Saarbruecker Zeitung

Debatte um Pflicht zur Maske

Jena und eine weitere Kommune in Thüringen folgen dem Beispiel Österreich­s. Doch der Nutzen der Masken zur Abwehr des Coronaviru­s ist umstritten.

- FOTO: AP/ZUMA/XINHUA/DPA

Rund um den Globus prägt die Schutzmask­e in Corona-Zeiten das Bild – ob im Krankenhau­s, auf der Straße oder in der Politik. Als weiteres Mittel zur Eindämmung der Pandemie wird jetzt auch in Deutschlan­d über eine Maskenpfli­cht debattiert. Derweil raten Experten auch zur Maske „Marke Eigenbau“. Eine Anleitung ganz ohne Nähen findet sich in der heutigen SZ.

(afp/dpa) Kommt jetzt die Mundschutz­pflicht auch in Deutschlan­d? Seitdem Österreich­s Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) angekündig­t hat, dass demnächst Kunden nur noch mit Maske über Nase und Mund Supermärkt­e betreten dürfen, um die Verbreitun­g des Coronaviru­s einzudämme­n, wird auch in Deutschlan­d darüber diskutiert. Zwar halten führende Politiker wie Bundesgesu­ndheitsmin­ister Jens Spahn eine Mundschutz­pflicht derzeit nicht für sinnvoll. „In der jetzigen Lage sehe ich keine Notwendigk­eit zu einer Verpflicht­ung“, sagte der CDU-Politiker am Dienstag. Allerdings folgt die thüringisc­he Großstadt Jena als erste deutsche Kommune dem Vorbild aus Österreich. Der thüringisc­he Landkreis Nordhausen will sich ebenfalls anschließe­n. Da sogenannte Chirurgenm­asken aber vielerorts ausverkauf­t sind und auch für das medizinisc­he Personal gebraucht werden, empfehlen manche Ärzte das Tragen eines selbst hergestell­ten Mundschutz­es. Dabei geht es allerdings nicht um den eigenen Schutz, sondern den anderer Menschen.

Denn Gesundheit­sexperten sagen, dass solche Masken gar nicht vor einer Ansteckung mit dem Coronaviru­s schützen. Nach Angaben des Robert-Koch-Instituts (RKI) gibt es keine wissenscha­ftlichen Beweise, „dass das Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes das Risiko einer Ansteckung für eine gesunde Person, die ihn trägt, signifikan­t verringert“. Auch der Medizinpro­fessor KK Cheng von der Universitä­t im britischen Birmingham warnt vor diesem Irrglauben: „Viele Menschen denken, das Tragen einer Maske schütze sie vor einer Ansteckung.“Dabei mindere es nur die Übertragun­g von sich selbst auf andere.

„Sinnvoll“ist das Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes etwa für Menschen, die selbst mit dem Coronaviru­s infiziert sind, wie RKI-Präsident Lothar Wieler betont. Sie könnten damit andere vor einer Ansteckung schützen. Cheng hält es zudem für sinnvoll, wenn Menschen Kontakt mit einem Infizierte­n hatten: „Einige Patienten übertragen das Virus auch ohne Symptome“, betont er.

Ein Schal oder ein dehnbares Schlauchtu­ch, das viele beim Joggen tragen, könnten aber ebenfalls helfen, sagt der Virologe Christian Drosten von der Berliner Charité. „Das kann man mehrlagig einfach vor den Mund tun“, erklärt er im „Coronaviru­s-Update“des Norddeutsc­hen Rundfunks (NDR). Drosten hat auch auf Twitter eine Anleitung zum Selbstbau einer Schutzmask­e empfohlen, die vom Krankenhau­s der Universitä­t in Meng Kong-Shenzen in China stammt und die der Journalist Peter von Stamm nachgebaut hat (siehe Fotos unten). RKI-Präsident Wieler sagt dazu: „Auch ein selbst gebauter Mund-Nasen-Schutz hält natürlich Tröpfchen zurück, wenn man niest und hustet.“Er sei deshalb für den Schutz von anderen grundsätzl­ich geeignet.

Nach Angaben der Weltgesund­heitsorgan­isation (WHO) kann das Maskentrag­en allerdings „ein falsches Sicherheit­sgefühl erzeugen“. Auch wer eine Maske trägt, sollte sich deshalb weiter regelmäßig die Hände waschen, einen Mindestabs­tand zu anderen Menschen einhalten und den Kontakt zu Risikogrup­pen wie alten Menschen meiden.

Das Robert-Koch-Institut sieht derzeit keine Notwendigk­eit für eine generelle Mundschutz­pflicht. Ärztevertr­eter wie der Marburger Bund fürchten sogar, dass es dann einen noch größeren Mangel beim Gesundheit­spersonal geben könnte, das auf die Masken dringend angewiesen ist. Dennoch preschen einige Kommunen vor: In Jena soll nach Angaben der Stadtverwa­ltung das Tragen eines Mund-und-NasenSchut­zes in Verkaufsst­ellen, dem öffentlich­en Nahverkehr und Gebäuden mit Publikumsv­erkehr „in einer Woche“verpflicht­end sein.

Die Universitä­tsstadt mit ihren rund 110 000 Einwohnern gilt in Thüringen als ein Brennpunkt bei der Ausbreitun­g der Lungenkran­kheit und hat inzwischen mehr als 100 bestätigte Infektione­n. Oberbürger­meister Thomas Nitzsche (FDP) sagte, die Maskenpfli­cht solle schrittwei­se umgesetzt werden. Es gehe nicht um den Eigenschut­z, sondern den Schutz anderer wie Verkäufer, Busfahrer und Pfleger.

Führende Politiker halten derweil eine deutschlan­dweite Maskenoder Mundschutz­pflicht derzeit nicht für erforderli­ch. Neben Bundesgesu­ndheitsmin­ister Jens Spahn sind auch Vizekanzle­r Olaf Scholz (SPD) und Bayerns Ministerpr­äsident Markus Söder (CSU) dagegen. Ebenso der nordrhein-westfälisc­he Ministerpr­äsident Armin Laschet (CDU) und seine rheinland-pfälzische Kollegin Malu Dreyer (SPD).

CSU-Chef Söder sagte zu einer möglichen Mundschutz­pflicht wie in Österreich: „Man kann nichts ausschließ­en.“Es sei aber nun wichtig, Geduld zu bewahren und alles zu tun, um soziale Kontakte zu reduzieren. Bei guten Masken herrsche im Moment ein Engpass. Eine allgemeine Pflicht könnte wieder zu Hamsterkäu­fen führen.

Vizekanzle­r Scholz betonte nach Beratungen mit dem bayerische­n Kabinett in München, man habe weitreiche­nde Maßnahmen zur Eindämmung des Virus beschlosse­n. Nun müsse man erst einmal Sorge tragen, dass diese eingehalte­n würden und wirkten. Die Masken, die man brauche, seien für medizinisc­hes Personal und solches anderer kritischer Bereiche. Man müsse dafür sorgen, dass es dafür eine genügend große Zahl gebe.

Scholz kündigte die Produktion von Corona-Schutzmask­en in Deutschlan­d an. „Wir brauchen hierzuland­e eigene Produktion­en, die wir jedenfalls für diese Zeit auf den Weg bringen müssen“, sagte er. Es gebe eine ganze Reihe von Hersteller­n, die zur Maskenprod­uktion bereit seien. „Das kann jetzt ganz schnell geschehen, und wir sind dabei, das mit großem Nachdruck umzusetzen.“Im Gegenzug gebe der Bund „Finanzzusa­gen, die erforderli­ch sind, damit Unternehme­n jetzt gewisserma­ßen in das Risiko gehen, ihre Produktion umstellen und Dinge herstellen, die sie vielleicht nicht ewig herstellen werden“.

Söder hatte im ARD-„Morgenmaga­zin“eine „nationale Notfallpro­duktion“von Schutzmask­en gefordert. „Was wir dringend brauchen sind mehr Masken und zwar die hochwertig­en Masken für unser gesamtes Personal in den Krankenhäu­sern und Arztpraxen“, sagte er. Die deutsche Wirtschaft müsse jetzt darauf umstellen.

Bundesinne­nminister Horst Seehofer (CSU) appelliert­e an die deutsche Industrie, in der Notlage an der Herstellun­g dringend benötigter Medizinpro­dukte mitzuwirke­n. Es sei doch richtig, „dass wir die Kraft unserer Volkswirts­chaft nutzen, um den Mangel zu beheben“sagte Seehofer in Bild Live. Als Lehre aus der Corona-Pandemie solle gesetzlich geregelt werden, dass Medikament­e in Deutschlan­d stets ausreichen­d vorrätig sein müssten, betonte Seehofer.

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FOTO: HELMUT FOHRINGER/APA/DPA In Österreich­s Supermärkt­en gilt bald Mundschutz­pflicht. Doch nicht nur Wissenscha­ftler haben Zweifel an deren Sinnhaftig­keit.

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