Saar-Politik und Firmen für schnelle Grenzöffnung
Brandbriefe nach Berlin beklagen den Schaden durch die Sperrung von Grenzübergängen zu den Nachbarn.
Der Ruf nach Lockerung der strikten Grenzkontrollen zu Frankreich und Luxemburg wird immer lauter. Saar-Europaminister Peter Strobel (CDU) beklagt jetzt in einem Brief an Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU), dass die vollständige Sperrung von Grenzübergängen zu „ernstzunehmenden Problemen“führe und für die Bewältigung der Corona-Krise kontraproduktiv sei. Derzeit ist der Grenzübertritt zwischen Frankreich und dem Saarland nur noch an wenigen, von der Bundespolizei kontrollierten Übergängen (Goldene Bremm, Überherrn und Habkirchen) möglich. Alle anderen sind abgeriegelt. Aus Wirtschaft und Industrie gebe es Rückmeldungen, wonach Mitarbeiter Umwege von bis zu 60 Kilometern pro Einzelstrecke in Kauf nehmen müssten, schrieb Strobel. Bei Saarstahl und Dillinger Hütte drohten „ernsthafte Gefahren für die Aufrechterhaltung des Betriebs“.
Auch im Saar-Gesundheitssystem arbeiteten viele Grenzgänger, allein am Klinikum Saarbrücken 160. Wenn Pfleger und Ärzte zu unnötigen Umwegen gezwungen würden, schwäche das die Klinik-Kapazitäten, so Strobel. Er forderte zumindest die Öffnung der Übergänge in Kleinblittersdorf,
Großrosseln und Ittersdorf.
Ein ähnliches Schreiben richteten die CDU-Bundestagsabgeordneten Nadine Schön und Markus Uhl an Seehofer. Darin bitten sie ihn um eine „schnelle und pragmatische Lösung“. Zu den Gegnern des von Saar-Innenminister Klaus Bouillon (CDU) befürworteten strikten Kontroll-Systems zählen auch Rathaus-Chefs von Grenz-Kommunen wie Uwe Conradt (CDU, Saarbrücken) und Michael Clivot (SPD, Gersheim).
Der Präsident der Region Grand Est, Jean Rottner, beklagte in der SZ, die Situation sei „sehr schwierig für die grenzüberschreitende Kooperation und die zehntausende Menschen, die jeden Tag zwischen Frankreich und Deutschland pendeln“.
Region
Vor einem Monat brach die Corona-Pandemie mit voller Wucht in der Grenzregion Grand Est aus. Seitdem regiert der Regionspräsident und ehemalige Notarzt aus Mülhausen, Jean Rottner (53), im Krisenmodus. Täglich kämpft er um mehr Material für die Krankenhäuser und verhandelt die Verlegung von Beatmungspatienten. Im SZ-Interview warnt er davor, die Kontaktverbote nicht ernst zunehmen.
Herr Rottner, heute sind Sie Präsident von Grand Est, einer besonders vom Coronavirus betroffenen Region. Doch vor allem sind Sie von Beruf Arzt. Haben Sie jemals während Ihrer Karriere eine ähnliche Situation wie heute erlebt?
ROTTNER: Nein, es ist eine außergewöhnliche Situation. Sowohl wegen des Ausmaßes der Pandemie als auch wegen der Gewalt und der Geschwindigkeit, mit der sie sich im Elsass und vor allem in Mühlhausen ausgebreitet hat. In meiner Karriere als Notarzt habe ich natürlich bereits Krisensituationen meistern müssen. Sie stehen aber in keinem Vergleich zu dem, was sich heute abspielt. Es ist das erste Mal, dass in Frankreich dutzende Patienten in andere Regionen oder andere Länder verlegt werden, um neue aufnehmen zu können. Unsere Intensivstationen sind dauerbesetzt, und unser Personal ist nach einem Monat täglichen Kampfs gegen die Krankheit und hunderten Sterbefällen erschöpft.
Grand Est war die erste Region Frankreichs, die mit Fällen des Coronavirus konfrontiert wurde. Seitdem folgt dort eine schlechte Nachricht der nächsten. Kann man, ohne Gewähr, abschätzen, wann der Höhepunkt der Pandemie in Grand Est erreicht sein könnte?
ROTTNER: Nein, nach heutigem Stand ist es zu schwer, eine Vorhersage zu wagen. Man kann jetzt die Auswirkungen der Ausgangssperre noch nicht feststellen, und die Zahl der Patienten, die in den Kliniken behandelt werden, steigt immer noch. Sie bleiben auch länger. Normalerweise werden Patienten im Durchschnitt acht bis zehn Tage beatmet, heute werden sie es eher zwischen 15 und 20 Tagen.
Was raten Sie den Regionen wie zum Beispiel dem Saarland, wo die Pandemie noch nicht so entfacht ist wie in Grand Est?
ROTTNER: Es ist absolut notwendig, die Ausbreitung des Virus einzuschränken und dass die Bevölkerung ihre Kontakte beschränkt und die Hygienemaßnahmen einhält. Es ist auch wichtig, dass das Gesundheitspersonal sich auf eine lange Krise vorbereitet und bereits jetzt mit allem notwendigen Material ausgestattet wird. Aber ich wiederhole: Das Wichtigste ist wirklich, eine massive Ansteckung zu vermeiden. Das Virus verbreitet sich nicht von alleine. Wir sind die Träger. Jeder Einzelne muss für seine eigene Gesundheit und die der anderen Verantwortung übernehmen.
Viele Franzosen wurden von der Grenzschließung durch Deutschland brüskiert. Eine Woche nach dieser Schließung haben das Saarland, Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg die ersten französischen Patienten aufgenommen. Welche Spuren wird diese Krise in den deutsch-französischen Beziehungen hinterlassen? Was bleibt Ihrer Meinung nach bei den Menschen hängen: die Grenzschließungen oder die Solidarität?
ROTTNER: Diese Situation ist tatsächlich sehr schwierig für die grenzüberschreitende Kooperation und die zehntausende Menschen, die jeden Tag zwischen Frankreich und Deutschland pendeln. Sie ist besonders heikel für die Grenzgänger, die seit drei Wochen in Kurzarbeit sind oder die sich in manchen Fällen diskriminiert fühlen, weil sie aus einer Gegend kommen, die vom Robert-Koch-Institut als „Risikogebiet“eingestuft wurde. Doch seit drei Wochen stehe ich im Austausch mit Tobias Hans und seinen Amtskollegen aus Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg. Wir haben eine Schaltstelle eingerichtet mit unseren Teams, der Präfektur, der Gesundheitsbehörde ARS, der deutschen Arbeitsagentur und dem Bundesinnenministerium. Uns gelingt es dadurch, diskriminierende und nachteilige Situationen für die Grenzgänger zu entschärfen und die Maßnahmen an der Grenze besser zu koordinieren, von denen ich weiß, dass sie in Berlin und Saarbrücken unterschiedlich betrachtet werden. Dieser ständige Dialog und das herrschende Vertrauen haben auch zu den schnellen Verlegungen von Patienten aus dem Elsass und aus Lothringen in die Krankenhäuser im Saarland und den anderen Grenzbundesländern geführt. Seitdem hat diese deutsch-französische Solidarität weiter zugenommen. Mittlerweile wurden Patienten nach Nordrhein-Westfalen und Berlin gebracht. Diese Solidarität rettet nicht nur Leben. Sie zeigt auch eindrucksvoll, wie wertvoll unsere Kooperation vor Ort auch unter diesen schwierigen Umständen ist. Unsere anderen europäischen Partner beneiden uns dafür.