann, Kritik ein. Er mahnte Bach, dass in Krisenzeit­en „klare Kommunikat­ion und entschiede­nes Handeln“gefordert seien.

Die Sportaussc­hussvorsit­zende des Bundestage­s äußerte sich nicht so diplomatis­ch über diese Hinhalteta­ktik. Dagmar Freitag warf Bach vor, „einen massiven Vertrauens­verlust“produziert und „ein eklatantes Führungsve­rsagen“gezeigt zu haben. Sie warnte: „Das IOC muss wissen: Wer nicht entscheide­t, über den wird entschiede­n.“

Auch die zweimalige Biathlon-Olympiasie­gerin Magdalena Neuner hielt sich mit ihrer Kritik an Bach nicht zurück. „Es hat schon ziemlich in mir gebrodelt, weil ich mich gefragt habe, wie er das so durchziehe­n kann. Die ganze Welt kämpft gegen dieses Virus, und der will Olympische Spiele machen“, sagte die 33-Jährige: „Das Verhalten von Herrn Bach fand ich unmöglich. Es hat sich genau das widergespi­egelt, was ich selbst auch schon erlebt habe. Es geht bei Olympia eben nicht nur um die Sportler. Es geht um sehr viele andere Dinge.“

Selbst Athletensp­recher Max

Hartung rückte vom IOC-Boss ab, für den er lange Verständni­s gezeigt hatte. „Thomas Bach hat einen verdammt schweren Job“, hatte der Fechter einmal gesagt und auf die Kräfte in der Ringe-Gesellscha­ft mit 206 Mitgliedsl­ändern verwiesen, „die ziehen und zerren und ganz viele verschiede­ne Interessen“hätten. Doch dann hatte auch Hartung genug von der Hängeparti­e und verzichtet­e demonstrat­iv auf einen Olympia-Start im Sommer. Er wolle damit „Haltung zeigen“.

Vom Kurs in die Sackgasse des Wirtschaft­sanwalts und gewieften Taktikers Bach, der seit 1980 Mitglied und seit 2013 Präsident des IOC ist, wandten sich schließlic­h Länder wie Kanada, Australien,

Großbritan­nien, die USA und Norwegen ab. Letztlich blieb Bach und Japans Ministerpr­äsidenten Shinzo Abe nichts anderes übrig, als am vergangene­n Dienstag die Verschiebu­ng der Spiele von Tokio zu verkünden, zunächst ohne einen neuen Termin zu nennen. „Ich kann keine idealen Lösungen verspreche­n, aber ich kann verspreche­n, dass wir die bestmöglic­hen Spiele haben werden“, lautete Bachs Botschaft.

„Letzten Endes hat sich Thomas Bach aus meiner Sicht als unfähig erwiesen, diese Krise zu meistern“, urteilte der frühere Präsident des Deutschen Leichtathl­etik-Verbandes, Clemens Prokop. Jürgen Kessing, sein Nachfolger im DLV-Amt, bescheinig­te Bach auch, „eine unglücklic­he Figur“abgegeben zu haben und meinte: „Führung sieht anders aus.“Zugleich stellte er infrage, ob Bach Chef des IOC bleiben werde. „Nächstes Jahr stehen Wahlen im IOC an, da wird man sehen, wie es weitergeht“, sagte Kessing.

Ein ganz so hartes Urteil fällte Alfons Hörmann nicht, der auch Verständni­s für die nie da gewesene Herausford­erung für einen IOC-Präsidente­n hat. „Für Thomas Bach ist es die schwierigs­te Aufgabe seines Lebens“, sagte der DOSB-Chef. „Ich möchte nicht mit ihm tauschen.“Der Druck von allen Seiten sei enorm. „Im Grunde lässt die aktuelle Situation keine Entscheidu­ng zu, die von allen Seiten gut akzeptiert und positiv bewertet wird“, erklärte Hörmann: „Das macht das Meistern dieser Krise zu einem Spagat, der kaum zu bewältigen scheint.“

Allerdings war Thomas Bach schon 2016 im Zuge des russischen Staatsdopi­ngs stark in die Kritik geraten. Statt das Land von den Olympische­n Sommerspie­len 2016 und Winterspie­len 2018 gänzlich auszuschli­eßen, setzte Bach durch, Athleten der Sportmacht nach Einzelprüf­ung zuzulassen. In Pyeongchan­g vor zwei Jahren durften so 168 russische Athleten antreten – ein Schlag ins Gesicht der sauberen Athleten.

Für Athletenve­rtreter Hartung liegen viele dieser Probleme in der Struktur des internatio­nalen Weltsports begründet. In der fehle „nicht nur die Stimme der Athleten“. Auch grundlegen­de Mechanisme­n führten dazu, dass man „die vielen Skandale der letzten Jahre“nicht analysiert und „auch die Struktur des Weltsports im Ganzen nicht infrage gestellt“habe. Ob Thomas Bach derjenige ist, der dies perspektiv­isch hinbekommt, das darf nach heutigem Stand bezweifelt werden. www.olympic.org

„Das Verhalten von Herrn Bach fand

ich unmöglich.“

Magdalena Neuner

zweimalige Biathlon-Olympiasie­gerin

 ?? FOTO: BALIBOUSE/KEYSTONE/DPA ?? Thomas Bach, der Präsident des Internatio­nalen Olympische­n Komitees (IOC), muss derzeit ziemlich viele kritische Fragen zu seinem Krisenmana­gement beantworte­n.
FOTO: BALIBOUSE/KEYSTONE/DPA Thomas Bach, der Präsident des Internatio­nalen Olympische­n Komitees (IOC), muss derzeit ziemlich viele kritische Fragen zu seinem Krisenmana­gement beantworte­n.

Newspapers in German

Newspapers from Germany